Archivbild: Ein Gebäude der Klinik für Forensische Psychiatrie (Maßregelvollzug) auf dem Gelände des Martin Gropius Krankenhauses in Eberswalde (Brandenburg), fotografiert am 29.04.2016. (Quelle: dpa-Zentralbild/Patrick Pleul)

Brandenburg Berlin Maßregelvollzug stark überbelegt - scharfe Kritik von Anti-Folter-Experten

Stand: 23.01.2025 20:34 Uhr

Im Maßregelvollzug landen unter anderem Inhaftierte mit psychischen Erkrankungen oder Suchtproblemen. Die beiden Anstalten in Brandenburg sind seit Jahren überfüllt. Auch in Berlin ist die Lage angespannt.

Die Einrichtungen des Maßregelvollzugs in Brandenburg sind nach Angaben des Sozialministeriums weiterhin überbelegt. Ähnliches gelte auch für Berliner Anstalten. Hier hat sich aufgrund der Verhältnisse sogar die Nationale Stelle zur Verhinderung von Folter eingeschaltet. Dies ist eine unabhängige nationale Einrichtung zur Prävention von Folter und Misshandlung [nationale-stelle.de].

Scharfe Kritik an Berliner Verhältnissen

Die Nationale Stelle kritisiert die Rahmenbedingungen des Berliner Maßregelvollzugs deutlich. Insbesondere die Überbelegung des Krankenhauses für den Maßregelvollzug (KMV) beanstandete die Nationale Stelle mit Bezug auf ihren Besuch im April vergangenen Jahres, zu dem nun der Bericht vorgelegt wurde. Je nach Belegungsdruck müssten untergebrachte Personen auf am Fußboden liegenden Matratzen schlafen, heißt es im Bericht, das erachte die Nationale Stelle als untragbar.
 
Zum Besuchszeitpunkt war das KMV mit 613 untergebrachten Personen bei einer Kapazität von 549 Plätzen deutlich überbelegt. Seitdem hat sich die Zahl der untergebrachten Patientinnen und Patienten auf 621 erhöht, wie die Senatsverwaltung für Gesundheit auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur mitteilte. Dem Besuchsbericht zufolge sei auch die Mehrfachbelegung mit teils bis zu fünf Personen in einem Zimmer ein Problem, der Mangel an Privatsphäre könne Aggressionen auslösen und Zwischenfälle provozieren.
 
Problematisch sei außerdem die Personalsituation. Zum Besuchszeitpunkt sei etwa ein Viertel der Stellen unbesetzt gewesen, darunter über 100 Stellen im Bereich Pflege. Deswegen würden Therapieangebote und Arztvisiten ausfallen.

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Steigende Zahl an unterzubringenden Personen in Berlin

Die Senatsverwaltung für Gesundheit, Wissenschaft und Pflege verwies in einer Stellungnahme auf von Staatsanwaltschaften und Gerichten zugewiesene steigende Zahl an Personen, die untergebracht werden müssen, teils sogar am gleichen Tag.
 
Um die Kapazitäten zu erweitern, sollen Teile der ehemaligen Jugendarrestanstalt in Lichtenrade im Bezirk Tempelhof-Schöneberg voraussichtlich ab September oder Oktober genutzt werden, so die Senatsverwaltung. Dort solle es 49 weitere Betten geben. Auch werde das Haus 8 auf dem Gelände der ehemaligen Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik weiterhin saniert, dort sollen etwa 60 weitere Plätze geschaffen werden.
 
Man befinde sich auch weiterhin in Verhandlungen mit anderen Bundesländern, um Straftäter in anderen Anstalten unterzubringen. Auch würden 25 Patienten zeitweise im Krankenhaus des Justizvollzugs untergebracht, und es werde die temporäre Aufnahme in Krankenhäusern der psychiatrischen Regelversorgung geprüft.

Bei der Personalsituation sei zu berücksichtigen, dass sämtliche forensisch-psychiatrische Einrichtungen in Deutschland mit akuten Personalengpässen konfrontiert seien. Die Arbeitsmarktlage sei äußerst angespannt und die Bewerbersituation sehr schwierig. Derzeit seien rund 79 Prozent aller Planstellen besetzt.

 Ein Gebäude der Klinik für Forensische Psychiatrie (Maßregelvollzug) auf dem Gelände des Martin Gropius Krankenhauses in Eberswalde (Brandenburg), fotografiert am 29.04.2016. (Quelle: dpa-Bildfunk/Patrick Pleul)
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In Brandenburg lag die durchschnittliche Belegung in der geschlossenen und der offenen Unterbringung im vergangenen Jahr bei knapp 15 Prozent über der geplanten Kapazitätsspitze, wie ein Sprecher des Potsdamer Ministeriums am Donnerstag erklärte. Das waren 307 belegte Plätze. Allerdings sind nur 269 reguläre Plätze vorhanden.
 
Die zwei Anstalten in Brandenburg an der Havel und in Eberswalde sind deutlich überlastet. Die Anzahl der Patienten richte sich nach der Entscheidung der Gerichte, führte der Sprecher aus. Er sehe, wie von einer Unterbringung im Maßregelvollzug immer häufiger Gebrauch gemacht werde.
 
Allerdings würden nach einer Reform Ende 2023 weniger Menschen in den Maßregelvollzug gebracht. Durch die Reform solle der Fokus wieder stärker "auf wirklich behandlungsbedürftige und -fähige Täter" gerichtet werden. Das könne zur Entlastung der Einrichtungen beitragen, sagte der Sprecher.

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26 neue Plätze sollen geschaffen werden

Bereits seit einigen Jahren übersteigt die durchschnittliche Belegung die gesetzten Kapazitätsgrenzen. Im vergangenen Jahr gab es 68 Aufnahmen im Brandenburger Maßregelvollzug. Demgegenüber standen 66 Entlassungen. 2023 seien trotz der Überlastung "keine Straftäterinnen und Straftäter aus Kapazitätsgründen aus dem Maßregelvollzug entlassen" worden, hieß es damals aus dem Ministerium. Allerdings war es in Einzelfällen zu längeren Wartezeiten bis zur Aufnahme gekommen.
 
Die Landesregierung will nun den Angaben zufolge bei den zwei verbliebenen Einrichtungen mit der Schaffung von zusätzlichen Plätzen gegensteuern. Am Standort Eberswalde sollen laut Sozialministerium 2025 etwa 20 neue Plätze hinzukommen. In Brandenburg an der Havel werden im stationären Bereich sechs neue Plätze entstehen.

In den Maßregelvollzug kommen Straftäter, wenn ein Gericht sie als psychiatrisch auffällig oder suchtkrank einstuft. Sie verbringen dort teils mehrere Jahre. Ist kein Behandlungsplatz im Maßregelvollzug frei, kommen Straftäter zunächst in die sogenannte Organisationshaft im regulären Gefängnis. Dabei darf eine bestimmte Zeitspanne jedoch nicht überschritten werden, sodass eine Entlassung droht.

Sendung: Antenne Brandenburg, 23.01.2025, 9 Uhr