Hessen Protest an Uni Marburg gegen hohe Kosten: "Unterfinanziertes System"
Semesterbeiträge, Mieten, Mensapreise: Studieren in Marburg ist teurer als in vielen anderen Unistädten. Rund 300 Studierende und Uni-Angestellte haben deswegen protestiert. Hier berichten Betroffene von ihren Sorgen.
Rund 300 Marburger Studierende und Uni-Angestellte sind am Montag auf die Straße gegangen, um gegen Sparmaßnahmen an der Uni und steigende Kosten für Studierende zu protestieren. Organisiert wurde der sogenannte Bildungsprotest von einem Bündnis aus verschiedenen Hochschulgruppen und Gewerkschaften.
Das Bündnis kritisiert eine allgemeine Unterfinanzierung im Bildungsbereich, wie es heißt, aber auch, dass studieren in Marburg derzeit besonders teuer sei. Teilnehmende der Demonstration berichten bei hessenschau.de von ihren finanziellen Sorgen.
Semesterbeitrag einer der höchsten in Deutschland
Besonders ins Gewicht falle der Marburger Semesterbeitrag, den Studierende halbjährlich zahlen, etwa für Semesterticket und Verwaltungskosten. Mit 403 Euro ist er derzeit der höchste in Hessen und der dritthöchste deutschlandweit. Im kommenden Sommersemester soll er auf 420 Euro steigen.
Das Bündnis kritisiert zudem die aus seiner Sicht vergleichsweise hohen Mensapreise in Marburg und den fehlenden Wohnraum für Studierende. Auf Wartelisten des Studierendenwerks stünden hunderte Namen, heißt es.
Präsidenten und Studenten vereint
Hinzu kommt Kritik daran, dass Mittel für die hessischen Hochschulen durch das Land gekürzt würden. Gemeinsam mit den Studierendenvertretungen hatte die Konferenz Hessischer Universitätspräsidien im Sommer dagegen protestiert.
Die Zuweisungen an die Hochschulen seien im diesjährigen Nachtragshaushalt um 34 Millionen Euro reduziert. Für 2025 wurden weitere Einschnitte befürchtet. Auch die Grünen im Landtag übten daran Kritik. Die finanzielle Entwicklung hat auch bereits zu hessenweiten Protesten an Hochschulen geführt.
Wissenschaftsministerium widerspricht
Eine Sprecherin von SPD-Wirtschaftsminister Timon Gremmels wies diese Darstellung am Dienstag zurück. 2024 seien es lediglich "rechnerisch" rund 30 Millionen Euro weniger für die Hochschulen gewesen als ursprünglich geplant, weil unter anderem nicht benötigtes Geld weggefallen sei.
Unterm Strich sei der Hochschuletat 2024 sogar um 72,4 Millionen Euro gestiegen, auch um Tarifsteigerungen zu zahlen. Der Hochschulpakt werde weiterhin eingehalten.
Da die Steuereinnahmen in Hessen deutlich geringer als erhofft ausfallen, will Finanzminister Alexander Lorz (CDU) 2025 aus den Rücklagen der Hochschulen für Baumaßnahmen 475 Millionen Euro für andere Zwecke entnehmen. Das Geld werde ohnehin nicht abgerufen. Später werde es wieder eingezahlt, es bleibe auch noch eine knappe Milliarde Euro im Topf.
Auch Wohnheimplätze gefordert
Das Marburger Bündnis sieht die Dinge anders: Es handele sich um einen "Sparkurs an Hochschulen", der beendet werden müsse. Zudem werden 100 Milliarden Euro als Sondervermögen des Bundes für Bildung gefordert.
"Wir holen uns die Uni zurück", hieß es unter anderem auf dem Demonstrationszug, der am Montagvormittag durch die Innenstadt zog. Aber auch: "Wir wollen Wohnheimplätze statt Kriegseinsätze."
Besonders am Fachbereich Archäologie sind die Zukunftssorgen groß
Wie es Studierenden und Uni-Angestellten in Marburg derzeit geht, erzählen sie hier:
Myriell Fußer (33)
...muss als Doktorandin Aufgaben von Hilfskräften übernehmen.
"Die Kürzungen im Hochschulbereich betreffen mich ganz direkt, weil ich als wissenschaftliche Mitarbeiterin am Institut für Soziologie auch in der Lehre eingesetzt werde. In meinem Arbeitsbereich gibt es keine studentische Hilfskraft mehr, die uns unterstützen könnte.
Myriell Fußer promoviert im Fachbereich Soziologie
Dadurch muss ich viele Aufgaben selbst übernehmen, die eigentlich durch Hilfskräfte erledigt werden sollten – Bücher einscannen zum Beispiel. Die Zeit fehlt mir dann für meine Promotion und die notwendige Vorbereitungszeit für die Lehre. Schon jetzt investiere ich oft 30 bis 40 Stunden pro Woche, obwohl ich offiziell nur 20 arbeite.
Ich merke das leider auch bei der Betreuung der Studierenden. Anfangs habe ich noch schriftliches Feedback zu den Hausarbeiten gegeben, aber aufgrund des Zeitmangels musste ich das aufgeben. Das finde ich problematisch, weil Feedback für gutes Lernen wichtig ist. Ich versuche jetzt, es mündlich zu geben, was aber auch nicht immer möglich ist."
Daniel (21)
...hat vorher an einer anderen Hochschule studiert und sieht große Unterschiede bei den Kosten.
"Ich studiere jetzt in Marburg Lehramt, aber ich habe vorher Ingenieurwesen an einer anderen Uni studiert. Das war für mich nicht das Richtige, weshalb ich mich umorientiert habe. Ich merke jetzt einen großen Unterschied in den Kosten zwischen den Unis.
Daniel (21) legt jeden Monat Geld zur Seite für den Semesterbeitrag
Vorher war ich in Hof (Bayern). Da war das Studium sehr modern organisiert, aber der Semesterbeitrag betrug trotzdem nur 126 Euro. Das Semesterticket hat zwar deutlich weniger umfasst als hier, aber ich fand das trotzdem fair und günstig.
Der viel höhere Semesterbeitrag in Marburg war dann schon ein großer Schlag für mich. Ich lege jetzt jeden Monat etwas dafür beiseite. Auch die Wohnungskosten sind hier spürbar höher. In der Innenstadt kosten WG-Zimmer rund 500 Euro. Ich wohne daher etwas außerhalb, was mich 340 Euro kostet. Es ist ein kleines, eher einfaches Zimmer, aber ich kann dadurch sparen."
Niklas Becker (31)
... fürchtet um die Existenz seines Fachbereichs.
"Wir kämpfen für den Erhalt der archäologischen Studiengänge in Marburg, die schon jetzt massiv von Kürzungen betroffen sind. Das betrifft insbesondere unsere Lehre und Forschung. Ganz konkret sind gerade zwei Stellen auf 50 Prozent gekürzt worden.
Masterstudent Niklas Becker sorgt sich um Qualität des Marburger Archäologie-Studiums
Es fehlen einfach langfristig finanzierte Stellen für Lehrende, die auch forschen können. Das beeinträchtigt die Qualität der Ausbildung, weil die Einheit von Forschung und Lehre dadurch nicht mehr gegeben ist.
Archäologie ist außerdem ein materialintensives, praxisorientiertes Fach, das auch Ausgrabungen umfasst. Aber ohne ausreichende Ressourcen wird uns eine moderne und umfassende Ausbildung verwehrt.
Für mich persönlich haben die geplanten Einsparungen zwar keine direkten Auswirkungen mehr, da ich mein Studium bald abschließen werde. Aber ich setze mich für die Studierenden ein, die nach mir kommen und in einem unterfinanzierten System studieren müssen. Und ich will natürlich auch, dass der Fachbereich hier weiter existieren kann."
Hinweis: Wir haben den Artikel um eine Stellungnahme des Wissenschaftsministeriums ergänzt. Es bestreitet, an Hessens Hochschulen gebe es die kritisierten finanzielle Einschnitte.