Extremisten in Sicherheitsbehörden Faeser will Disziplinarrecht anpassen
327 Mitarbeiter von Sicherheitsbehörden mit Verbindungen zum Rechtsextremismus oder zu Reichsbürgern hat der Verfassungsschutz gefunden. Innenministerin Faeser will das Disziplinarrecht verschärfen, um solche Beamte leichter loszuwerden.
Unter den Bediensteten der Sicherheitsbehörden von Bund und Ländern sind innerhalb von drei Jahren 327 Mitarbeiter aufgefallen, die Bezüge zum Rechtsextremismus oder zur Szene der sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter haben. Das geht aus dem zweiten Lagebericht zu "Rechtsextremisten in den Sicherheitsbehörden" hervor, den das Bundesinnenministerium in Berlin vorgestellt hat. Betrachtet wurde darin der Zeitraum vom 1. Juli 2018 bis zum 30. Juni 2021.
Prinzipiell nahm Innenministerin Nancy Faeser die Beschäftigten des öffentlichen Dienstes in Schutz: Die ganz überwiegende Mehrzahl stehe fest auf dem Boden des Grundgesetzes, betonte sie. Damit aber ihr Ruf nicht unter wenigen Extremisten leide, müsse jeder Extremismusfall klare Konsequenzen haben. Bund und Länder sollten alle rechtlichen Möglichkeiten ausschöpfen, um Verfassungsfeinde schneller als bisher loszuwerden.
Dazu gehöre auch, die rechtlichen Möglichkeiten für eine Entfernung aus dem Dienst zu verschärfen: "Einen Gesetzentwurf zur Änderung des Bundesdisziplinargesetzes werde ich noch in diesem Jahr vorlegen", kündigte Faeser an. Es sei unbefriedigend, dass sich die Verfahren in der Regel über mehrere Jahre hinzögen.
Rund 140 Fälle auf Bundesebene
Im Geschäftsbereich des Militärischen Abschirmdienstes, der rund 242.000 Soldaten der Bundeswehr und Zivilbeschäftigte umfasst, wurden 83 Rechtsextremisten festgestellt. Bei der Bundespolizei mit ihren heute mehr als 54.000 Mitarbeitern fielen 18 Rechtsextremisten auf. Beim Zoll waren es laut Bericht vier rechtsextremistische Mitarbeiter, beim Bundeskriminalamt zwei, beim Bundesamt für Verfassungsschutz, dem Bundesnachrichtendienst und der Bundestagspolizei war es jeweils ein Mitarbeiter.
Hinzu kommen insgesamt 30 Verdachtsfälle und erwiesene Extremismusfälle von Bediensteten der Sicherheitsbehörden des Bundes, die der Szene der "Reichsbürger" und Selbstverwalter zugerechnet werden. Die sogenannten Reichsbürger und Selbstverwalter zweifeln die Legitimität der Bundesrepublik Deutschland an. Sie weigern sich oft, Steuern zu zahlen. Die Sicherheitsbehörden rechneten der Szene zuletzt rund 19.000 Menschen zu.
Verfassungsschutz sieht kein überregionales Netzwerk
Beobachtet wurde bei den auffälligen Mitarbeitern beispielsweise die Teilnahme an extremistischen Veranstaltungen, Kontakte zu extremistischen Parteien oder "Heil-Hitler"-Rufe. Auch wenn einige Akteure gemeinsam in Chatgruppen aktiv waren, in denen rechtsextremistische Inhalte geteilt wurden, liefert der Bericht keine Hinweise auf ein überregionales Netzwerk von Extremisten aus verschiedenen Sicherheitsbehörden.
Verbindung zur Hooligan- und Kampfsportszene
Was dem Verfassungsschutz, der die Informationen zusammengetragen hat, allerdings auffiel, sind die zahlreichen Verbindungen der als Rechtsextremisten eingestuften Mitarbeiter zu extremistischen Akteuren und Parteien sowie zu Organisationen der Hooligan- und Kampfsportszene, die dem "subkulturellen Rechtsextremismus" zugerechnet werden.
Den Angaben zufolge waren im Erhebungszeitraum die Aktivitäten von insgesamt 860 Bediensteten betrachtet worden. In 38 Prozent der bewerteten Fälle lagen laut Bericht die Voraussetzungen für eine weitere nachrichtendienstliche Bearbeitung vor.
Auslöser Fall Franco A.
In der zurückliegenden Wahlperiode hatte sich auch das Parlamentarische Kontrollgremium des Bundestags intensiv mit Rechtsextremisten in den Sicherheitsbehörden beschäftigt. Ausgangspunkt war der Fall des Bundeswehroffiziers Franco A.. Die Bundesanwaltschaft wirft ihm vor, Anschläge auf Politiker geplant zu haben. Franco A. hatte sich eine falsche Identität als syrischer Flüchtling zugelegt - aus Sicht der Ankläger, um nach einem Anschlag den Verdacht auf Flüchtlinge zu lenken und damit das Vertrauen in die Asylpolitik zu erschüttern.
A. war 2017 auf dem Wiener Flughafen festgenommen worden, als er eine geladene Pistole aus einem Versteck in einer Flughafentoilette holen wollte. Was er mit der Waffe plante, ist noch nicht bekannt. Der Prozess gegen ihn läuft noch.
Knapp 190 Fälle in den Ländern
In den Ländern nehme Mecklenburg-Vorpommern mit 17 erfassten Fällen eine alarmierende Spitzenposition im Ländervergleich ein, erklärte der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Schweriner Landtag, Michael Noetzel. Hinzu kämen aktuell neun Prüffälle. Bereits die Enttarnung des "Nordkreuz"-Netzwerks im August 2017 habe deutlich gemacht, "dass das Problem auch in Mecklenburg-Vorpommern grassiert."
In der "Nordkreuz"-Causa hätten sich Polizisten zusammengeschlossen, menschenverachtende Chatnachrichten verschickt, und sich auf den Zusammensturz der staatlichen Ordnung vorbereitet, den sie mutmaßlich zur Tötung von missliebigen Personen nutzen wollten, sagte Noetzel. Ein Untersuchungsausschuss zu Rechtsterrorismus in Mecklenburg-Vorpommern solle sich auch mit Netzwerken in den Sicherheitsbehörden des Landes auseinandersetzen.
Verdachtsfälle findet nur, wer sucht
Im bevölkerungsreichsten Bundesland Nordrhein-Westfalen wurden im betrachteten Zeitraum laut Bericht 179 Sachverhalte untersucht, bei denen ein Verdacht auf Rechtsextremismus bestand. In Berlin waren es 74 Fälle. Auf Platz drei lag Hessen mit 60 überprüften Sachverhalten. In Bayern waren es 38. In Sachsen gab es 26 Prüf-, Verdachts- und erwiesenen Fälle von Rechtsextremismus.
Allerdings bilden diese Zahlen nicht nur den Umfang des Phänomens in den Sicherheitsbehörden des jeweiligen Bundeslandes ab, sondern auch das Problembewusstsein, das vor Ort herrscht. Wenn einige Vorgesetzte genauer hinschauen als andere, kann dies zu mehr Verdachtsfällen führen, die andernorts unentdeckt bleiben.