Interview

Interview mit Politikwissenschaftler von Winter "Wirkung von Lobbyismus wird überschätzt"

Stand: 27.08.2007 01:35 Uhr

Die Diskussion um die Rechtmäßigkeit von Zahlungen an Politiker aus der Wirtschaft ist voll entbrannt.Schon wird ein neuer Verhaltenskodex für Parlamentarier gefordert. Sind die bekannt gewordenen Fälle Einzelbeispiele oder deuten sie auf ein die Demokratie gefährdendes Muster? Generell werde die Wirkung von Interessenbindungen auf das Verhalten von Politikern überschätzt, meint der Politologe Thomas von Winter.

tagesschau.de: Wenn man die aktuelle Diskussion verfolgt, hat man den Eindruck, dass Lobbyismus den Parlamentarismus aushöhlt. Ist das so?

Von Winter: Diese These von der Übermacht der Interessengruppen hat immer mal wieder Konjunktur. Politologen haben jedoch herausgefunden, dass eine solche Übermacht zumindest einzelner Interessen nicht besteht, wenn man viele Entscheidungsprozesse im Zusammenhang betrachtet. Mal setzt sich die eine Interessengruppe durch und mal die andere. Da die Zahl der Lobbyisten in neuerer Zeit ungeheuer zugenommen hat und viele von ihnen ausgeklügelte PR-Techniken anwenden, entsteht manchmal der Eindruck, als sei die Politik vom Lobbyismus dominiert. Aber aus der Vielzahl der Lobbyisten kann noch nicht auf ihren politischen Einfluss geschlossen werden.

Die Parteidisziplin entscheidet

tagesschau.de: Abgeordnete, die von einem Unternehmen ein Gehalt bekommen - darf das sein?

Von Winter: Ohne Frage können Nebeneinkünfte auch politische Verpflichtungen mit sich bringen. Sie bilden für viele Abgeordnete aber auch eine wirtschaftliche Basis, auf die man nach dem möglichen Ausscheiden aus dem Politikerberuf zurückgreifen kann. Insofern erleichtern sie die Rekrutierung von politischem Nachwuchs außerhalb des öffentlichen Dienstes. Es ist durchaus im Sinne der Demokratie, dass Abgeordnete aus unterschiedlichen gesellschaftlichen Bereichen stammen.

Generell wird die Wirkung von Interessenbindungen auf das Entscheidungsverhalten von Politikern in der Öffentlichkeit und teilweise auch von Wissenschaftlern überschätzt. In der Lobbyismus-Literatur besteht ein Hang zur Skandalisierung. Wenn Politiker Bindungen an Wirtschaftunternehmen haben, wird daraus oft der Schluss gezogen, sie seien politisch ferngesteuert. Die Lobbyismusforschung hat jedoch gezeigt, dass Politiker eng in ihre Parteien und Fraktionen eingebunden sind und dass dies für ihr Verhalten als Politiker letztlich den Ausschlag gibt. Das weitere Schicksal des heute vorherrschenden Typus des Berufspolitikers hängt in erster Linie von seiner Partei ab, daher ist im Entscheidungsfall die Parteidisziplin wichtiger als die Verpflichtung gegenüber bestimmten gesellschaftlichen Interessen.

Gravierende Veränderungen in der Lobbyarbeit

tagesschau.de: Ist das nicht ein schleichender Prozess? Sickern nicht langsam aber sicher bestimmte Forderungen von Verbänden in die politische Debatte ein?

Von Winter: Die so genannte „Innere Lobby" - gemeint sind die Parlamentarier mit Bindungen an bestimmte Interessengruppen - wird ja seit langem von der Verbändeforschung beobachtet. Seit den fünfziger Jahren lassen sich da gravierende Veränderungen feststellen. Nehmen Sie nur einmal das Beispiel der landwirtschaftlichen Interessen. Abgeordnete, die Mitglieder oder Funktionäre im Deutschen Bauernverband waren, fühlten sich damals viel stärker den Verbandsinteressen verpflichtet, als das heutzutage der Fall ist. Parteien und Fraktionen müssen heute eine Vielzahl von teilweise gegensätzlichen Interessen berücksichtigen und können sich daher nicht ohne weiteres auf eine Seite schlagen. Wenn sich ein Abgeordneter heute primär als Vertreter eines bestimmten Interesses verstehen würde, käme er im politischen Geschäft bald in Schwierigkeiten.

Viele konkurrieren um Einfluss

tagesschau.de: Warum hat sich dieser Wandel vollzogen?

Von Winter: Heute sind gesellschaftliche Interessen ausdifferenzierter. Früher bestand die Gesellschaft aus relativ einheitlichen Großgruppen und Milieus, in die auch Politiker stark eingebunden waren. Heute beobachten wir eine große Interessenvielfalt, die ihren Ausdruck auch im Verbändesystem findet. Es gibt kaum noch einen Verband, der ein ganzes Berufsspektrum repräsentieret. Man denke nur an die Ärzte. Während der Hartmannbund früher für einen großen Teil der Ärzte sprechen konnte, haben wir es heute mit einer Vielzahl von Fachverbänden zu tun, die nur mehr spezielle berufliche und Statusinteressen vertreten und die miteinander um politischen Einfluss konkurrieren.

Der einzelne Verband hat kaum noch so großes Gewicht, dass seine Mitglieder unter den Abgeordneten eine Lobby bilden könnten. Mit der Pluralisierung der Verbändelandschaft sind auch die alten Loyalitäten zwischen den großen Parteien und den Großverbänden schwächer geworden. Ganz deutlich kann man das an dem Verhältnis zwischen der SPD und den Gewerkschaften ablesen, das sich in neuerer Zeit ja erheblich abgekühlt hat.

tagesschau.de: Wo ist Lobbyismus denn am stärksten?

Von Winter: Vor allem in so genannten Politiknischen, also in Bereichen, die die Öffentlichkeit nicht besonders stark interessieren. Dort arbeiten Interessenvertreter oft mit der Ministerialverwaltung zusammen. Aber da geht es oft um spezielle Themen, die wenig politische Brisanz haben. Sobald ein Thema in der Öffentlichkeit diskutiert wird, hat eine einzelne Interessengruppe kaum eine Chance, sich politisch auf ganzer Linie durchzusetzen, weil natürlich sofort auch Gegeninteressen mobilisiert werden.

Professor Thomas von Winter lehrt am Institut für Politikwissenschaft der Philipps-Universität Marburg. Das Interview führte Frank Thadeusz, tagesschau.de