Berlin Berliner Landespokal-Spiel: Was hinter dem Influencer-Klub Delay Sports steckt
Delay Sports wurde von Influencern gegründet, der Hype war am Anfang riesig. Nun wartet am Samstag gegen den BFC Dynamo das größte Spiel in der noch jungen Vereinsgeschichte. Über ein Phänomen und sein Potential. Von Aljoscha Huber
Sonntag kurz vor 12 Uhr bei vier Grad in Wilmersdorf. Weniger als 50 Zuschauer stehen am Sportplatz am Schoelerpark. Entweder hat der Hype verschlafen oder es ist ihm schlicht zu kalt. Delay Sports, der von den Influencern Elias Nerlich und Sidney Friede gegründete Verein, spielt gleich in der Kreisliga A gegen den FC Treptow. Das Social-Media-Team von Delay macht vor dem Spiel auf dem Platz Aufnahmen und interviewt Spieler.
"Scheiße, ist ja mega peinlich, wenn wir hier heute die Bude voll bekommen"
Neben der Trainerbank ragt ein Stativ drei Meter in die Höhe, darauf eine Kamera, die den ganzen Platz überblickt. Auf der anderen Seite des Platzes haben sich die Spieler vom FC Treptow zum Einlaufen aufgestellt. Mit Blick auf das Kamerateam von Delay sagt einer der Treptower: "Scheiße, ist ja mega peinlich, wenn wir hier heute die Bude voll bekommen". Es ist die Generalprobe vor dem größten Spiel in Delays junger Vereinsgeschichte: Am Samstag, 13 Uhr, trifft der 2021 gegründete Verein im Berliner Landespokal auf den Regionalligisten Dynamo Berlin.
Nerlich und Friede gehören zu Deutschlands bekanntesten Influencern. Auf der Streamingplattform Twitch hat allein Nerlich über 2 Millionen Abonnenten, auf Instagram über 1,5 Millionen. Der 26-Jährige ist zudem Mitinitiator der Kleinfeld-Liga "Icon League", bei der auch der einstige Weltmeister Toni Kroos beteiligt ist. Gemeinsam mit Friede betreibt Nerlich außerdem eine erfolgreiche Getränkemarke.
Sidney Friede stand 2018 noch im Bundesliga-Kader von Hertha BSC. Nach einer Verletzung beendete er seine Karriere und konzentrierte sich auf Social Media. Bei Delay spielt er, wenn es Verletzungen und andere Verpflichtungen zulassen.
Die enorme Reichweite von Friede und Nerlich überträgt sich auch auf den Verein: Die Instagram-Seite von Delay Sports hat mit über 500.000 Followern deutlich mehr als die beiden großen Berliner Klubs Hertha oder Union. Besonders in der Anfangszeit bekam man einen Eindruck davon, was Follower-Zahlen in der analogen Welt bedeuten. Zu Spielen pilgerten damals junge Fans aus ganz Deutschland: Zu einem Testspiel gegen Tasmania Berlin kamen 2022 4.500 Zuschauer, zum Pflichtspielauftakt in der Kreisliga C waren es über 1.000.
Würste auf dem Grill statt Plettigoal auf Sky Sport News HD
Von dem Hype sind nicht alle begeistert. So heißt es in zahlreichen Kommentaren in sozialen Netzwerken, der Klub sei nur zur Reichweitenvergrößerung geschaffen worden, sei eine Plattform, um Content zu erzeugen, eine neue Einnahmequelle der beiden Geschäftsleute – und das alles auf dem Rücken des Amateurfußballs: dem Fluchtort vieler Fußballfans, die das sich immer schneller drehende Geld-Karussell der Top-Ligen nicht mitfahren wollen. Kreisliga statt Kommerz, Bolzplatz statt Baller-League, Würste auf dem Grill statt Plettigoal auf Sky Sport News HD.
Sidney Friede entgegnet gegenüber rbb|24: "Wir und die Jungs wollen einfach Spaß am Fußball haben. Der Kern der Mannschaft besteht aus vielen ehemaligen Mannschaftskollegen von uns oder auch Schul- und Jugendfreunden."
Wenn Elias Nerlich und Sidney Friede in ihren Streams und Videos über Delay Sports sprechen, vermitteln sie, dass sie Freunde sind, die das Projekt mit Spaß, aber dennoch ambitioniert betreiben. Das bestätigen auch Akteure aus dem Berliner Amateursport, die mit den beiden zu tun haben.
"Die ökonomischen Möglichkeiten sind riesig"
Dennoch: "Man unterschätzt die Phänomene leicht, wenn man sagt, das sei nur ein neues Influencer-Projekt. Am Ende des Tages ist es die Vermarktung einer Geschäftsidee", sagt Christoph Bertling, Leiter des Instituts für Kommunikations- und Medienforschung an der Deutsche Sporthochschule in Köln. "Die Reichweiten sind enorm hoch und Reichweite ist die Währung, die man braucht, um zu verdienen". Werbung, Sponsoring, Merchandising, Tantieme von YouTube oder sogar Lizensierung für Content: "Die ökonomischen Möglichkeiten sind riesig."
Tatsächlich wirkt an diesem Sonntag bei der Kreisliga-Partie Vieles bodenständig. Delays Trainer Andreas Schild hat seine Hände tief in seiner langen Daunenjacke vergraben, begrüßt Jugendspieler mit Handschlag. Beim Einlaufen blickt er grinsend zum Bratwurststand (3,50 Euro). Von dort hallt es wenig später über den Platz in Richtung Trainer: "Mit Senf, Andreas?". Kreisliga eben.
Die Deutsche Krebshilfe als Sponsor
Für Schild ist Delay Sports ein normaler Verein: "Wir machen alles wie alle anderen auch. Wir haben eine Jugend aufgebaut und müssen um jeden Euro kämpfen wie alle anderen auch", sagt er zu rbb|24. "Keiner unserer Spieler bekommt Gehalt", sagt Sidney Friede. Anstatt etwa einen Landesligisten zu übernehmen, entschied man sich dafür, ganz unten anzufangen: "Unser Traum war es, einen Verein neu zu gründen, mit ihm in der untersten Liga zu starten und uns dann sportlich hochzuarbeiten und nicht den Weg des geringsten Widerstandes zu gehen", sagt Friede. Seit 2022 macht Delay Sports auf seinen Trikots unentgeltlich Werbung für die Deutsche Krebshilfe.
Dass sich aktuell viele schillernde Influencer dem vermeintlich bodenständigen Fußball, etwa in Form der Icon- oder Baller League, zuwenden, ist für Wissenschaftler Bertling kein Zufall: "Ökonomisch ist das die Marktlücke schlechthin, weil diese Bereiche noch nicht so stark kommerzialisiert sind. Man spielt nach außen mit der Sozialromantik und dem Bolzplatz-Image. Es ist aber natürlich Kommerz."
Es geht nicht um das reale Event, sondern was man digital daraus machen kann. Die digitale Aufbereitung ist viel wichtiger als das eigentliche Geschehen vor Ort.
Zunehmend finden Influencer und ihre Inhalte nicht mehr nur im digitalen Raum statt. Influencer seien darauf angewiesen, immer neuen Content zu erstellen. Dabei nur ein nachrangiger Faktor: die Zuschauer vor Ort, so Bertling. Als Beispiel zieht er den am Wochenende stattfindenden Boxkampf zwischen dem Influencer Jake Paul und Mike Tyson heran. "Wichtiger als der Kampf an sich ist eigentlich die Dauerbeschallung und Aufmerksamkeitsgenerierung, die man bis Kampfbeginn hinbekommen hat und danach noch generieren kann", sagt Bertling. Deshalb sei es auch egal, wenn bei einem Kreisligaspiel von Delay nur 50 Zuschauer sind. "Es geht nicht um das reale Event, sondern was man digital daraus machen kann. Die digitale Aufbereitung ist viel wichtiger als das eigentliche Geschehen vor Ort."
Prominente Partnerschaften
Etwas, das Delay ganz offensichtlich von einem gewöhnlichen Kreisligaverein unterscheidet, ist der Anspruch: Problemlos besiegt Delay Sports den FC Treptow mit 6:1 – trotzdem geht Trainer Schild nach der Partie hart ins Gericht mit seiner Truppe. "Ganz schlecht war das. Unterirdisch. Die 2. Halbzeit war eine Katastrophe."
Der hohe Anspruch begründet sich unter anderem durch professionelle Strukturen: Delay Sports verfügt über eine Partnerschaft mit den Ausrüstern Adidas und 11teamsports. Das schaffe "besondere Möglichkeiten der Saisonvorbereitung, wie der Besuch im 'Adidas-Homeground' in Herzogenaurach", sagt Friede. Ohne Punktverlust marschierte Delay durch die Kreisliga C und die Kreisliga B. Aktuell ist Delay zweiter hinter BSV Al-Dersimspor II. "Das Ziel ist es, irgendwann in der Liga gegen Dynamo zu spielen", sagt Trainer Schild. Langfristig will der derzeitige Neuntligist also auf Regionalliga-Niveau sein.
Dass Delay Sports vor zwei Jahren direkt in der Kreisliga C starten durfte, verdanken sie einer Ausnahmegenehmigung des Berliner Fußball-Verbandes. Eigentlich muss eine neu gegründete Mannschaft in Berlin erst drei Jahre in der Freizeitliga kicken – Delay Sports nicht. Der Verband habe sich vom neuen Klub versprochen, "dass der gesamte Berliner Fußball von der Innovationskraft und Reichweite von Delay Sports profitieren kann", so Malte Schruth, BFV-Präsidialmitglied. "Das Zwischenfazit ist sehr positiv. Auch im Verband gab es Skepsis, aber bis jetzt ging die Rechnung auf", sagt er am Telefon.
"Opportunismus" beim Berliner Fußball-Verband
Als Auflage musste Delay innerhalb von zwei Jahren zwei Jugendmannschaften stellen, was sie erfüllten. Schruth gesteht aber auch: "Da mussten wir ein bisschen opportunistisch sein. Nicht sofort sagen: 'Hilfe, die Influencer wollen nur ihre Produkte verkaufen.' Sondern verstehen, dass man neue Allianzen zulassen muss. Uns ist klar, dass Delay das nicht nur aus altruistischem Interesse macht und eigene ökonomische Ziele hat."
"Es wäre schon ein Erfolg, wenn wir nicht zweistellig verlieren", sagt Andreas Schild vor dem größten Spiel in der Vereinsgeschichte gegen den BFC Dynamo nach dem Spiel gegen Treptow zu rbb|24. Aus Kapazitäts- und Sicherheitsgründen gab Delay das Heimrecht ab. Im Sportforum werden rund 2.500 Fans erwartet.
Bei der Generalprobe am Sonntag gegen den FC Treptow sind Friede und Nerlich nicht da. Neben ihrer Tätigkeit als Vereinsgründer sind sie: Twitch-Streamer, E-Sportler, Content Creator, Influencer, Geschäftsleute, Instagram-Stars. Und an diesem Sonntag ist eben gleichzeitig ein Fortnite-Turnier in Köln. Schlechtes Timing. Ein Zeichen, dass sie das Projekt nicht so ernst nehmen? Ein Blick auf das Streaming-Equipment, die meterhohe Kamera die das Spiel filmt. Ob das gerade an tausende Twitch-Zuschauer gestreamt wird? "Nein", sagt der Mann in Delay-Trainingsjacke, der die Kamera bedient. Das werde nur für eine Person gestreamt. Auf dem Bildschirm steht: "eliasn97", der Twitch-Name von Elias Nerlich.
Sendung: Der Tag, 14.11.2024, 19:15 Uhr