
Online-Glücksspiel Geheime Vereinbarung hebelt Spielerschutz aus
Die Bundesländer haben mit den Anbietern von Online-Glücksspielen eine bisher geheim gehaltene Vereinbarung geschlossen, die gesetzliche Vorgaben zum Spielerschutz unterläuft. Das zeigen aktuelle Recherchen. Fachleute sind entsetzt.
1,3 Millionen Menschen in Deutschland gelten als spielsüchtig; weitere 3,2 Millionen Menschen sind gefährdet. Online-Glücksspiele - zu denen auch Sportwetten zählen - stellen dabei eine wachsende Gefahr dar, von der Anbieter profitieren: Die Umsätze der Plattformen haben sich seit 2018 europaweit verdoppelt. Eine Expertenkommission der renommierten Medizin-Fachzeitschrift "The Lancet" warnte erst kürzlich vor einem "schnell wachsenden Problem für die öffentliche Gesundheit".
Für die Regulierung von Glücksspiel-Angeboten sind in Deutschland die Bundesländer verantwortlich, die wiederum die Aufsicht und Kontrolle der "Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder" (GGL) übertragen haben. Die gesetzlichen Grundlagen dazu haben die Länder im Glücksspielstaatsvertrag geregelt, dessen Ziel es ist, "das Entstehen von Glücksspielsucht und Wettsucht zu verhindern und die Voraussetzungen für eine wirksame Suchtbekämpfung zu schaffen".
Einzahlungssperre von 1.000 Euro vorgeschrieben
Eine zentrale gesetzliche Vorgabe lautet daher, dass Kundinnen und Kunden anbieterübergreifend grundsätzlich maximal 1.000 Euro im Monat bei Online-Casinos und Wettanbietern einzahlen dürfen. Fachleute wie der Bremer Glücksspielforscher Tobias Hayer halten dieses Limit für "ohnehin schon zu hoch angesetzt". Trotzdem können Spielende noch weitaus mehr einzahlen. In diesem Fall jedoch müssen die Anbieter, die "wirtschaftliche Leistungsfähigkeit" ihrer Kunden überprüfen, sollen also sicherstellen, dass sich niemand in den Ruin zockt. Die Richtlinie zum Glücksspielstaatsvertrag fordert dafür etwa "Einkommensteuerbescheide oder andere Einkommensnachweise und Bankauszüge."
Recherchen von Investigate Europe, Monitor und Zeit Online zeigen, dass diese wichtige Vorgabe zum Spielerschutz durch die Landesinnenminister im November 2022 praktisch außer Kraft gesetzt wurde. Dies geschah durch eine bisher geheime Vereinbarung in einem gerichtlichen Vergleich mit Sportwettenanbietern, die gegen Vorgaben zum Spielerschutz geklagt hatten.
Schutzfunktion kann umgangen werden
Der Vergleich gilt heute flächendeckend in Deutschland und erlaubt es den Anbietern eine sogenannte Schufa-G-Abfrage als Vermögensnachweis zu akzeptieren, obwohl mit dieser speziell für die Glücksspielbranche entwickelte Prüfung weder das Einkommen noch das tatsächliche Vermögen der Spielenden erfasst wird. In einem Versuch konnte das Rechercheteam nachweisen, dass sogar ein Student mit einem Monatseinkommen von rund 1.000 Euro sein Einzahlungslimit auf 10.000 Euro monatlich hochsetzen konnte.
Suchtgefährdete Personen würden so noch schneller in den wirtschaftlichen Ruin getrieben, warnt der Suchtexperte Tobias Hayer von der Universität Bremen: "Es ist anzunehmen, dass gerade suchtanfällige Personen versuchen werden, von dieser Limiterhöhung Gebrauch zu machen. Offenbar haben sich bei dem vorliegenden Vergleich abermals die ökonomischen Interessen der Glücksspielanbieter zu Lasten des Spielerschutzes durchgesetzt."
Der Sucht- und Drogenbeauftragte der Bundesregierung, Burkhard Blienert, zeigte sich auf Anfrage "richtig wütend" darüber, dass die von den Bundesländern erlassenen strikten Regeln fürs Glücksspiel "im Nachhinein klammheimlich wieder außer Kraft gesetzt werden": Die Anbieter bekämen "einen Freifahrtschein, noch mehr Profit auf Kosten der Gesundheit und am Ende der Allgemeinheit machen zu dürfen."
"Vieles spricht dafür, dass das ungesetzlich ist"
Der Staatsrechtler Christoph Degenhart regt eine verfassungsrechtliche Prüfung des Vorgangs an: "Vieles spricht dafür, dass das ungesetzlich ist", sagte er.
Fast alle Landesregierungen verweisen auf Anfrage auf die Verantwortlichkeit der Gemeinsamen Glücksspielbehörde der Länder, die derzeit prüfe, ob die Praxis der Schufa-G-Ab-frage den Vorgaben des Spielerschutzes gerecht werde. Der gerichtliche Vergleich mit den Anbietern sei erforderlich gewesen, um "strittige Rechtsfragen zu klären".
Die Frage, ob und warum mit der Vereinbarung der gesetzlich vorgeschriebene Spielerschutz ausgehebelt wurde, beantworteten die Länder nicht, mit Ausnahme des Bremer Innensenators Ulrich Mäurer (SPD): Nach Einschätzung seiner Behörde "widerspricht die Zulassung von Schufa-G den Zielen des Glücksspielstaatsvertrags, das Entstehen von Glücksspielsucht zu verhindern". Daraus folge, dass die Nutzung der Schufa-G-Abfrage "den Glückspielanbietern unverzüglich zu untersagen" sei.
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