Bundesarbeitsgericht Endet Religionsfreiheit im Job?
Darf ein Arbeitgeber das Tragen von religiösen Symbolen verbieten? Dieser Frage geht das Bundesarbeitsgericht nach. Grundlage ist die Klage einer Kassiererin, die im Job Kopftuch tragen will.
Worum geht es in dem Fall?
Seit 2002 arbeitet die Klägerin als Verkaufsberaterin und Kassiererin bei der Drogeriemarktkette "Müller". Als sie 2014 nach einer dreijährigen Elternzeit in den Job zurückkehrte, trug sie - anders als zuvor - ein muslimisches Kopftuch.
Die Filialleiterin sagte der Frau, so werde man sie nicht beschäftigen, sie müsse ohne Kopftuch arbeiten. Denn das Unternehmen habe seit jeher eine Kleiderordnung, die das Tragen von Kopfbedeckungen untersage. Dagegen ging die Frau juristisch vor.
Während das Verfahren lief, argumentierte "Müller" außerdem: Man habe 2016 eine Regelung geschaffen, die verlange, "ohne großflächige religiöse, politische und weltanschauliche Zeichen" zur Arbeit zu erscheinen. Das Argument: Das Unternehmen habe mehr als 14.000 Angestellte aus unterschiedlichsten Ländern. Man wolle Konflikte innerhalb der Belegschaft, aber auch Konflikte im Kundenkontakt vermeiden. Die Kassiererin hält das für rechtswidrig.
Wie ist die rechtliche Ausgangslage?
Es geht um das Spannungsfeld zwischen persönlicher Religionsfreiheit von Arbeitnehmern und der unternehmerischen Freiheit von Arbeitgebern. Die Frage lautet also überspitzt: Wie sehr muss man seine eigene Religionsausübung einschränken, wenn man zur Arbeit geht?
In Artikel 4 des Grundgesetzes heißt es unter anderem: "Die ungestörte Religionsausübung wird gewährleistet." Das schließt auch das Tragen religiöser Symbole und Kopfbedeckungen mit ein. Zwar gelten die Grundrechte direkt nur im Verhältnis Bürger - Staat, aber auch der Arbeitnehmer muss seine Religion nicht "an der Garderobe abgeben", wenn er zur Arbeit geht.
In der freien Wirtschaft darf grundsätzlich jeder Mitarbeiter religiöse Symbole tragen, es sei denn, der Arbeitgeber schränkt dieses Recht wirksam ein. Dafür aber muss er sachliche Gründe haben, etwa Sicherheitsvorschriften am Arbeitsplatz oder eine mögliche Störung des Betriebsfriedens. Kommt es zwischen Arbeitgeber und -nehmer darüber zum Streit, sind die Gerichte am Zug. Die müssen dann im jeweils konkreten Fall abwägen. Genau das geschieht nun hier.
Was sagen bislang die obersten Gerichte?
"Müller" beruft sich vor allem auf ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH). Der hatte 2017 in einem vergleichbaren Fall die Unternehmensrechte gestärkt. Er entschied, dass ein Unternehmen durchaus verbieten dürfe, sichtbare Zeichen von Religion oder politischer Überzeugung zu tragen. Das allerdings nur, solange wirklich alle Mitarbeiter gleich behandelt werden. Eine Halskette mit einem christlichen Kreuz oder eine jüdische Kippa müssten also genauso betroffen sein, wie das muslimische Kopftuch. In diesem Fall ging es konkret um eine Rezeptionistin, über deren Kopftuch sich verschiedene Kunden beschwert hatten.
Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hatte 2015 in einem Beschluss hingegen zwei Lehrerinnen aus Nordrhein-Westfalen Recht gegeben, die während des Unterrichts ein Kopftuch tragen wollten. Das per Gesetz pauschal zu verbieten, gehe nicht, so Karlsruhe. Nur unter hohen Voraussetzungen sei das denkbar - etwa dann, wenn dadurch ganz konkret der Schulfrieden gestört werde. Andernfalls aber sei das Tragen des Kopftuchs gestattet, selbst wenn es, wie in diesem Fall, um verbeamtete Lehrer an einer öffentlichen Schule geht.
Wie haben Gerichte im aktuellen Fall bereits entschieden?
Die Kassiererin hatte in den unteren Instanzen Erfolg mit ihrer Klage: Das Landesarbeitsgericht (LAG) Nürnberg sah in der Weisung, das Kopftuch abzulegen, eine "mittelbare Diskriminierung". Eine solche liegt nach dem Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) vor:
... wenn dem Anschein nach neutrale Vorschriften, Kriterien oder Verfahren Personen (…) gegenüber anderen Personen in besonderer Weise benachteiligen können, es sei denn, (sie) sind durch ein rechtmäßiges Ziel sachlich gerechtfertigt und die Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und erforderlich".
Bei der konkreten Abwägung gab das LAG dem Grundrecht auf Religionsfreiheit der Arbeitnehmerin also den Vorzug vor den Rechten des Arbeitgebers. Der hätte keinerlei wirtschaftliche Einbußen zu befürchten. Dass Kunden dem Unternehmen fernblieben, sei nicht feststellbar. Außerdem seien keine internen Konflikte ersichtlich. Die Kollegen hätten auch keinen Anspruch darauf, von der Religiosität ihrer Kollegin "verschont" zu bleiben. Es gebe also keinen Anlass für eine solche Regelung durch den Arbeitgeber.
Interessant an der Begründung ist, dass das Landesarbeitsgericht darin sowohl auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs wie auch des Bundesverfassungsgerichts eingegangen ist.
Das Bundesarbeitsgericht in Erfurt muss nun als Revisionsinstanz prüfen, ob dieses Urteil frei von Rechtsfehlern ist.