Ein Lahntaucher mit einem Straßenschild in einem Fluss.
mittendrin

Umweltschutz unter Wasser Die Müllsucher von der Lahn

Stand: 10.06.2023 11:15 Uhr

Sie tauchen in der Lahn bei Marburg und suchen nach Müll - seit drei Jahren jede Woche. Die jungen Lahntaucher haben schon mehr als acht Tonnen Müll geborgen, von Straßenschildern bis hin zu Waffen.

Schon beim Überstreifen des Neoprenanzugs in der Marburger Mittagssonne hat Flora Gläßer ein Lächeln auf dem Gesicht. "Uns macht es natürlich Spaß, im Wasser zu sein und zu tauchen", strahlt die 23-Jährige.

Wie viele im Team, das heute aus 14 Ehrenamtlichen besteht, hat sie Biologie studiert. "Der Umweltschutzaspekt ist für uns riesig. Flüsse sind die Müllautobahnen der Meere", erklärt sie. "Und das fängt genau an solchen Orten wie hier an."

Extreme Vermüllung in deutschen Flüssen

Im hessischen Marburg fließt die Lahn mitten durch die Stadt. Gerade unter Brücken ist die Vermüllung unter Wasser extrem. "Das ist echt ein Problem: Man sieht es nicht", beklagt Flora Gläßer. "Wenn jetzt hier glasklares Wasser wäre, dann hätten sich wahrscheinlich schon hunderte Leute beschwert. Aber so ist es nicht so im Bewusstsein der Menschen."

Gerade unter Wasser ist die Sicht im braun gefärbten Fluss extrem getrübt. Das bringt für die Lahntaucher - wie sie sich selbst nennen - auch große Gefahren mit sich, wenn sie ohne künstliche Atemluft auf dem Flussgrund nach Müll suchen. Die Sicherheitsvorkehrungen sind daher hoch. "Wir haben viel geübt und sind für viele Szenarien vorbereitet," erklärt Teamleiter Noah Boonma.

Wer runter geht, hat stets eine Taschenlampe dabei und eine Klinge, um sich im Notfall unter Wasser freischneiden zu können, etwa aus Angelschnüren. Selbst dem langjährigen Taucher Boonma ist das schon passiert. "Auch den Fund von Munition können wir niemals ausschließen, denn die wurde in den Weltkriegen immer in unseren Flüssen entsorgt", sagt der 28-Jährige. Niemand gehe daher alleine unter Wasser. Auf sich selbst und die anderen aufpassen ist Pflicht.

Gruppenbild der Lahntaucher.

Die "Lahntaucher" sammeln Müll in dem Fluss in Marburg.

Es begann mit einer Glasscherbe

Fast 100 Mülltauchgänge haben die Studierenden und Absolventen inzwischen schon absolviert, seit Boonma die Initiative gemeinsam mit einem Freund ins Leben gerufen hat. "Eine Kommilitonin hat sich beim Baden in der Lahn an einer Scherbe verletzt. Ursprünglich war nur die Idee, diesen Badebereich sauber zu machen," erzählt Boonma, der bald in Naturschutzbiologie promovieren möchte. "Am Ende hatten wir so viel Müll, dass wir das gar nicht mehr in den Mülleimer bekommen haben. So hat das Ganze dann angefangen." Insgesamt 8,3 Tonnen Müll hat sein Team, das immer größer geworden ist, seitdem aus der Lahn geholt.

Im Wasser gehen die Taucher auch an diesem Nachmittag systematisch vor: Sie machen genau dort weiter, wo sie eine Woche zuvor aufgehört hatten den Grund abzusuchen. Es dauert nicht lange, bis sie auch heute zum ersten Mal fündig werden. In zweieinhalb Metern Tiefe liegen gleich zwei Straßenschilder übereinander. Eines davon lässt sich schnell an die Oberfläche befördern, das andere klemmt unter Steinen fest. Die Bergung dauert deutlich länger. Doch es lohnt sich, die Freude über jedes herausgeholte Teil ist spürbar.

Ein aus einem Gewässer geborgenes Fahrrad.

Fahrräder sind das häufigste Fundstück der Taucher.

Zwischen Ärger und Traurigkeit

"Wieder ein Müllstück, das nicht mehr im Wasser ist. Jedes Teil zählt", findet auch Petra Hoffmann. Sie hat Psychologie studiert und gehört zur zweiten Hälfte des Teams, das auf Tretbooten unterwegs ist, um den ganzen Schrott an Land zu transportieren. "Natürlich ist immer die große Frage dahinter: Wer schmeißt das hier rein und wie kann man so sein?," sagt Hoffmann nachdenklich. Sie sei deswegen sauer und traurig zugleich, versuche aber, es konstruktiv anzugehen. Das Ziel ist, die Wasserqualität zu verbessern und etwas Gutes für die Tiere und die Umwelt zu tun. "Und wir wohnen ja auch alle hier", fügt Hoffmann hinzu.

In gut zwei Stunden im Wasser kommen noch ein Toaster, ein Handy, ein alter Bauzaun, eine Neon-Leuchtstoffröhre, ein weiteres Straßenschild und drei komplett verrostete Fahrräder dazu. "Fahrräder sind unser Fundstück Nummer eins", berichtet Hoffmann. Etwa 150 Stück haben sie mittlerweile aus der Lahn gezogen.

Auch Grill- und Kohlereste sind oft dabei, so auch heute. "Die Leute kommen an die Lahn, weil es hier so schön ist und schmeißen dann ihren Grillmüll in den Fluss", ärgert sich Teamleiter Boonma. "Den Ort, zu dem sie extra hingefahren sind, machen sie sich damit selbst kaputt."

Zwei Lahntaucher mit einem Absperrgitter in einem Fluss.

Auch Absperrgitter finden sich in der Lahn.

Ein Kleinkalibergewehr und haufenweise Müll

Der erschreckendste Fund dieses Einsatzes aber folgt ganz zum Schluss: ein Kleinkalibergewehr. Schnell ist auch die Polizei vor Ort. Kurzzeitig herrscht große Aufregung unter den jungen Umweltschützenden. "So etwas hatten wir schon öfter, auch mit Munition. Das hier ist eine scharfe Waffe", erklärt Boonma. "Man weiß natürlich nie, was damit passiert ist und warum sie reingeworfen wurde."

Gemeinsam wiegen sie schließlich am Uferweg, was sie heute geborgen haben: 171 Kilogramm Müll. Passanten sollen bewusst darauf aufmerksam gemacht werden, auch weil sich die Lahntaucher über Spenden finanzieren. "Eine super Arbeit, die hier gemacht wird", lobt Christian Waßmuth, der mit seiner Familie hier spazieren geht. "Erstaunlich, wie viel Müll das ist."

"Es fühlt sich bis jetzt niemand dafür verantwortlich", bringt Taucherin Gläßer das Problem auf den Punkt. Die Lahn sei dabei gar nicht besonders vermüllt. Das Problem gebe es in allen deutschen Flüssen, so die 23-Jährige.

Obwohl ständig Müll nachkommt, haben die "Lahntaucher" ein klares Ziel vor Augen: "Wir wollen die Lahn in Marburg Müll-frei bekommen", unterstreicht Gründer Boonma. "Das werden wir zwar nie zu hundert Prozent erreichen, aber wir wollen uns annähern."