Deutsche Russland-Politik Mehr diplomatische Initiativen gefordert
Die Russland-Politik der Bundesregierung sorgt für Diskussionen - es gibt Forderungen nach mehr Diplomatie. Kritik gibt es am Vorstoß des sächsischen Ministerpräsidenten, nach Kriegsende die Gaslieferungen aus Russland wieder aufzunehmen.
SPD-Fraktionschef Rolf Mützenich hat Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) aufgefordert, sich stärker für eine diplomatische Lösung im Ukraine-Krieg einzusetzen. Er fühle er sich durch Meinungsumfragen unterstützt, nach denen 60 Prozent der Deutschen mehr diplomatische Initiativen wollten, sagte Mützenich dem ZDF. "Das ist auch an die Adresse der Außenministerin gesagt worden, weil sie ist nun mal die höchste Diplomatin derzeit in Deutschland."
Es komme am Ende auf eine "Balance" zwischen dem Selbstverteidigungsrecht der Ukraine und der Diplomatie an, so Mützenich weiter. Die vergangenen Wochen hätten bewiesen, dass diplomatischer Fortschritt möglich sei. So habe trotz massiver militärischer Auseinandersetzungen ein großer Gefangenenaustausch stattgefunden. Auch die Übereinkunft über die Getreidelieferungen sei ein "leidlicher Erfolg".
Auch der sächsische Ministerpräsident Michael Kretschmer befürwortet laut eigenen Worten größere diplomatische Anstrengungen. Um den Krieg zu beenden, sollte Deutschland gemeinsam mit anderen Ländern auf eine Verhandlungslösung drängen, sagte der CDU-Politiker der "Bild am Sonntag". "Es braucht jetzt eine gemeinsame diplomatische Anstrengung von der EU, den USA, China, Indien und Japan. Dieser Krieg muss angehalten werden."
"Fragen nicht länger auf dem Schlachtfeld klären"
Diese Verhandlungen würden nicht automatisch dazu führen, dass die Ukraine Teile ihres Staatsgebietes abtreten müsse, so Kretschmer. "Es gibt keinen einzigen Grund, warum die Ukraine auch nur auf einen Quadratmeter ihres Territoriums verzichten sollte. Kriegsschäden müssen von Russland ausgeglichen, Kriegsverbrecher zur Verantwortung gezogen werden. Mit dieser Haltung muss man in Friedensgespräche gehen", sagte Sachsens Regierungschef. "Wir dürfen diese Fragen nicht länger auf dem Schlachtfeld klären. Europa muss mehr Druck für Friedensgespräche machen."
Kretschmer äußerte sich außerdem skeptisch über die Auswirkungen der EU-Sanktionen gegen Russland. "Sanktionen sind immer besser als der Einsatz von Waffen. Aber sie müssen bei dem Aggressor auch die nötige Wirkung entfalten", sagte er. "Uns muss klar sein, welche Auswirkungen die Sanktionen für die deutsche Wirtschaft haben. Da baut sich gerade ein Tsunami auf."
Nouripour zweifelt an Nutzen von Verhandlungen
Grünen-Chef Omid Nouripour verteidigte dagegen die Ukraine-Politik der Außenministerin. "Annalena Baerbock tut alles, was sie kann, damit wir zu Frieden kommen", sagte er laut ZDF. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) sage völlig zurecht, dass sich Deutschland eng mit seinen Partnern abstimmen müsse, beispielsweise bei Waffenlieferungen: "Zu diesen Partnern gehört unabdinglich auch die Ukraine, und der Kollege Mützenich sollte das wissen."
Nouripour betonte, die Verhandlungserfolge, die es gegeben habe, "verdanken wir der Ukraine". Es sei offensichtlich, dass Waffenstillstandsverhandlungen zum jetzigen Zeitpunkt die Position der Ukraine schwächen würden.
Nach Kriegsende wieder Gas aus Russland?
Verbunden mit der Forderung nach mehr Diplomatie ist auch eine Debatte über eine mögliche Wiederaufnahme der Gaslieferungen aus Russland nach dem Ende des Krieges. Kretschmer sprach sich dafür aus. "Wir brauchen langfristige Verträge für Flüssiggaslieferungen aus den USA, Katar und anderen arabischen Ländern. Außerdem müssen wir endlich eigenes Erdgas in der Nordsee erschließen. Und wenn der Krieg vorbei ist, sollten wir auch wieder Gas aus Russland nutzen", sagte der CDU-Politiker.
Auch Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch zeigte sich offen für neuerliche Gaslieferungen nach der Zeit von Russlands Präsident Wladimir Putin. Bartsch sagte den Zeitungen der Funke Mediengruppe: "Natürlich wird es eine Zeit nach Putin geben, dann können auch wieder Gespräche über Gaslieferungen aus Russland möglich werden." Der Schlüssel bleibe allerdings der entschlossene Ausbau erneuerbarer Energien. Darüber redeten die Bundesregierung und die sächsische Landesregierung viel, sie agierten aber "viel zu langsam".
Weil: Verhältnis zu Russland auf Jahre zerrüttet
Gegenwind bekommen Kretschmer und Bartsch unter anderem aus Niedersachsen. Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) zeigte sich äußerst skeptisch: "Das Verhältnis zwischen Deutschland und Russland ist, so fürchte ich, auf Jahre zerrüttet", sagte er der "Neuen Osnabrücker Zeitung". "Ich sehe derzeit leider nicht, dass das durch den brutalen Krieg zerstörte Vertrauen in absehbarer Zeit wiederhergestellt werden kann."
Zwar wünschten sich alle so schnell wie möglich Frieden für die Ukraine. Aber auch dann liege die Zukunft der deutschen Energieversorgung nicht im Gas. "Die Zukunft sind erneuerbare Energien - hier vor Ort produziert oder importiert und gespeichert in Form von klimaneutralem Wasserstoff", erklärte Weil.
"Nicht wieder in Abhängigkeiten begeben"
Der schleswig-holsteinische Ministerpräsident Günther sagte, der Russland-Vorschlag seines Parteikollegen Kretschmer sei "nicht der richtige Weg". "Ich finde, wir sollten jetzt nicht die nächste Debatte darüber führen, dass wir uns wieder in Abhängigkeiten begeben", sagte Günther im Bericht aus Berlin. Ziel müsse es sein, "von Russland unabhängig zu sein".
FDP-Vize Wolfgang Kubicki bezeichnete Kretschmers Vorstoß als "ziemlich untauglichen Versuch, unser kurzfristiges Energieproblem zu lösen". Der Bundestagsvizepräsident rief stattdessen dazu auf, auch die heimischen Öl- und Gasvorkommen zu nutzen. "Ich erinnere daran, dass es entsprechende Regelungen zu den Öl- und Gasfeldern in der Nord- und Ostsee im Koalitionsvertrag gibt" sagte er den Funke-Zeitungen. Er erwarte, dass Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (Grüne) "diese Vereinbarung entsprechend würdigt und die Hebung dieser Potenziale schnellstmöglich angeht". Deutschland könne sich in dieser Situation "ideologische Bremsen nicht leisten".