
Finanzpaket von Union und SPD Warum Schulden plötzlich kein Problem mehr sind
Ein 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur, eine Lockerung der Schuldenbremse für Verteidigungsausgaben - die Union macht in ihrer Finanzpolitik eine Kehrtwende. Wie kam sie zustande und was bringt sie?
Als das Sondierungsteam von SPD und Union bekannt gab, Milliarden an Schulden für Verteidigung und Infrastruktur aufzunehmen, dauerte es nicht lange, da meldete sich der noch amtierende Finanzminister Jörg Kukies auf der Plattform X mit einem "Service-Post".
Er rechnete vor, wie viel mehr Geld für Verteidigung von der Schuldenbremse demnach ausgenommen werden: Alles über einem Prozent des Bruttoinlandprodukts, also alles über 44 Milliarden Euro, sei ausgenommen.
Was aussieht wie eine einfache Rechenaufgabe, war ein wichtiges Signal an die europäischen Partner und vor allem die USA: Deutschland kann mehr Geld ausgeben für Verteidigung.
Finanzminister Kukies ließ die Union die vergangenen Tage während der Sondierung in den finanzpolitischen Abgrund des Bundeshaushalts schauen. Bis 2028 könnten im Haushalt bis zu 130 Milliarden Euro fehlen, soll Kukies vorgerechnet haben. Das erfuhr das Handelsblatt.
Von einem Kassensturz nach der Bundestagswahl sprach Merz schon während des Wahlkampfs. Aber solche Zahlen hat er wahrscheinlich nicht erwartet. Zudem noch das Szenario, dass Deutschland womöglich bald mehr für Verteidigung ausgeben muss, das Sondervermögen Bundeswehr bald aufgebraucht ist und sich die Ukraine nicht mehr auf die Unterstützung von US-Präsident Trump verlassen kann.
SPD und Union blickten also gleich in zwei Abgründe: den finanz- und den außenpolitischen. Und so musste vor allem die Union über ihren Schatten springen und ihr Wahlversprechen, weniger Schulden zu machen, über Bord werfen. Im Nacken saß dem Sondierungsteam zudem, dass US-Präsident Trump womöglich in der Nacht wieder etwas verkünden könnte, das die Welt zum Beben bringt. Deutschland wollte schneller sein.
"Erwachsen werden"
Im Statement von Merz fielen Wörter wie "erwachsen werden". Europa müsse "erwachsen werden", für Verteidigung endlich ausreichend Geld ausgeben, sich vom mächtigen Vater USA abnabeln. Während die SPD mit dem Vorschlag weniger Probleme hatte, mussten die Sondierer der Union nun auch beim Thema Schuldenmachen "erwachsen werden" und mit den Konsequenzen leben. Intern müssen sie bei CDU und CSU ihre enorme finanzpolitische Kehrtwende erklären - und Kritik aushalten.
Aber auch gegenüber Wählerinnen und Wähler kommen sie nun in Erklärungsnot, da sie im Wahlkampf stets erklärten, dass man an der Schuldenbremse festhalten will und mit mehr Wirtschaftswachstum die Löcher im Bundeshaushalt schon gestopft bekommt. Seit Tagen kritisieren die Grünen Unions-Chef Merz dafür und zweifeln an seiner Glaubwürdigkeit.
Was die einzelnen Maßnahmen bringen
Dass die Ausgaben für Verteidigung nun ab einem Prozent des BIP nicht mehr relevant für die Schuldenbremse sind, bringt in stürmischen außenpolitischen Zeiten einer zukünftigen Regierung sehr viel Spielraum. Von einem "historischen Tag" sprach der noch amtierende Verteidigungsminister Boris Pistorius. Damit gebe es für die Bundeswehr aber auch die Rüstungsindustrie mehr Planungssicherheit. Monatelang hatte Pistorius zur Zeit der Ampelkoalition für mehr Geld für Verteidigung gekämpft, jetzt könnte es also wahr werden.
Bisher ist es aber nur ein Vorschlag. Angedacht ist, den "alten" Bundestag noch kommende Woche darüber abstimmen zu lassen. Dafür bräuchte man eine Zweidrittelmehrheit, die man mit Stimmen der Grünen oder FDP hätte.
Doch von den Details zu den Verteidigungsausgaben wurden sowohl die Grünen als auch die FDP gestern Abend überrascht. Intern wird nun in den Parteien diskutiert - wissend, dass mehr Geld für Verteidigung dringend gebraucht wird. Die Ja-Stimmen der Grünen könnten teuer werden, weil ihnen Konzepte zum Klimaschutz fehlten, heißt es schon jetzt.
Auch ein weiterer Vorschlag, ein 500-Milliarden-Sondervermögen für Infrastruktur für die kommenden zehn Jahre zu schaffen, hat so manchen überrascht. 100 Milliarden sollen davon die Länder bekommen - ein strategisch kluger Schachzug, um auch deren Stimmen im Bundesrat zu gewinnen.
Die Schuldenbremse soll zudem so reformiert werden, dass die Länder künftig auch außerhalb einer Notlage Kredite aufnehmen könnten. Bisher schreibt die Schuldenbremse den Ländern einen ausgeglichenen Haushalt vor.
Schulden für die Zukunft?
Die Union und die SPD wollen nun also beschließen, dass die Länder - wie bereits der Bund - Kredite in Höhe von 0,35 Prozent des Bruttoinlandprodukts aufnehmen können. Das wären ungefähr 15 Milliarden Euro. Die Stimmen der Länder im Bundesrat sind damit teuer erkauft.
Das Sondervermögen Infrastruktur könnte langfristig gesehen für zukünftige Regierungen teuer werden. Denn die Schuldenlast muss irgendwann abgetragen werden. Klar ist, dass schon jetzt ab 2031 Hilfen aus der Corona-Pandemie, Gelder aus dem derzeitigen Sondervermögen Bundeswehr sowie Energiepreishilfen aus der Anfangszeit des russischen Angriffskriegs auf die Ukraine zurückgezahlt werden müssen.
Fraglich ist, ob man diese Schulden-Tilgung nicht aussetzt, um zukünftige Generationen nicht noch mehr zu belasten. Die kommenden Tage werden die Union und die SPD nun erst einmal um Stimmen für ihre Pläne bei den Bundestagsfraktionen werben müssen. Harte Verhandlungen sind zu erwarten.