Hessen Rainbow Refugees droht das Aus: Hessen will Fördergelder komplett streichen
Seit vielen Jahren hilft das preisgekrönte Projekt Rainbow Refugees in Hessen queeren Geflüchteten. Student Safa aus Darmstadt verdankt der Arbeit sogar sein Leben, wie er sagt. Doch das Land will die Fördergelder komplett streichen.
Es ist gar nicht so lange her, da wollte Safa seinem Leben ein Ende setzen. Weil er schwul ist. Denn in seiner Heimat Afghanistan gelte schwules Leben als minderwertig, als Schande, die die ganze Familie beschmutzt.
"Ich hatte keine Hoffnung mehr", sagt der heute 24-Jährige, wenn er auf die Zeit vor etwa fünf Jahren zurückblickt. Damals, mit Beginn der Corona-Pandemie, fing er an, sich mit seiner sexuellen Orientierung und Identität auseinanderzusetzen. Er merkte, dass er schwul ist. Und dass ihn das in seiner Heimat und vor allem in seiner Familie zur unerwünschten Person macht. Seitdem die Taliban an der Macht sind, werden queere Menschen sogar offen verfolgt, gefoltert und getötet.
Der einfachste Ausweg schien der Tod
"Warum bin ich so, und will ich so sein?", war die Frage, die Safa nicht mehr losließ. Und obwohl er zu dieser Zeit bereits vier Jahre in Deutschland lebte, glaubte er immer noch: "Es ist unmöglich, schwul zu sein." So war es ihm in Afghanistan beigebracht worden. Der einfachste Ausweg schien ihm damals der Tod. "Ich wollte aus dem Leben meiner Familie verschwinden."
Wenn es Ihnen nicht gut geht oder Sie daran denken, sich das Leben zu nehmen, versuchen Sie, mit anderen Menschen darüber zu sprechen. Das können Freunde oder Verwandte sein, es gibt aber auch Hilfsangebote. Die Telefonseelsorge ist anonym, kostenlos und rund um die Uhr unter 0800/111 0 111 und 0800/111 0 222 erreichbar. Es gibt auch die Möglichkeit einer E-Mail-Beratung oder eines Hilfe-Chats. Weitere Informationen finden Sie bei der Telefonseelsorge.
Safa kam 2015 nach Deutschland, mittlerweile studiert er in Darmstadt. Bis heute weiß seine Familie nicht, dass er schwul ist. Deswegen möchte er auch anonym bleiben, Safa ist nicht sein richtiger Name.
Dass er noch lebt, verdankt der Student nach eigenen Worten dem Netzwerk Rainbow Refugee Support, das sich unter dem Dach der Aids-Hilfe Hessen um queere Geflüchtete kümmert. Das Projekt unterstützt an vielen Standorten in Hessen Menschen, die etwa aufgrund ihrer sexuellen Orientierung aus ihrer Heimat geflohen sind.
Das Beratungsnetzwerk Rainbow Refugee Support der Aids-Hilfe Hessen unterstützt nach eigenen Angaben seit 2015 hessenweit lesbische, schwule, bi- bzw. pan-, trans*, inter und queere Menschen (LSBT*IQ), die aufgrund der Verfolgung ihrer sexuellen Orientierung und/oder geschlechtlichen Identität im Herkunftsland nach Deutschland geflohen sind. Das Projekt hat mittlerweile Standorte in Frankfurt, Gießen, Marburg, Wiesbaden, Darmstadt und Kassel. Im vergangenen Jahr nahmen 379 Personen das Angebot in Anspruch, die Nachfrage sei stetig steigend. Seit 2017 wird das Projekt durch das Land gefördert.
In Darmstadt macht diese Arbeit im Auftrag der Aids-Hilfe seit vielen Jahren der Verein Vielbunt, der in der Oetinger Villa ein queeres Zentrum betreibt. Herz und Seele ist Soziologe Stefan Kräh, der das Projekt in Darmstadt von Grund auf mit aufgebaut hat. "2015, als viele Menschen aus Syrien nach Deutschland und auch nach Darmstadt kamen, dachten wir bei Vielbunt, dass wir den queeren Geflüchteten irgendwie helfen müssen", erinnert er sich. In Kooperation mit der Aids-Hilfe wurde Kräh Teil des Rainbow-Refugee-Projekts.
Auch Safa hat in seiner tiefen Identitätskrise den Weg zu Kräh gefunden. Eigentlich war er auf der Suche nach jemandem, der seiner Familie einfach mitteilt, dass er bald nicht mehr da sein würde. Doch durch die Gespräche mit Kräh, durch sein Zuhören und seine ermutigenden Worte überwand Safa seine Todesgedanken. "Ich verdanke Stefan mein Leben, sonst wäre ich wohl tot", sagt er heute.
"Rainbow Refugees" droht das Aus
Und damit sei er nicht alleine, berichtet Safa aus Gesprächen mit anderen queeren Geflüchteten, die irgendwann einmal in Krähs Beratungszimmer saßen. Eine unverzichtbare Arbeit, die Vielbunt und die Aids-Hilfe verrichten – möchte man meinen. Dennoch droht dem Rainbow Refugee Support das Aus.
Nach Angaben der Aids-Hilfe Hessen, die auch Kräh in Darmstadt finanziert, will das Land die finanzielle Förderung aus Spargründen bereits zum 1. Januar 2025 komplett streichen. "Das hat uns die Ministerin in einem Gespräch so mitgeteilt", sagt Knud Wechterstein, der das Projekt landesweit koordiniert. In den vergangenen beiden Jahren wurde Rainbow Refugee Support nach Angaben des Gesundheitsministeriums unter Ministerin Diana Stolz (CDU) mit jeweils rund 200.000 Euro gefördert.
Aids-Hilfe hofft auf Umdenken in der Politik
"Aufgrund der angespannten Haushaltslage sind Priorisierungen erforderlich", antwortet das Ministerium auf eine Anfrage des hr zu den Gründen für die geplante Streichung der Gelder. Zu einzelnen Projekten möchte sich das Ministerium aber vor Verabschiedung des Haushalts für 2025 nicht äußern. Heißt: Noch ist nichts in Stein gemeißelt, nach Dementi klingt es aber auch nicht.
Würden die Fördergelder tatsächlich auf null gesetzt, wäre das das Ende des Rainbow Refugees Support – nicht nur in Darmstadt. Ohne die finanzielle Unterstützung durch das Land ist es der Aids-Hilfe nach eigenen Angaben nicht mehr möglich, Unterstützung für queere Geflüchtete zu leisten. "Wenn die Gelder für unser Netzwerk in Hessen wegfallen, dann kann ich hier faktisch nicht mehr weitermachen", sagt auch Kräh.
Soziologe Stefan Kräh
Vielbunt: "Worte passen nicht zum Handeln der Regierung"
Solange die Entscheidung noch nicht endgültig gefallen ist, wünscht sich Florian Beger, Geschäftsführer der Aids-Hilfe Hessen, ein Umdenken in der Politik: "Wir hoffen darauf, dass die Landesregierung ihre Planung überdenkt und die Fortsetzung des erfolgreichen Projekts ermöglicht."
Der Verein Vielbunt erinnert in diesem Zuge auch an ein Versprechen, dass CDU und SPD in ihrem Koalitionsvertrag festgehalten haben. "Wir wollen Einrichtungen und Projekte fördern und stärken, die […] durch Beratung, Aufklärung und Opferhilfe einen wichtigen Beitrag im Kampf gegen Diskriminierung leisten", heißt es in dem Vertrag. Und weiterhin: "Ein Augenmerk gilt auch der Stigmatisierung und Ausgrenzung von Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung und der LSBTIQ*-Community." Das Handeln der Landesregierung passe nicht zu ihren Worten, schreibt Vielbunt in einer Mitteilung.
Auch Kräh hofft, dass er seine Arbeit doch noch weiterführen kann. "Wir haben hier in Hessen ein bundesweit einmaliges Netzwerk geschaffen, auf das das Land stolz sein kann", wirbt der 37-Jährige für das Projekt. Ein Wegfall würde für queere Geflüchtete bedeuten, dass sie auf sich allein gestellt sind, alternative Angebote, die sich gezielt an diese Gruppe richten, gibt es nicht.
Wichtige Integrationsarbeit
"Viele Menschen brauchen Beratung für ein queeres Leben in Deutschland", erklärt Kräh. Wer in seinem Land wegen seiner Sexualität verfolgt wird, kann in Deutschland Asyl beantragen. Allerdings müssten die meisten erst einmal lernen, dass es hier - anders als in ihrem Herkunftsland - in Ordnung ist, offen mit einer Behörde zu sprechen. "Oft reden die Betroffenen hier bei uns zum ersten Mal überhaupt über ihre Sexualität und lernen, ihre Scham und ihr Schuldgefühl zu überwinden."
Darüber hinaus leiste Rainbow Refugee Support auch Integrationsarbeit und stelle zum Beispiel Kontakt zu Menschen her, denen es genauso geht. "Nach einem Leben im Versteckten können die Betroffenen so herausfinden, wer sie sind und wie sie wirklich leben wollen", so Kräh.
Über 200 Geflüchtete habe er in Darmstadt bereits beraten, 70 davon alleine in den vergangenen beiden Jahren. Viele davon hätten sich aus der Erstaufnahmeeinrichtung in Darmstadt oder der Abschiebungshafteinrichtung im Stadtteil Eberstadt an ihn gewandt. "Fast alle davon leben, arbeiten oder studieren noch hier in Darmstadt", sagt Kräh – ein Beleg für die Wirksamkeit seiner Arbeit. 2023 wurde er dafür von der Entega-Stiftung mit dem Charlotte Heidenreich von Siebold Preis für bürgerschaftliches Engagement ausgezeichnet.
"Die Arbeit rettet Leben"
"Das, was Stefan und Rainbow Refugees machen, rettet Leben", beton auch Safa, der es am eigenen Leib erfahren hat. Für ihn ist es unverständlich, dass das Land auch angesichts der politischen Lage und des Erstarkens von AfD und Rechtspopulisten ein solches Projekt sterben lassen will.
Aber nicht nur im Kampf gegen den Rechtsruck zahle sich die Investition in ein solches Projekt aus: "Ich und Menschen, denen hier geholfen wurde, geben dem Land und der Gesellschaft gerne etwas zurück, wenn sie hier glücklich leben und arbeiten."