Fragwürdige Anleihen Skandal um Hausverwaltungen weitet sich aus
Mehrere Hausverwaltungen haben Ersparnisse von Wohnungseigentümern in riskante Anleihen investiert. Es geht um Millionensummen. Laut Recherchen von BR und HR fürchten mittlerweile Eigentümergemeinschaften in zehn Bundesländern um ihr Geld.
Matthias Mitze hält einen Zeichnungsschein für eine Anleihe der DR Deutsche Rücklagen GmbH in der Hand. Rund 200.000 Euro schwer. Seine Hausverwaltung, die Kallmeyer und Nagel Vermietungs und Verwaltungs GmbH, hat für die Wohnungseigentümergemeinschaft (WEG) in Hamburg in die fragwürdigen Anleihen investiert. Ohne dass die Eigentümer dem zustimmten. Deshalb schreiben Mitze und seine Nachbarn an einer Strafanzeige.
"Das Geld stammt aus einem Kredit, den wir für Renovierungsmaßnahmen aufgenommen haben, sodass wir im Zweifelsfall nicht nur den zurückzahlen müssen, sondern quasi doppelt zahlen müssen."
Diese und mehr als 20 andere von Kallmeyer und Nagel betreute WEG haben sich an den Hamburger Rechtsanwalt Ulrich Husack gewendet. Alleine bei seinen Gesprächen, so überschlägt es der Rechtsanwalt, geht es bisher um rund sieben Millionen Euro.
Das Amtsgericht Hamburg hat am 22. Januar 2025 für Kallmeyer und Nagel ein vorläufiges Insolvenzverfahren eröffnet. Eine Woche später informierte die Hausverwaltung ihre Kunden und die Öffentlichkeit, dass WEG-Gelder in Anleihen der Deutsche Rücklagen geflossen sind.
Nach Recherchen von BR und HR geht es um hohe Summen: bis zu 500.000 Euro jeweils bei Fällen in Hamburg, etwas weniger ist es bei WEG im schleswig-holsteinischen Pinneberg und im hessischen Eschborn. Eine WEG im niedersächsischen Seevetal sorgt sich um 900.000 Euro und eine große Liegenschaft in Köln geht sogar davon aus, dass mehr als eineinhalb Millionen Euro an Ersparnissen in Anleihen der Deutsche Rücklagen stecken.
Inzwischen WEG in zehn Bundesländern betroffen
BR und hr hatten mehrfach berichtet, dass Hausverwaltungen der Wiesbadener Consigma-Gruppe mit dem Geld von WEG-Anleihen der Deutsche Rücklagen gekauft hatten. Durch die nun bekannt gewordenen Anleihengeschäfte mit dem Geld von Kunden von Kallmeyer und Nagel weitet sich der mutmaßliche Skandal aus.
Das in Hamburg ansässige Unternehmen verwaltet derzeit rund 10.000 Wohneinheiten mit Schwerpunkt in Norddeutschland. Laut den Recherchen fürchten damit inzwischen WEG in zehn Bundesländern um ihr Geld: Hamburg, Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen, Berlin, Sachsen-Anhalt sowie Bayern, Baden-Württemberg, Hessen und Rheinland-Pfalz.
Ausmaß noch nicht abzusehen
Die DR Deutsche Rücklagen GmbH hat offenbar vier Anleihen auf den Markt gebracht. Anvisiert ist ein Gesamtvolumen von 141 Millionen Euro. Ob tatsächlich entsprechend viele Anleihen gezeichnet wurden, ist derzeit nicht bekannt.
BR und HR liegen Belege vor, wonach Kallmeyer und Nagel im Juni 2024 noch Anleihen mit einer Laufzeit bis 2031 zeichnete. Bereits im März 2024 hatte die Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) der Deutsche Rücklagen deren Kreditgeschäft untersagt und die Rückabwicklung angeordnet. Jüngste Rechercheergebnisse deuten also darauf hin, dass das Anleihengeschäft danach weiter betrieben wurde.
Unternehmensnetzwerk mit Fragezeichen
BR und HR hatten 2023 ein Unternehmensnetzwerk aufgedeckt, das offenbar der Bewirtschaftung von WEG-Geldern diente. Wie Report München im April 2024 berichtete, bestehen zwischen den Gesellschaftern der DR Deutsche Rücklagen GmbH und den Hausverwaltungen der Consigma-Gruppe enge wirtschaftliche wie auch persönliche Verflechtungen.
Früher war der Homepage der Deutschen Rücklagen zu entnehmen, dass zwei Manager das Unternehmensnetzwerk maßgeblich steuern würden. Beide haben sich inzwischen aus der Unternehmensführung zurückgezogen. Das Netzwerk selbst scheint sich in Auflösung zu befinden. Die Deutsche Rücklagen zahlte zuletzt den BR und HR bekannten WEG weder gekündigte Anleihen zurück noch fällige Zinsen für das vergangene Jahr.
Für den 13. Februar hat die Deutsche Rücklagen zu einer Gläubigerversammlung am Firmensitz in Frankfurt eingeladen. Das geht aus dem Bundesanzeiger hervor. Laut Agenda möchte die Deutsche Rücklagen Anleihebedingungen verändern. Den Gläubigern werden unter anderem Zinsänderungen und längere Laufzeiten vorgeschlagen.
Verbindungen gibt es auch zu Kallmeyer und Nagel: Ein Geschäftsführer war früher als Berater für die Consigma-Gruppe tätig. Er ist über zwischengeschaltete Firmen alleiniger Gesellschafter der Hamburger Hausverwaltung und hat Zeichnungsscheine für Anleihen der Deutsche Rücklagen persönlich unterschrieben.
Vorwürfe werden zurückgewiesen
Die Insolvenzverwalterin von Kallmeyer und Nagel hat eine PR-Agentur mit der Kommunikation beauftragt. Diese gibt an, zum Sachverhalt derzeit nicht Stellung nehmen zu können. Der frühere Manager, der als Schlüsselfigur der Consigma-Gruppe und der Deutsche Rücklagen gilt, weist alle Vorwürfe zurück.
Der aktuelle Geschäftsführer der Deutsche Rücklagen betont, er habe den Posten lediglich befristet übernommen. Zu Interna dürfe er sich nicht äußern. Nach seinen Untersuchungen sei zu keinem Zeitpunkt Geld aus der Anleihe entgegen den Anleihebedingungen verwendet worden. Der Geschäftsführer war bis Juli 2024 Aufsichtsrat der Consigma Holding AG.
Anleihenkauf entspricht nicht der Rechtsprechung
Das WEG-Gesetz und die Rechtsprechung geben vor, dass sogenannte Erhaltungsrücklagen, vereinfacht Ersparnisse, von WEG mündelsicher angelegt werden und jederzeit verfügbar sein müssen. Beides ist bei Anleihen der DR Deutsche Rücklagen GmbH nach Ansicht von Experten nicht der Fall. Inzwischen liegen auch erste entsprechende Urteile vor.
Die erforderliche Zustimmung aller Eigentümer für eine derartig unübliche Investition haben die Hausverwaltungen in den BR und HR bekannten Fällen nicht eingeholt. Stattdessen berichten viele Wohnungseigentümer, sie fühlten sich getäuscht, die Investition in die Anleihen sei verschleiert worden.
Wirtschaftsexperten der Frankfurter Staatsanwaltschaft am Zug
Seit Dezember 2024 ist die Schwerpunktstaatsanwaltschaft für Wirtschaftsstrafsachen in Frankfurt am Main eingeschaltet. Die hessischen Ermittlungsverfahren haben sie bereits gebündelt, die Verfahren aus anderen Bundesländern sollen folgen. Oberstaatsanwalt Dominik Mies erklärte, derzeit lägen der Ermittlungsbehörde Strafanzeigen von mehr als 20 Wohnungseigentümergemeinschaften vor.
Nach Informationen von BR und HR werden auch Strafanzeigen gegen Kallmeyer und Nagel bei der Frankfurter Schwerpunktstaatsanwaltschaft zentralisiert und geprüft. Zuvor hatten mehrere Staatsanwaltschaften in Deutschland jeweils zu einzelnen WEG-Fällen ermittelt. Es gilt die Unschuldsvermutung.