Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD, l-r), Stephan Weil (SPD), Ministerpräsident von Niedersachsen und amtierender Vorsitzender der Ministerpräsidentenkonferenz (MPK), und Hendrik Wüst (CDU), Ministerpräsident von Nordrhein-Westfalen
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Bund übernimmt mehr Flüchtlingskosten SPD zufrieden, Rumoren bei der Union

Stand: 11.05.2023 08:52 Uhr

Der Bund erhöht seine Beteiligung an den Flüchtlingskosten dieses Jahr um eine Milliarde Euro - so das Ergebnis des Gipfels in Berlin. Die SPD zeigt sich zufrieden, unionsgeführten Ländern reicht es dagegen nicht aus.

Eine Analyse von Iris Sayram, ARD-Hauptstadtstudio

Das monatelange Ringen um mehr Geld für die Kommunen und Länder bei der Bewältigung der hohen Anzahl an Schutzsuchenden ist gestern im Kanzleramt nicht zu Ende gegangen. Aber schon die Aussicht auf eine baldige Lösung wird als Erfolg verbucht.

Einer ist an diesem Abend sichtlich zufrieden: Bundeskanzler Olaf Scholz. Lächelnd sagt er während der Pressekonferenz im Anschluss an den Migrationsgipfel:

Wenn man mich am Morgen gefragt hätte, wie es heute ausgeht, dann hätte ich gesagt: genau so!
Bundeskanzler Olaf Scholz

Denn es schien von vornherein klar, dass der Bund sich auf die Forderungen der Länder nach einer dauerhaften größeren finanziellen Beteiligung an der Unterbringung und Versorgung der Geflüchteten nicht beteiligen wird. Mehr als die bereits spekulierte Einmalzahlung in Höhe von einer Milliarde Euro konnten die Länder beim Bund nicht herausholen.

Weil zufrieden, Wüst zerknirscht

Während es für Niedersachsens Regierungschef Stephan Weil (SPD) dennoch eine "gute Zusammenkunft" war und er sogar Verständnis für die restriktive Haltung des Bundes hat, wirkte sein CDU-Kollege, NRW-Landeschef Hendrik Wüst, deutlich zerknirschter.

Noch bevor die Länderchefs mit dem Bundeskanzler ihre Beratungen gestartet haben, sagte Wüst zu der Aussicht auf den Kompromiss einer Einmalzahlung: "Teilergebnisse, die nicht ein Einstieg wären in eine dauerhafte, verlässlich zusätzliche Finanzierung des Bundes an den Kosten der Länder, das wäre kein Ergebnis."

Noch schärfer kritisieren es die unionsgeführten Länderchefs aus Bayern, Sachsen und Sachsen-Anhalt: "Die vom Bund vorgesehene Erhöhung um eine Milliarde Euro ist völlig unzureichend und wird der Belastungssituation vor Ort in keiner Weise gerecht", schreiben sie in einer Protokollerklärung am Ende des Beschlusspapiers.

Auch Thüringens Ministerpräsident merkt an, dass er weiterhin auf ein "atmendes System" beharre, dass eben keine pauschalen Summen, sondern eine pro-Kopf-Finanzierung anstrebt.

Dominic Hebestreit, ARD Berlin, zu Reaktionen auf Ergebnisse des Flüchtlingsgipfels

tagesschau, 11.05.2023 09:00 Uhr

Arbeitsgruppe soll dauerhafte Lösung erarbeiten

Die Finanzierung und Versorgung von Geflüchteten im Asylverfahren ist laut Grundgesetz eine Ländersache. Und die Finanzhilfen des Bundes seien bereits hoch genug - etwa 15 Milliarden Euro, wenn man das Bürgergeld für die aus der Ukraine geflüchteten Menschen mitzählt.

Eine Arbeitsgruppe solle aber nun eingesetzt werden, um weitere Vorschläge bis zur nächsten MPK im November zu entwickeln, die einen langfristigen Effekt haben können, um Kommunen und Länder zu entlasten. Dass hiermit zwangsläufig mehr Geld verbunden ist, darf allerdings bezweifelt werden.

Finanzminister Christian Lindner (FDP) hat dies bereits mehrfach überdeutlich gemacht. Auch sein Fraktionschef Christian Dürr sagte noch am Abend: "Wir sind doch nicht auf einem Basar, auf dem um immer mehr Geld gefeilscht wird."

Zeitenwende in der Migrationspolitik

Einigkeit zwischen Länderchefs und dem Bundeskanzler herrschte nur darüber, dass man den Zugang der Geflüchteten stärker steuern möchte. Bereits in den ersten vier Monaten des Jahres 2023 ist ihre Zahl um 78,4 Prozent im Vergleich zum Vorjahreszeitraum angestiegen. Die meisten kommen aus Syrien, aber auch aus Afghanistan und der Türkei.

Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik

Ein Satz des Kanzlers ließ bei der Pressekonferenz im Zusammenhang mit Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber in Länder wie Irak oder Syrien aufhorchen: "Es kann keine Entscheidung geben, dahin niemals!" Statt pauschaler Abschiebungen spricht sich Scholz perspektivisch für Einzelfallentscheidungen aus.

Und auch das Beschlusspapier zeigt deutlich, dass Bund und Länder einen Paradigmenwechsel in der Migrationspolitik anstreben - auch auf europäischer Ebene. Die Pläne zur Stärkung der Grenzschutzagentur Frontex, der Erweiterung der Liste der sicheren Herkunftsländer insbesondere um Moldau und Georgien und zur generellen Vereinfachung von Abschiebungen, könnten noch zu Diskussionen in den eigenen Reihen der Ampel führen.

Just am Tag des Gipfels veröffentlichte Co-Parteichef Omid Nouripour zusammen mit der Co-Fraktionsvorsitzenden Britta Haßelmann einen Zehn-Punkte-Plan für eine geordnete menschenrechtsorientierte Asylpolitik. Darin findet sich der Satz: "Eine immer stärkere Abschottung kann dabei nicht die Lösung sein". Für die Grünen nicht, aber möglicherweise für SPD und FDP. Es wäre nicht das erste Mal, dass die Ampel-Parteien auf Konfrontationskurs zusteuern.

Uli Hauck, ARD Berlin, tagesschau, 11.05.2023 08:52 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 10. Mai 2023 um 22:15 Uhr und die tagesschau am 11. Mai 2023 um 09:00 Uhr sowie um 12:00 Uhr.