Deutlicher Anstieg seit Ampel-Aus Warum viele Parteien momentan Mitglieder gewinnen
Viele Parteien melden seit dem Ampel-Aus deutlich mehr Eintritte. Die angespannte politische Lage scheint die Menschen nicht davon abzuschrecken, sich zu engagieren. Wie stark ist der Zulauf? Und was motiviert die Neuen?
Am 6. November 2024 zerbrach die Ampelkoalition - und das motiviert offenbar viele Menschen, einer Partei beizutreten. Dabei melden sowohl die zwei verbliebenen Regierungsparteien SPD und Grüne Zuwachs als auch alle Parteien aus der Opposition.
"Historisch stärkster Monat" für die Grünen
Seit dem Ampel-Aus verzeichnen die Grünen auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios mehr als 15.000 neue Mitglieder. Die neue Parteivorsitzende Franziska Brantner sprach bereits bei einem Stand von 13.000 Mitgliedern vom "historisch stärksten Monat".
Auch die SPD gewinnt mehr Mitglieder als üblich und meldet 2.000 Eintritte, kann bisher aber nur von den Online-Mitgliedsanträgen sprechen. Grundsätzlich gilt bei den aktuellen Zahlen, dass nicht alle Anträge unmittelbar auf Bundesebene der Parteien erfasst werden und sie deshalb nur bedingt vergleichbar sind.
Auch die Opposition gewinnt viele Mitglieder
Die CDU schreibt, dass sie erst zu Beginn des Folgemonats die genauen Zahlen nennen kann, da die Anträge zunächst über die Kreisverbände laufen. Dennoch meldet sie seit dem Koalitionsbruch bisher 1.000 Mitgliedsanträge. Die CSU nennt keine konkreten Zahlen, die Unterstützung der Bürger habe seit dem Ampel-Aus aber zugenommen.
Der FDP liegen seitdem rund 2.000 neue Mitgliedsanträge vor. Das BSW nennt keine Zahl, unterstreicht aber, dass sie deutlich über dem üblichen Niveau liegt. Auch die AfD kann wegen des kurzen Zeitraums nichts beziffern, dennoch seien die Eintritte weiterhin hoch. Die Linke vermeldet seit dem Koalitionsbruch 3.831 Eintritte.
"Der Wunsch, etwas zu verändern"
Doch wieso entscheiden sich gerade viele Menschen für einen Parteieintritt? Politikwissenschaftlerin Anna-Sophie Heinze von der Universität Trier erklärt das so: "Der Wunsch, etwas zu verändern, der Wunsch, jetzt mitzumachen, vielleicht programmatisch mitzumachen, im Wahlkampf mitzuhelfen und sich zu engagieren, spielt sicherlich eine sehr große Rolle."
Allgemein sei es vor Wahlen üblich, dass sich viele Menschen politisieren, sagt Heinze. Nicht immer ist das nachhaltig, bei einigen nimmt das Interesse nach den Wahlen ab. Abhängig sei das auch von den Orts- und Kreisverbänden, denen die Neumitglieder beigetreten sind. Und davon, wie aktiv die Verbände sind und ob sie ihre neuen Mitglieder gut aufnehmen.
Was die Neumitglieder bewegt
Eines der Neumitglieder ist Martin Lutzenberger. Der Berliner VWL-Professor hat sich direkt am Tag nach dem Ampel-Aus für einen Beitritt in die FDP entschieden. Als er sich die Pressestatements der Parteien angehört hat, sei für ihn klar gewesen, jetzt selbst aktiv zu werden. Für ihn seien die wirtschaftspolitischen Überzeugungen der Liberalen genau richtig.
Sebastian Fiedler, Biologe aus Berlin, ist vor kurzem den Grünen beigetreten - aus einem konkreten Grund: "Die öffentliche Wahrnehmung ist, dass die Grünen keine gute Politik machen, durch dieses Grünen-Bashing. Es gibt aber Menschen, die mit der Politik der Grünen zufrieden sind." Er möchte jetzt dazu beitragen, Menschen anzusprechen und sie zu ermutigen, ein Kreuz bei der Wahl zu setzen.
Die Jura-Studentin Ida Stenglein aus Frankfurt am Main ist im Oktober der Jungen Union beigetreten, der CDU-Jugendvereinigung. Sie schätzt an der CDU besonders, auf der einen Seite zwar alte Traditionen bewahren zu wollen, auf der anderen Seite jedoch auch den Blick auf Fortschritt zu richten. Auch sie möchte jetzt tatkräftig den Wahlkampf unterstützen.
"Gutes Zeichen für die Demokratie"
Allgemein ist zwar die Zahl der Parteimitglieder in Deutschland seit Jahrzehnten rückläufig. So hat sie sich bei CDU, SPD, FDP und Linkspartei seit 1990 mehr als halbiert. Anders bei den Grünen, bei denen sich seit 1990 die Mitgliederzahl verdreifacht hat. Die erst 2013 gegründete AfD hat auch deutlich zugelegt.
Trotz des grundsätzlichen Abwärtstrends der Mitgliederzahlen sieht Politikwissenschaftlerin Heinze es als positives Zeichen, dass aktuell wieder mehr Menschen politisch partizipieren und hält das für ein "gutes Zeichen für die Demokratie". Eine Trendwende erwartet sie aber nicht, denn Partizipation geschehe heute auf anderen Wegen, zum Beispiel online. Das Konzept der Parteien sei für viele mittlerweile zu altmodisch und starr.