Interview mit Ex-MdB Norbert Gansel "Die Grauzone ist größer geworden"
Der langjährige SPD-Bundestagsabgeordnete Norbert Gansel hat immer gegen verdeckte Einflüsse auf Abgeordnete gekämpft. Er selbst legte seine Einkünfte offen - und wurde dafür als Diäten-Gansel verspottet. In Sachen Nebentätigkeit gibt es für ihn eine einfache Lösung: Veröffentlichung der steuerpflichtigen Einnahmen.
tagesschau.de: Herr Gansel, hat ein Bundestagsabgeordneter eigentlich die Zeit, neben seinem Mandat noch andere Tätigkeiten wahrzunehmen?
Norbert Gansel: Eine geregelte Vollzeit- oder Halbtagstätigkeit ist nur bei Vernachlässigung des Mandats möglich. Dennoch sollte es kein Verbot von Nebentätigkeiten geben. Unverzichtbar ist aber die Veröffentlichung der Art und Höhe der einkommensteuerpflichtigen Nebeneinkünfte im Bundestagshandbuch und im Internet – am besten mit Angabe des dafür erforderlichen Zeitaufwandes. Nur so können die Verdachtsfälle von wirtschaftlicher Abhängigkeit oder gar von Käuflichkeit verhindert werden. Es geht also nicht um Verbote akzeptabler Nebentätigkeit, sondern um Transparenz und Kontrolle.
tagesschau.de: Sie haben vor Jahrzehnten damit angefangen, Ihre Einkünfte öffentlich darzulegen. Was hat der Bürger eigentlich von dieser Offenheit?
Gansel: Die Bürger können kontrollieren, ob ihre Abgeordneten ihre volle Arbeitskraft dem Mandat widmen, wie sie es vor Wahlen immer versprechen, und ob sie wirtschaftlich unabhängig bleiben. Es geht um politische Transparenz und die Glaubwürdigkeit des Parlaments und nicht um gläserne Abgeordnete ohne Privatsphäre.
tagesschau.de: Ihrem Beispiel sind bis heute nur sehr wenige Ihrer Kollegen gefolgt. Warum?
Gansel: Ich habe großen Respekt vor den Abgeordneten, die bisher freiwillig ihre Nebeneinkünfte offen legen und die nun - wie zum Beispiel das Netzwerk der jungen Abgeordneten in der SPD-Fraktion – schärfere Regelungen fordern. Mein Kollege Peter Conradi hat mit der Offenlegung seiner Steuererklärung schon früher ein besonderes Beispiel gegeben – sie alle haben dafür von den Bürgern Anerkennung erhalten, in der so genannten politischen Klasse aber Ärger, Spott und auch Feindseligkeit. Anders ausgedrückt: Die Offenlegung war für Abgeordnete schon ein so genanntes Karrierehindernis.
tagesschau.de: Es gibt derzeit immer neue Vorschläge, um dem Problem der Nebeneinkünfte von Abgeordneten beizukommen. Würde ein gänzliches Verbot helfen?
Gansel: Ich bin gegen ein allgemeines Verbot, aber für eine schlichte, kontrollierbare Lösung - keine umständlichen und bewusst missverständlichen, zusätzlichen Verhaltensregeln: Die Veröffentlichung der steuerpflichtigen Nebeneinkünfte nach Art und Höhe im Bundestagshandbuch und im Internet.
tagesschau.de: Wenn man die Fälle Arentz und Meyer als Beispiel nimmt – was steckt eigentlich wirklich dahinter? Persönliche Gier?
Gansel: Es sind die vom Bundeskanzler jüngst gescholtene Mitnahmementalität und die Erwartung, nicht öffentlich erwischt zu werden – und viele andere mögliche Motive. Es ist jedenfalls ein Mangel an Ehrlichkeit und Selbstbescheidung.
tagesschau.de: Wie stark schätzen Sie die Gefahr ein, dass Unternehmen und Verbände Abgeordnete durch weiterlaufende Gehaltszahlungen oder andere Zuwendungen beeinflussen oder auch kaufen?
Gansel: Nach meiner Erfahrung gibt es dunkle und graue Zonen, in denen Abgeordnete und Parteien zum Nutzen der Geldgeber und zum Nachteil der Steuerzahler bei politischen Entscheidungen beeinflusst werden.
tagesschau.de: Wenn Sie beim Thema Lobbyismus Ihre aktive Zeit als Bundestagsabgeordneter mit heute vergleichen: Wie groß ist der Unterschied?
Gansel: Mein Eindruck ist, dass diese Grauzone des illegitimen und illegalen Lobbyismus eher größer geworden ist – zum Nachteil der korrekt miteinander arbeitenden Verbände, Interessenvertreter und Abgeordnete. Auch das muss man sehen: Es gibt durchaus einen legitimen, nützlichen und rechtlich korrekten Lobbyismus. Aber die Grau- und Dunkelzonen haben zugenommen - Stichwort Spendenaffäre Helmut Kohl und das, was jetzt große Unternehmen über Gehaltslisten von politischen Mandatsträgern haben durchblicken lassen.
tagesschau.de: Woran liegt diese Entwicklung? Sind die Unternehmen dreister geworden oder sind die Politiker einfach nicht mehr so standhaft?
Gansel: Der Politik hat es an moralischer Ermutigung und Anerkennung gefehlt. Das sage ich auch an die Adresse der Medien. In der Wirtschaft sind die Konkurrenzkämpfe härter und rücksichtsloser geworden. Das färbt auch auf das Verhältnis zwischen Wirtschaft und Politik ab.
Das Interview führte Frank Thadeusz, tagesschau.de