Berlin Ruhnert wechselt in die Politik: Das Ende einer Union-Ära
Oliver Ruhnert verlässt Union Berlin. Mit seinem Wechsel in die Politik endet für die Eisernen eine sportliche Ära. Unter Ruhnert gelang dem Verein erst der Aufstieg und dann der Einzug in die Champions League. Von Till Oppermann
Ja, 2024 war ein aufregendes Jahr für den 1. FC Union Berlin. Aber dass Bundeskanzler Olaf Scholz in die Personalplanung der Köpenicker eingreifen würde, hatte wohl niemand mehr auf dem Zettel. Zumindest indirekt.
Denn durch die vorgezogenen Neuwahlen nach dem Ende der Ampelkoalition entstand Druck auf Chefscout Oliver Ruhnert. Der neue Berliner Spitzenkandidat des Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) verlässt Union zum Jahreswechsel. Mit dem ursprünglich geplanten Wahltermin im September hätte er vor dem Wahlkampf noch die Saison mit Union beenden können. Jetzt geht es direkt im neuen Jahr in die heiße Phase.
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Zeitplan mit Heldt
Daraus, dass er seine berufliche Zukunft außerhalb des Fußballs sieht, hat Ruhnert nie einen Hehl gemacht. Lange Jahre saß er für die Linke im Stadtrat seiner Heimatstadt Iserlohn. Schon als Sahra Wagenknecht vor knapp einem Jahr ihre neue Partei gründete, sprach Ruhnert in der "Sport Bild" von einem "interessanten und spannenden Projekt". Und: "Wenn man in die Bundespolitik will, dann sollte man nicht noch fünf Jahre warten."
Die Einarbeitung seines Sport-Geschäftsführer-Nachfolgers Horst Heldt endet deshalb schon früher als geplant. Ihn hatte Ruhnert Union empfohlen, bevor er im letzten Sommer die sportliche Verantwortung gegen seinen alten Job als Chefscout eintauschte.
Rasante Entwicklung mit Ruhnert
Am 9. August 2017 hatte Union Ruhnert in genau dieser Position in den Verein geholt. Schon ein Jahr später wurde er nach einer enttäuschenden Zweitligasaison zum Geschäftsführer Profifußball befördert. "Er hat ein hervorragendes Netzwerk und ist in der Lage, große Strukturen zu führen", sagte Präsident Dirk Zingler damals.
Ein Satz mit Weitsicht. Denn unter Ruhnerts Führung schaffte der Verein nicht nur den lang ersehnten Aufstieg in die Bundesliga. Unions Umsatz stieg von 54,69 Millionen Euro 2018/19 auf 186 Millionen Euro in der vergangenen Saison. Mittlerweile hat der Klub weit über 300 Mitarbeiter, eine Frauenmannschaft auf dem Weg in die Bundesliga und ein nagelneues Nachwuchsleistungszentrum. Zudem steht der Klub kurz davor, das vereinseigene Stadion auf über 40.000 Plätze auszubauen.
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Architekt des sportlichen Erfolgs
Der Motor dieser Entwicklung waren die Erfolge im sportlichen Bereich. Gemeinsam mit Trainer Urs Fischer wurde Oliver Ruhnert zum Gesicht eines Vereins, der nach dem Klassenerhalt in der ersten Erstligasaison dreimal in Serie in den Europapokal einzog. Der Höhepunkt dieser Entwicklung war der 27. Mai 2023: Mit einem 1:0 Sieg über Werder Bremen qualifizierte sich Union für die Champions League. Torschütze an diesem Nachmittag war Rani Khedira – ein Spieler, an dem man gut erklären kann, wie Ruhnert mit seinen Transfers zum eisernen Erfolg beitrug.
Khedira kam 2021 als gestandener Bundesligaspieler ablösefrei vom FC Augsburg. Mit "günstig und erfahren" konnte man insbesondere in Ruhnerts ersten Jahren die meisten Union-Transfers beschreiben. Seit dem Aufstieg stellte Union an den meisten Spieltagen die älteste Startelf der Liga. Dafür waren die Eisernen bis 2023/24 aber auch das Team, das pro investiertem Euro die mit Abstand meisten Punkte holte.
Der Bruch im CL-Jahr
Und das, obwohl Union in jedem Sommer wichtige Abgänge zu verkraften hatte. Einige Ruhnert-Transfers wie Robert Andrich und Jamie Leweling wurden nach ihren Wechseln zu neuen Vereinen sogar Nationalspieler. Ironischerweise war die erste Transferperiode, in der Union keine wichtigen Spieler verlor, gleichzeitig der erste Rückschlag in Ruhnerts Karriere an der Spitze von Union.
Für die Champions League verpflichtete er mit Robin Gosens und Leonardo Bonucci zwei große Namen, die mittlerweile schon wieder weg sind. Andere Neuzugänge wie Kevin Volland, David Datro Fofana und Lucas Tousart konnten die Mannschaft ebenfalls nicht nachhaltig verstärken. Weil gleichzeitig etwa durch eine Verletzung von Khedira oder den schwachen Leistungen des wechselwilligen Sheraldo Becker auch die Helden der Vorjahre nicht mehr vorneweggingen, geriet Union in den Abstiegsstrudel.
Nach 14 sieglosen Spielen trennten sich der Klub und Erfolgstrainer Fischer im November 2023. Auch danach kam der Verein nicht zur Ruhe. Unter anderem auch deshalb, weil Ruhnert und Präsident Dirk Zingler mit Nenad Bjelica einen Nachfolger präsentierten, den Teile der Mannschaft ablehnten.
Ende einer Ära
Mittlerweile wurde Bjelica durch Bo Svensson ersetzt. Bei dessen Vorstellung Ende Juni nahm Ruhnert schon gar nicht mehr an der Pressekonferenz teil. Als Chefscout war er nicht nur damit beschäftigt, neue Spieler zu finden, um Union für die Zukunft in der Bundesliga zu wappnen. Gleichzeitig war es seine Aufgabe, Horst Heldt geordnet in den Job einzuarbeiten. "Wenn der heiße Wahlkampf beginnt, wird mein Arbeitsvertrag ruhend gestellt", erklärte Ruhnert am Dienstag gegenüber rbb|24.
Sollte seine Partei in den Bundestag einziehen, würde das Arbeitsverhältnis endgültig beendet werden, so Ruhnert weiter. Für den 1. FC Union Berlin endet schon jetzt eine Ära. Von den überregional bekannten Gesichtern bei Union waren nur Präsident Dirk Zingler und Kapitän Christopher Trimmel länger im Verein.
Sendung: Der Tag, 19.11.2024, 19:15 Uhr