Nach Landtagswahl Fünf Erkenntnisse aus der NRW-Wahl
Die NRW-CDU gewinnt, kann aber nicht sicher regieren. Die Grünen kommen mit Macht - auch im Bund. Der Kanzler ist mehr Ballast als Bonus. Und dann ist da noch die FDP. Die Erkenntnisse aus der NRW-Wahl.
Die neue Unübersichtlichkeit
Das Wahlergebnis in Nordrhein-Westfalen ist eindeutig, aber klar ist wenig. Die CDU von Ministerpräsident Hendrik Wüst hat gewonnen, aber seine schwarz-gelbe Landesregierung ist abgewählt. Die SPD fährt ausgerechnet im symbolträchtigen NRW eine historische Niederlage ein - übrigens die zweite innerhalb von zwei Wochen - und könnte am Ende doch noch die Staatskanzlei in Düsseldorf erobern. Die Grünen triumphieren - aber haben nun mindestens ein großes Problem. Die FDP halbiert sich, schafft es mit Ach und Krach in den Landtag - und könnte doch wieder zum Mitregieren gebraucht werden. Klar ist bei so viel Unklarheit nur: NRW stehen auf dem Weg zu einer neuen Regierung politisch spannende Wochen bevor. Und weil NRW NRW ist, auch dem Bund.
NRW ist reif für eine Premiere
Nordrhein-Westfalen ist schon lange nicht mehr rot, aber auch nicht länger schwarz-gelb. Und auch nicht rot-grün. Das Wahlergebnis zwingt die Parteien, ihre Lager aufzubrechen und neue Wege zu gehen. Andere Bundesländer sind da längst weiter und Lager-übergreifende Koalitionen gelebte Praxis. Schwarz-Grün oder eine Ampel aus SPD, Grünen und FDP? In NRW wäre das eine Premiere. Dass CDU-Wahlsieger Wüst zu so einer Pionierarbeit fähig wäre, darf mit Blick auf seine politische Wendigkeit angenommen werden. Auch die Grünen um Mona Neubaur blieben im Wahlkampf maximal flexibel - am Ende kommt es wohl darauf an, was die CDU ihnen bieten kann. Und ob sie das Ergebnis ihrer eher linksorientierten grünen Parteibasis schmackhaft machen können.
Die Grünen sind in der komfortablen Lage, notfalls auch mit den Wahlverlierern von SPD und FDP ein Regierungsbündnis schmieden zu können. Dafür bräuchte es dann aber vor allem bei den arg gerupften Liberalen echte Pioniere, um ins Lager von Roten und Grünen zu wechseln.
Und dann müsste ein solches Dreier-Bündnis auch noch nach außen politisch glaubhaft verargumentiert werden. "Der Ministerpräsident von morgen" - Kutschaty im Wahlkampf über Kutschaty - hätte schon heute viel zu erklären. Natürlich können auch Zweitplatzierte Ministerpräsident oder Kanzler werden, wenn sie denn eine Mehrheit hinter sich bringen. Armin Laschet versuchte dies nach der knapp verlorenen Bundestagswahl auch zunächst - begleitet von lautstarker Empörung der SPD.
Mehr Ballast als Bonus
Als Hannelore Kraft im Bundestagswahljahr 2017 die Macht am Rhein für die SPD verlor, stand es 0:3. Saarland und Schleswig-Holstein waren schon verloren. Wenig später verlor die SPD um Martin Schulz auch die Bundestagswahl. So schlimm ist es diesmal aus Sicht der Sozialdemokraten nicht. Olaf Scholz ist Kanzler, im Saarland gibt es eine SPD-Alleinregierung, in Schleswig-Holstein war gegen Daniel Günther einfach nichts zu gewinnen. In NRW aber durchaus. Und so wahlkämpfte Scholz zusammen mit Thomas Kutschaty, in der Hoffnung, ein wenig vom Kanzler-Bonus möge abfärben auf den etwas blassen Spitzenkandidaten. Doch statt Kanzler-Bonus gab es Kanzler-Ballast. Wie viel Scholz steckt nun also in der SPD-Wahlpleite? Wie viel Verantwortung sieht er bei sich? Diese Frage wird er sich gefallen lassen müssen.
Das sozialdemokratische Jahrzehnt - vollmundig ausgerufen nach der Bundestagswahl vor acht Monaten - es könnte schon wieder enden. Bei der SPD, die sich gerade erst wieder aus ihrem jahrelangen Tief herausgearbeitet und endlich Ruhe in die Partei gebracht hatte, dürften nun wieder die Alarmglocken schrillen. Entsprechend groß die Hoffnung, dass es in NRW doch noch zu einer SPD-geführten Ampelregierung kommt. Auch strategisch wäre für die SPD eine Ampel-Kopie in NRW ein Gewinn.
NRW wählt - die Ampel knirscht
Schon die Wahl in Schleswig-Holstein vor einer Woche brachte eine gewisse Unruhe in die Berliner Regierungskoalition. Wobei sich die Grünen redlich bemühten, sich eher nach innen über ihr Rekordergebnis in Kiel zu freuen und Triumphgetöse aus Rücksicht auf die beiden Mitregierungspartner unterließen. Vor allem die FDP hätte sich womöglich provoziert gefühlt.
Der Wahlausgang in NRW wird jedoch ziemlich sicher das Machtgefüge in der Ampel zugunsten der Grünen verschieben. Die Partei um ihre Vorzeige-Minister Robert Habeck und Annalena Baerbock profitiert nachhaltig vom Mitregieren im Bund - auch jetzt in NRW. Die Grünen sind eine Macht geworden, trotz einer relativ schwachen Spitzenkandidatin holen sie das zweite Rekordergebnis in Serie. Im Bund dürften sie nun noch selbstbewusster auftreten.
Die FDP hingegen muss sich fragen, warum ihr das Mitregieren offensichtlich nicht bekommt. Parteichef Christian Lindner wollte im Herbst unbedingt das Finanzministerium übernehmen - und verantwortet nun einen Rekordschulden-Haushalt, auch infolge des Ukraine-Kriegs und seiner Auswirkungen. Als Ex-Spitzenkandidat in NRW sorgte er zwar für leichten Rückenwind, aber auch das reichte nicht. Andere FDP-Minister im Ampel-Kabinett bleiben eher blass. Gut möglich, dass der FDP eine Kurs- und Strategiedebatte ins Haus steht und sie in der Folge versucht, ihr Profil in der Regierung zu schärfen. Anders gesagt: Es könnte giftiger werden und das Regieren zu dritt unruhiger. Die Fliehkräfte stärker. Scholz - selbst angeschlagen - wird als Moderierer gefragt sein.
Und Merz lacht?
Die NRW-CDU hat mit Wüst einen unerwartet deutlichen Wahlerfolg geholt und stärkt damit zunächst auch Parteichef Friedrich Merz. Und das nicht, weil er selbst aus NRW stammt. Zwei Wahlsiege hintereinander sind schon fast eine Serie, die die vorangegangene Serie an Niederlagen vergessen macht. "Die CDU ist zurück", twittert er noch am Wahlabend. Aber wie viel Merz steckt in den Wahlsiegen? Nur für rund ein Drittel der von Infratest dimap Befragten ist Merz eine Unterstützung für NRW. Rückenwind ist das nicht.
Strategisch jedoch ist der NRW-Wahlsieg für Merz außerordentlich wichtig. Gelingt Wüst das Experiment Schwarz-Grün im bevölkerungsstärksten Bundesland, böte das auch der CDU im Bund eine realistische Machtperspektive für 2025. Oder - falls die Ampel im Bund nicht durchhält - auch schon früher.
Allzu sicher darf Merz sich aber nicht sein, dass er dann noch die Nummer 1 ist bei der CDU. Denn mit Günther und Wüst wachsen innerparteiliche Konkurrenten heran, die durchaus Ambitionen auch auf Bundesebene durchscheinen lassen. Günthers Gewicht in der Partei dürfte nach seinem 40-Prozent-Ergebnis deutlich zunehmen, mit seinen 48 Jahren gehört er zur Zukunftsreserve der Partei. Auch mit Wüst muss gerechnet werden. Wer in NRW gewinnt und regiert, gehört automatisch zum Kreis potenzieller Kanzlerkandidaten bei der CDU. Beide könnten Merz sehr schnell alt aussehen lassen. Zumal mit Günther und Wüst zwei Politiker-Typen gewonnen haben, die für einen anderen Politikstil und für einen anderen Kurs stehen als Merz. Liberaler, weniger konservativ und weniger konfrontativ.