Anti-Mafia-Verfahren Eureka Deutsche Drogenkuriere und die Spur zur 'Ndrangheta
Die Staatsanwaltschaft Düsseldorf hat im Anti-Mafia-Verfahren Eureka Anklage gegen eine Gruppe mutmaßlicher deutscher Drogenkuriere erhoben. Scheinbar unbescholtene Bürger arbeiteten laut MDR-Recherchen offenbar jahrelang für Drogenkartelle.
Acht Frauen und Männern sollen sich zu einer kriminellen Vereinigung zusammengeschlossen haben. Ihr Ziel: Drogenhandel - davon geht zumindest die Staatsanwaltschaft aus. Über Jahre hinweg hätten sie mit speziell umgebauten Autos Kokain durch Europa transportiert, heißt es in der Anklage, die nun die Staatsanwaltschaft Düsseldorf erhoben hat.
Allein zwischen 2018 und 2022 seien sie mindestens 50 Mal gefahren. Die Anklage geht davon aus, dass sie jeweils mindestens 15 Kilogramm Kokain nach Italien schmuggelten. Auftraggeber der Gruppierung sollen die kalabrische Mafiaorganisation 'Ndrangheta und albanische Netzwerke gewesen sein. Das geht aus Tausenden Seiten vertraulicher Ermittlungsunterlagen im Eureka-Verfahren hervor, die Frankfurter Allgemeine Zeitung (F.A.Z) und MDR einsehen konnten.
Auffällig unauffällig
So unscheinbar die mutmaßlichen Drogenkuriere waren, so unscheinbar begann das Ende der Bande: mit einer Autopannen in Süditalien im Dezember 2019. Die Panne sorgte im 150 Kilometer entfernten Dorf San Luca bei einer Gruppe von Männern für hektische Betriebsamkeit. Sie organisierten einen Abschleppdienst. Einen Tag später machte sich einer der Männer, Salvatore G., selber auf den Weg. Er kümmert sich um die zwei Frauen, die mit dem Audi liegen geblieben waren. Er kaufte ihnen ein Rückflugticket und führte sie zum Essen aus.
Das Ganze passierte unter den wachsamen Ohren italienischer Mafiafahnder, die im Rahmen der damals weltweit laufenden Operation Eureka Dutzende mutmaßliche Mitglieder der kalabrischen 'Ndrangheta und Verdächtige aus deren Umfeld überwachten. Einer aus diesem Mafia-Umfeld war Salvatore G.. Er ist aktuell in Italien angeklagt, im großen Stil mit Kokain gehandelt zu haben.
In seinen von den italienischen Carabinieri abgehörten Gesprächen mit den beiden deutschen Frauen fiel auch der Name eines Deutschen. Nennen wir ihn Kalle. So ergab sich eine Spur nach Nordrhein-Westfalen. Die italienischen Fahnder wandten sich an ihre deutsche Kollegen, die Kalle schnell als Karl-Heinz E. aus dem Ruhrgebiet identifizierten. Inzwischen 63 Jahre alt und nach allem, was die Ermittler zusammengetragen haben, wohl der Kopf einer Bande von Drogenkurieren.
Mit rund 40 Kilogramm Kokain im Auto zu Aldi
Ein Team von MDR und F.A.Z. konnte Tausende Seiten Ermittlungsmaterial aus dem Eureka-Verfahren einsehen und viele vertrauliche Gespräche mit Beteiligten führen. Daraus lässt sich das teilweise bizarre Bild von Menschen aus bürgerlichen Milieus zeichnen, die offenbar hoch kriminell wurden. Immer wieder staunten die Ermittler über deren Abgebrühtheit - oder war es Naivität? Etwa, als eine der Kurierinnen mit rund 40 Kilogramm Kokain im Auto zunächst zu Aldi einkaufen fuhr.
Ein Rädchen im transatlantischen Drogen-Netzwerk soll die Gruppe um Karl-Heinz E. gewesen sein. Nachdem die deutschen Fahnder von ihren italienischen Kollegen auf die Bande aufmerksam gemacht wurden, liefen die Ermittlungen. Nach Recherchen von MDR und F.A.Z. kamen dabei auch verdeckte Ermittler (VE) zum Einsatz. Sie hatten sich als Mountainbiker getarnt und radelten rund um eine Teichanlage für Hobbyangler, die E. gehörte und von dem Ehepaar S. betrieben wurde.
Auch die Eheleute S. sollen in das Geschäft mit den Drogenfahrten verwickelt sein und sitzen ebenfalls in U-Haft. Die getarnten Polizeibeamten auf den Fahrrädern freundeten sich mit den beiden an. Einer der beiden VE erzählte, er habe Geld in der Schweiz liegen, das er gerne in eine Firma im Umfeld der Teichanlage investieren würde. Aber es müsste in bar über die Grenze geschmuggelt werden. Eine Legende.
Der Ehemann, Jens S., sprang an und verwies den Undercover-Beamten mit dem Decknamen "Simon" an "Kalle." Der sei im Transportgewerbe tätig, schilderte er den getarnten Polizisten, wie Jason Statham im Film "The Transporter". Kalle, alias Karl-Heinz E., übernahm schließlich selber die Fahrt in die Schweiz.
Hinweise auf jahrelange Aktivität
Seit wann genau E. und seine mutmaßlichen Komplizen in die Welt des Kokainhandels eingestiegen sind, lässt sich nicht genau rekonstruieren. Doch es gibt einige Hinweise. In einem verwanzten Auto soll E. etwa erzählt haben, dass er seit rund zwölf oder dreizehn Jahren im Drogentransport aktiv sei. Das Kokain sollten erst er, dann vor allem seine Kuriere - wie eben die beiden Frauen mit dem Unfall - zwischen den Niederlanden, Deutschland und Italien transportiert haben.
Die Transportwagen, alles Luxusklassen, sind offenbar in Spanien frisiert worden. Ein eingeweihter Kfz-Mechaniker sorgte für TÜV und Durchsicht. Die Ermittler gehen davon aus, dass E. 2.500 Euro pro geschmuggeltes Kilo bekommen hatte. Die Kuriere sollen von ihm pro Fahrt jeweils mindestens 1.250 Euro kassiert haben.
Deutsche und italienische Ermittler vermuten, dass die Bande unter anderem im Auftrag des Albaners Denis M. gefahren sei. Denis M. gilt als wichtiger Akteur im europäischen Kokainhandel - im Umfeld des albanischen Drogenkartells "Kompania Bello". Er wurde vor Jahren in Dubai aufgespürt, aber konnte sich angeblich durch die Zahlung von vier Millionen Euro vor einer Auslieferung an italienische Behörden retten. Zu finden war diese Information in einem geknackten Kryptohandy des Anbieters SkyECC.
Karl-Heinz E. und seine mutmaßlichen Komplizen wurden dagegen am 3. Mai 2023 im Rahmen der Anti-Mafia-Operation "Eureka" festgenommen. Nun sind E. und sieben weitere Beschuldigte von der Staatsanwaltschaft Düsseldorf in insgesamt mehr als 150 Fällen angeklagt. Gegen weitere Verdächtige wird noch ermittelt. Die Anwälte der Beschuldigten wollten sich auf Anfrage von MDR und F.A.Z. zunächst nicht zu den Vorwürfen äußern. Das Landgericht Wuppertal muss jetzt über die Zulassung der Anklage entscheiden.