
Datenanalyse So ungleich war der Bundestagswahlkampf im Netz
Parteien stecken Millionen in Online-Wahlwerbung - doch mehr Geld bringt nicht immer mehr Reichweite, wie eine Analyse eines ARD-Datenteams zeigt. Außerdem erreichte die Wahlwerbung deutlich mehr Männer als Frauen.
Ruppert Stüwe sitzt in einer Berliner S-Bahn und schaut lächelnd aus dem Fenster. "Bus und Bahn stärken", das verspricht der SPD-Bundestagsabgeordnete in einem Video auf Instagram und Facebook. Damit Botschaften wie diese auch bei potenziellen Wählerinnen und Wählern ankommen, hat Stüwe mehrere Tausend Euro an den Konzern Meta bezahlt, zu dem Instagram und Facebook gehören.
Sein Video aus der S-Bahn zählt zu den erfolgreicheren, über 100.000 Mal wurde es gesehen. Der Politiker hat im Wahlkampf einiges ausprobiert, ein Erfolgsrezept kennt er trotzdem nicht: "Nach welchen Kriterien Facebook wem welche Werbung ausspielt, ist zumindest für mich nicht nachvollziehbar."
Blackbox Online-Wahlkampf
Parteien haben für ihre eigenen Accounts und die von einzelnen Politikerinnen und Politikern seit dem Ampel-Aus im November vergangenen Jahres bis zum Wahlsonntag mehr als 20.000 bezahlte Anzeigen mit politischer Werbung auf Instagram und Facebook geschaltet. Bei Google waren es im selben Zeitraum mehr als 3.500. Nachvollziehbar ist dies, da die Konzerne verpflichtet sind, bestimmte Angaben zu politischer Werbung zu veröffentlichen. Auf TikTok und X war bezahlte politische Werbung im Bundestagswahlkampf verboten.
Datenjournalistinnen und -journalisten von BR, NDR und SWR haben politische Werbeanzeigen auf den Meta-und Google-Plattformen erstmals umfassend ausgewertet - mit unerwarteten Ergebnissen: Für das eingesetzte Werbebudget können die Reichweiten sehr unterschiedlich ausfallen. Außerdem zeigt die Analyse: Politische Wahlwerbung erreicht deutlich mehr Männer als Frauen.
Große Ausgaben und wenig Transparenz
Beim Schalten einer politischen Werbeanzeige auf den Meta-Plattformen Instagram und Facebook können die Parteien ein Budget festlegen, für das eingesetzte Geld gibt Meta eine ungefähre Reichweite an. Doch nach welchen Kriterien der Algorithmus die Anzeigen am Ende wirklich ausspielt, verrät der Konzern nicht.
Die Analyse von BR, NDR und SWR zeigt: Insgesamt haben die Parteien im untersuchten Zeitraum mindestens neun Millionen Euro für bezahlte politische Werbung auf den Plattformen von Google und Meta ausgegeben. Besonders viel haben die Grünen in den digitalen Wahlkampf investiert: Allein auf Instagram und Facebook haben sie zwischen 2,7 und 4 Millionen Euro für bezahlte Werbung ausgegeben, exakte Beträge veröffentlicht Meta für den untersuchten Zeitraum nicht.
Schere zwischen Ausgaben und Reichweite
Die Grünen haben mit ihrer Wahlwerbung auch die meisten Accounts erreicht. Trotzdem schneiden sie schlechter ab als andere Parteien, wenn man die Reichweite mit den Kosten ins Verhältnis setzt: Die Grünen haben die geringste Reichweite pro ausgegebenem Euro. Die Linke und die AfD haben von den großen Parteien auf Meta am wenigsten für politische Wahlwerbung ausgegeben, dennoch werden ihre Anzeigen im Verhältnis zum ausgegebenen Betrag mehr gesehen als die der Grünen.
Warum es diese Unterschiede zwischen den Ausgaben und der Reichweite bei den Parteien gibt, darüber gibt Meta auf Anfrage von BR, NDR und SWR keine Auskunft. Auch die von Meta veröffentlichten Daten reichen nicht aus, um die Unterschiede zu erklären.
Das kritisiert Social-Media-Forscher Jakob Ohme vom Weizenbaum-Institut für Digitalisierungsforschung in Berlin: "Es ist auch eine algorithmische Entscheidung, wann Werbung angezeigt wird." Dahinter stecke eine komplizierte Strategie, die man nicht ganz verstehen könne, weil wichtige Daten für die Forschung fehlten. Die Parteien, die das Datenteam dazu angefragt hat, äußerten sich bis zur gesetzten Frist nicht zu dieser Thematik.
Wahlkampf im Netz: Eher männlich?
Was die Analyse der Datenteams von BR, NDR und SWR aber deutlich zeigt: Politische Werbung erreicht auf den Meta-Plattformen besonders viele Männer, obwohl ähnlich viele Frauen und Männer die Plattformen nutzen.
Von Millionen erreichter Menschen waren nur 42 Prozent Frauen, mit deutlichen Unterschieden zwischen den Parteien. Die Wahlwerbung der AfD wurde nur zu knapp 28 Prozent an Frauen ausgespielt, gefolgt von der FDP mit etwas über 33 Prozent.
Auf die Frage, ob es beabsichtigt war, von mehr Männern als Frauen gesehen zu werden, dazu äußerten sich die betroffenen Parteien bis zur gesetzten Frist nicht. Von den großen Parteien haben nur die SPD und die Grünen etwas mehr Frauen als Männer mit ihrer Wahlwerbung erreicht.
Mögliche Gefahr für politische Teilhabe
Wenn Frauen dauerhaft weniger Wahlwerbung angezeigt wird und sie so gespiegelt bekommen, dass die Parteien nicht so sehr an ihnen interessiert sind, könne das langfristige Effekte haben, sagt Judith Möller. Sie forscht an der Universität Hamburg zu Meinungsbildungsprozessen im Netz. Das Ungleichgewicht könne dazu führen, dass Frauen seltener wählen und von den Parteien noch weniger berücksichtigt werden: "Das sind keine guten Voraussetzungen für eine Demokratie."
Meta ermöglicht es, Werbeanzeigen gezielt an Frauen oder Männer auszuspielen. Die Analyse zeigt, dass Parteien diese Funktion kaum genutzt haben: 90 Prozent der Wahlwerbung auf Meta waren geschlechtsneutral geschaltet. Dennoch wurden die Anzeigen ohne spezifische Zielgruppe überwiegend an Männer ausgespielt. Meta äußert sich auf Anfrage nicht dazu und verweist auf öffentlich einsehbare Richtlinien für Werbetreibende.
Dass mehr Männer erreicht werden, könnte an spezifischen Targeting-Optionen liegen, die Meta für einzelne Anzeigen nicht veröffentlicht. Werbetreibende können zum Beispiel ein Zielpublikum anhand bestimmter Interessen, also Microtargeting, oder einer Vergleichsgruppe, einer sogenannten Lookalike Audience, auswählen. Beides könnte indirekt dazu führen, dass männliche Zielgruppen bevorzugt erreicht werden. "Grundsätzlich neigen Algorithmen oder KI-Systeme dazu, Verzerrungen zu verstärken, die es bereits in den Ursprungsdaten gibt", erklärt Judith Möller.
Parteien werben gezielt um Frauen
Auch der SPD-Politiker Ruppert Stüwe hat bemerkt, dass seine Wahlwerbung weniger Frauen erreicht: "Ich wusste nicht, ob das an Meta liegt, oder an mir", so Stüwe. Aufgrund seiner Schwerpunktthemen Verkehr und Gesundheit seien Frauen für ihn jedoch eine besonders wichtige Wählergruppe. Deshalb habe er beschlossen, bestimmte Werbeanzeigen gezielt an Frauen ausspielen zu lassen.
Damit ist er nicht allein: Etwa 30 Prozent ihres Werbebudgets auf Meta hat die SPD investiert, damit ausgewählte Werbung an Frauen ausgespielt wird, bei den Grünen war es etwas mehr als ein Fünftel des Budgets.
Die SPD antwortet auf eine Anfrage: Um Frauen in den sozialen Medien zu erreichen, müsse oft mehr Aufwand betrieben werden. Es bräuchte mehr Transparenz und Maßnahmen, um diese strukturellen Ungleichheiten zu beseitigen.
Für Google wurden alle politischen Werbeanzeigen im relevanten Zeitraum abgefragt und dann händisch gefiltert: Berücksichtigt wurden nur Accounts, die eindeutig einer Partei im Bundestagswahlkampf zugeordnet werden konnten.
In der Meta Ad Library wurden Werbeanzeigen für eine Liste von Accounts abgefragt. Die Liste basiert auf der "Datenbank öffentlicher Sprecher" vom Leibniz-Institut für Medienforschung und Hans-Bredow-Institut (HBI) mit Recherchestand Oktober 2024, betrachtet wurden die für den Bundestagswahlkampf relevanten Accounts (Typen 9 und 21), 408 davon haben im untersuchten Zeitraum Werbung geschaltet.
Meta weist für die Kosten der Werbeanzeigen jeweils einen Minimal- und Maximalwert aus. Für die Berechnung der Reichweite pro Euro wurde der Mittelwert dieser beiden Werte als Schätzwert genutzt. Die Reichweite gibt die Zahl der erreichten Nutzerkonten in der EU an, wobei in Summe pro Partei Nutzerkonten mehrfach gezählt werden, falls ihnen mehrere Anzeigen derselben Partei angezeigt wurden. Für die Berechnung des Geschlechterverhältnisses wurden die erreichten weiblichen und männlichen Nutzerkonten über alle Anzeigen einer Partei aufsummiert. Die Angaben zur Reichweite einer Anzeige werden bei Meta in den Kategorien Frauen, Männer und Unbekannt angegeben und basieren auf den Angaben der Nutzer:innen in ihren Profilen. Werte wurden, wo angemessen, gerundet.