Bayerns Ministerpräsident Markus Söder spricht bei einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Hubert Aiwanger
analyse

Vor Bayernwahl Söder, Aiwanger und die Machtfrage

Stand: 28.09.2023 12:30 Uhr

Seit fünf Jahren regieren Markus Söder und seine CSU mit den Freien Wählern von Hubert Aiwanger. Es knirschte zuweilen heftig, doch Aiwanger erscheint in diesen Tagen vor der Wahl mächtiger denn je. Und das liegt am CSU-Chef.

Eine Analyse von Petr Jerabek, BR

Als Hubert Aiwanger seinen 50. Geburtstag feierte, hatte Markus Söder ein Geschenk für ihn: "Meditation für dein Leben: Energie, Klarheit und innere Ruhe erlangen. In jeder Situation", lautet der Titel des Buchs, das der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef seinem Vize und Freie-Wähler-Chef überreichte. Ob das Geschenk Ausdruck ehrlicher Sorge war oder doch eher eine Stichelei, liegt im Auge des Betrachters.

Unklar ist auch, ob Aiwanger das Werk zweier Yogalehrer gelesen hat. Fest steht: Es gab in der Koalition manche Situation, in der Aiwanger mit zumindest äußerer Ruhe Spott und Kritik der CSU über sich ergehen ließ. Allerdings brachte der Freie-Wähler-Chef auch viel Energie dafür auf, seinerseits die CSU zu ärgern. Ihr Bündnis wollen beide Parteien nach der Landtagswahl gerne fortsetzen, obwohl das Verhältnis spannungsgeladen ist.

Gegenseitige Vorwürfe

An Kontroversen mangelte es nicht in den vergangenen fünf Jahren. Grundsätzlich fühlten sich die Freien Wähler von der CSU oft nicht ernst genommen, warfen ihr Arroganz vor. Die CSU wiederum beschwerte sich, dass Aiwanger bei öffentlichen Auftritten zu gemeinsamen Beschlüssen auf Distanz gehe und wie ein Oppositionspolitiker agiere. "Alles, was in München beschlossen wird, wird von CSU und Freien Wählern beschlossen", stellte Söder bereits 2019 klar. Da könne "sich keiner vom Acker machen", so der CSU-Chef in Richtung des kleinen Koalitionspartners.

Besonders häufig knirschte es in der Koalition wegen der Corona-Politik. Immer wieder hoben FW-Minister im Kabinett mit der CSU die Hand für strenge Beschränkungen - öffentlich aber machte sich Aiwanger regelmäßig für Lockerungen stark. Die CSU warf ihm vor, den gemeinsamen Kurs zu verlassen, Aiwanger beklagte "gezielte Gemeinheiten" des größeren Partners.

Nachhaltig verärgert

Bis heute zeigt sich der Freie-Wähler-Chef verärgert darüber, wie die CSU mit ihm im Impfstreit umging. Söder drängte den Minister damals vor laufenden Kameras, zu erklären, warum er sich nicht gegen Corona impfen lassen wolle. Als Aiwanger auch noch mit impfkritischen Aussagen für Wirbel sorgte, verschärfte die CSU den Ton. Söder warf ihm eine Anbiederung an rechte Gruppen und "Querdenker" vor, vom CSU- Fraktionsvorsitzenden Thomas Kreuzer kam die Forderung nach einem Rückzug als Vize-Ministerpräsident.

Als Ärgernis dürfte Aiwanger auch empfunden haben, wie die CSU auf seinen Tweet am Nachmittag der Bundestagswahl reagierte. Der Freie-Wähler-Chef hatte damals - lange vor Schließung der Wahllokale - eine vermeintliche Vorab-Prognose zur Wahl getwittert. Die Veröffentlichung von Prognosen vor 18 Uhr ist nach dem Bundeswahlgesetz verboten. Von mehreren CSU-Spitzenpolitikern kam scharfe Kritik, von "großem Schaden" und "undemokratischem" Verhalten war die Rede. Söder drängte seinen Vize schließlich zu einer öffentlichen Entschuldigung.

Die Demo in Erding ...

Nach einigen vergleichsweise harmonischen Monaten sorgte im Juni dann die Demonstration in Erding gegen das Heizungsgesetz der Bundesregierung für neuen Ärger. Vor allem Aiwangers Aufruf, die Demokratie "zurückzuholen", schlug Wellen der Empörung. Der Freie-Wähler-Chef ließ sich dafür in Erding feiern, für Söder gab es viele Pfiffe. Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) warf seinem Kabinettskollegen Aiwanger daraufhin "Populismus am rechten Rand" vor. Söder mahnte: "Man darf nicht wegen jeder schnellen Stimme den politischen Anstand verlieren." Prompt legte Aiwanger mit der Aussage nach, Deutschland sei nur noch "formal" eine Demokratie.

... und die Flugblatt-Affäre

Dann kam die Flugblatt-Affäre. Aiwanger soll als Jugendlicher mit einem antisemitischen Flugblatt aufgefallen sein und judenfeindliche Witze erzählt haben. Söder verlangte umfassende Aufklärung von seinem Vize. Es dürfe kein Verdacht übrig bleiben. Eine Erwartung, die der Freie-Wähler-Chef nicht erfüllte: Der Ministerpräsident musste einräumen, dass Aiwangers Antworten auf Söders 25 Fragen "nicht alle befriedigend" seien.

Trotzdem sah er sich - wohl vor allem aus strategischen Überlegungen - gezwungen, an seinem Minister festzuhalten. Der CSU-Chef wirkte machtlos. Auch Söders Appell, Aiwanger möge Reue und Demut zeigen, lief ins Leere. Beflügelt durch den Applaus in Bierzelten und gestiegene Umfragewerte inszenierte sich Aiwanger als Opfer einer Kampagne.

CSU ohne Druckmittel

Nun rächte sich, dass sich Söder und die CSU schon vor Monaten festgelegt haben, nach der Wahl weiter mit den Freien Wählern regieren zu wollen. So haben sich die Christsozialen selbst ihres stärksten Druckmittels auf Aiwanger beraubt: die Koalition infrage zu stellen, andere Machtoptionen in Betracht zu ziehen. Entsprechend forsch tritt der FW-Chef im Wahlkampf auf. Den Unmut, der sich daraufhin in der CSU aufstaute, brachte kürzlich der CSU-Landtagsabgeordnete Ludwig Spaenle zum Ausdruck: "Hubert, halt endlich die Klappe!"

Im Bett mit einem Sumoringer

Während der Koalitionsverhandlungen im Herbst 2018 hatte Aiwanger die CSU mit einem Sumoringer verglichen: "Wenn man mit jemandem ins Bett geht, der viermal so schwer wie man selber ist, muss man gut aufpassen, dass man nicht erdrückt wird." Grund zur Sorge sah er aber nicht: Die Freien Wähler seien die "Schlankeren, die Athletischeren, die schneller aus dem Bett springen, wenn es zusammenbricht".

Um im Bild zu bleiben: Aiwanger hat sich weder erdrücken lassen, noch ist er aus dem Koalitionsbett gesprungen. Vielmehr hat er sich freigestrampelt und sich Platz verschafft, den er kurz vor der Landtagswahl voll ausnutzt und auskostet. Für den "Sumoringer" Söder ist es ungemütlicher geworden.