Alexander Graf Lambsdorff Deutscher Botschafter im Außenministerium in Moskau
Der deutsche Botschafter ist zu Gesprächen im Außenministerium in Moskau erschienen. Einen direkten Zusammenhang mit der "Taurus"-Abhöraffäre gibt es laut Graf Lambsdorff nicht. In Deutschland geht die Debatte zur Aufarbeitung weiter.
Drei Tage nach der Veröffentlichung eines geleakten Gesprächs deutscher Luftwaffenoffiziere durch Russland hat der deutsche Botschafter in Moskau, Alexander Graf Lambsdorff, an einem Gespräch im russischen Außenministerium teilgenommen. Bei dem Termin sei es um " verschiedene bilaterale Themen" gegangen, sagte Graf Lambsdorff nach dem Ende des Treffens. Weitere Angaben zum Inhalt des Gesprächs machte er nicht. Allerdings betonte der Botschafter, dass er nicht einbestellt worden sei. Auch das Auswärtige Amt in Berlin machte klar, dass es keine Einbestellung gewesen sei. Der Botschafter sei zu einem schon lange verabredeten Termin im Ministerium gewesen.
Damit widersprach Graf Lambsdorff Berichten der staatlichen russischen Nachrichtenagentur Tass. Diese hatte unter Berufung auf eine anonyme Quelle gemeldet, dass der deutsche Botschafter infolge des online veröffentlichten Mitschnitts des Bundeswehr-Gesprächs einbestellt worden sei. Der Gesprächstermin im Außenministerium war laut Graf Lambsdorff aber bereits vor der "Taurus"-Abhöraffäre vereinbart worden.
Das russische Staatsfernsehen hatte am Freitag den Mitschnitt einer vertraulichen Telefonkonferenz hochrangiger Bundeswehroffiziere im Internet veröffentlicht. Darin ist zu hören, wie Luftwaffen-Chef Ingo Gerhartz mit drei Untergebenen über einen möglichen Einsatz deutscher "Taurus"-Marschflugkörper in der Ukraine gegen die russischen Angreifer spricht. Damit solle eine Unterrichtung von Pistorius vorbereitet werden, heißt es in der Aufnahme.
"Nicht alle übereinander herfallen"
Die Bundesregierung und Bundeskanzler Olaf Scholz hatten nach der Veröffentlichung umfassende Aufklärung zugesichert. Auch die FDP-Verteidigungsexpertin Marie-Agnes Strack-Zimmermann plädierte im gemeinsamen Morgenmagazin von ARD und ZDF dafür, den Vorfall mit Ruhe und mit Besonnenheit aufzuklären. Gleichzeitig warnte sie: "Wir müssen ein bisschen aufpassen, dass wir jetzt nicht alle übereinander herfallen." Denn genau das sei das Ziel des russischen Präsidenten Wladimir Putin, "dass wir jetzt sozusagen uns an den Hals gehen".
Es sei keine Überraschung, dass Deutschland abgehört werde, sagte Strack-Zimmermann weiter. Dennoch sei es eine "kleine Offenbarung, dass Russland mitgehört" habe. "Da müssen natürlich die Institutionen in der Bundesrepublik sehr genau hinschauen, inwieweit sind wir eigentlich auf diese hybriden Angriffe technisch wirklich vorbereitet."
Pistorius mahnt Besonnenheit an
Bundesverteidigungsminister Boris Pistorius hatte im Umgang mit der Abhöraffäre ebenfalls zu Besonnenheit aufgerufen. Auch er mahnte, Russland ziele mit diesem "hybriden Angriff zur Desinformation" auf Spaltung ab. "Wir dürfen Putin nicht auf den Leim gehen", warnte der SPD-Politiker. Anfang kommender Woche solle der Militärische Abschirmdienst (MAD) einen ersten Bericht mit Informationen zu den genauen Hintergründen des Vorfalls vorlegen. Erst dann könne über Konsequenzen - möglicherweise auch in personeller Hinsicht - entschieden werden. Hinweise auf weitere Leaks oder das Mithören von weiteren Telefonaten gibt es laut Pistorius bisher nicht.
Auch der Kreml äußerte sich heute zu dem veröffentlichten Gesprächsmitschnitt. Dieser zeige die "direkte Verwicklung" des Westens im "Konflikt" in der Ukraine. "Die Aufnahme selbst lässt vermuten, dass die Bundeswehr substanziell und konkret Pläne diskutiert, russisches Territorium anzugreifen", hieß es von Kreml-Sprecher Dmitri Peskow.
Vom ehemaligen russischen Präsidenten Dimitri Medwedjew hieß es, Russland werde sich in Bezug auf den geleakten Gesprächsmitschnitt vorerst in Zurückhaltung üben. Allerdings werde die russische Regierung den Vorfall nicht vergessen, sagte er laut der Nachrichtenagentur RIA bei einem Jugendforum im Süden Russlands.
Union drängt auf umfassende Aufklärung
Die Ukraine fordert seit Monaten die Lieferung von "Taurus"-Marschflugkörpern durch Deutschland. Bisher lehnte Bundeskanzler Scholz diese Forderung konsequent ab. Auch heute bekräftigte er sein Nein abermals. "Es kann nicht sein, dass man ein Waffensystem liefert, das sehr weit reicht und dann nicht darüber nachdenkt, wie die Kontrolle über das Waffensystem stattfinden kann", betonte Scholz bei einem Termin im baden-württembergischen Sindelfingen und fügte hinzu: "Und wenn man die Kontrolle haben will und es nur geht, wenn deutsche Soldaten beteiligt sind, ist das für mich ausgeschlossen." Stattdessen verwies Scholz auf die für dieses Jahr geplante milliardenschwere Militärhilfe für die Ukraine.
Dass in dem geleakten Gespräch jedoch über einen möglichen Einsatz deutscher Marschflugkörper in der Ukraine beraten wurde, nutzt die Union für deutliche Kritik an Kanzler Scholz. Seine Argumente seien nicht mehr nachzuvollziehen. Um die Abhöraffäre aufzuklären, hatte CSU-Landesgruppenchef Alexander Dobrindt einen Untersuchungsausschuss gefordert. Auch der CDU-Verteidigungspolitiker Roderich Kiesewetter befürwortete im Bericht aus Berlin diese Option, auch der Einsatz eines Sonderermittlers sei möglich.
Der Parlamentarische Geschäftsführer der CDU/CSU-Bundestagsfraktion, Thorsten Frei, sprach sich im Interview mit den Sendern RTL und ntv dafür aus, zunächst eine Sondersitzung des Verteidigungsausschusses anzusetzen. Zudem werde Kanzler Scholz in der kommenden Woche in einer Regierungsbefragung zu der Abhöraffäre und dem Thema der "Taurus"-Lieferungen Stellung beziehen müssen.
SPD und Grüne lehnen Untersuchungsausschuss ab
Die SPD und die Grünen lehnen einen Untersuchungsausschuss hingegen ab. "Das hilft überhaupt nicht", sagte der SPD-Politiker und frühere Vorsitzende des Verteidigungsausschusses, Wolfgang Hellmich, im Gespräch mit dem MDR. Schon allein, weil die Arbeit eines solchen Gremiums zwei bis drei Jahre dauern würde.
Auch die Grünen-Fraktionsvize Agnieszka Brugger sieht in einem Untersuchungsausschuss kein "adäquates Mittel". "Untersuchungsausschüsse sind dann interessant, wenn es abgeschlossene Vorgänge sind, die man öffentlich erörtern kann. Beides ist hier nicht der Fall, die Spionage dauert weiter an", betonte sie im Bayerischen Rundfunk.