Menschen demonstrieren gegen Schwangerschaftsabbrüche
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Paragraf 218 Abtreibungsgegner lobbyieren offenbar am Gesetz vorbei

Stand: 10.02.2025 06:00 Uhr

Abtreibungsgegner haben offenbar versucht, am Lobbyregister vorbei Einfluss auf Bundestagsabgeordnete zu nehmen. Recherchen von NDR und BR zeigen: Ein Verein aus Bayern fällt dabei besonders auf.

Von Anna Klühspies, Nadja Mitzkat, NDR, Sammy Khamis, BR

Der Verein "Aktion Lebensrecht für Alle" (ALfA e.V.) hat nach Recherchen von NDR und BR in den vergangenen Monaten mehrfach Postkarten, Briefe und ihre Vereinszeitschrift "Lebensforum" an Bundestagsabgeordnete verschickt. Darin fordern sie den Erhalt der jetzigen Regelung von Paragraf 218 Strafgesetzbuch, der Schwangerschaftsabbrüche unter Strafe stellt.

Der Verein hatte im Oktober vergangenen Jahres seine Mitglieder dazu aufgerufen, vor allem Abgeordnete von der FDP anzuschreiben. Mit Hilfe der Postkarten sollten die Abgeordneten darin bestärkt werden, "die rot-grüne ideologiegetriebene und lebensfeindliche Politik nicht weiter zu unterstützen".

Bundestagsabgeordnete von SPD und Grünen hatten im November 2024 eine Gesetzesinitiative in den Bundestag eingebracht. Sie sieht vor, Schwangerschaftsabbrüche bis zur zwölften Woche zu legalisieren. Bisher fallen Abtreibungen grundsätzlich unter das Strafgesetzbuch, bleiben aber in der Regel straffrei.

Verein ALfA gegen Schwangerschaftsabbrüche

Der Verein ALfA aus Augsburg ist 11.000 Mitglieder stark und Teil der selbsternannten "Lebensschützer-Bewegung", die aus einer Vielzahl von Gruppen und Einzelpersonen besteht und ein gemeinsames Ziel hat: gegen Schwangerschaftsabbrüche vorzugehen.

Auch die ALfA-Bundesvorsitzende Cornelia Kaminski wandte sich mit einem Brief im Januar 2025 an die Abgeordneten und forderte sie auf, gegen eine Neuregelung von Paragraf 218 zu stimmen. Die Bundesregierung sei rechtlich verpflichtet, den Schutz des ungeborenen Lebens wirksam zu verstärken. Schwangerschaftsabbrüche nicht mehr unter Strafe zu stellen, "dient erkennbar nicht diesem Ziel".

Lobbygesetz schreibt Registrierungspflicht vor

Für Aurel Eschmann vom Verein LobbyControl sind die mehrfachen versuchten Einflussnahmen von ALfA e.V. ein klares Indiz dafür, dass sich der Verein im Lobbyregister eintragen lassen müsste. Seit 2021 sind Interessenvertreter und -vertreterinnen, die versuchen, Bundestagsabgeordnete in ihrem Sinne zu beeinflussen, wenn sie dies unter anderem "regelmäßig" tun und ihr Handeln "auf Dauer angelegt" ist, verpflichtet, sich dort eintragen zu lassen.

Interessenvertreter müssen dokumentieren, in welchen konkreten Fällen sie sich mit Ministerinnen und Ministern, Abgeordneten oder deren Referenten austauschen, welche Papiere sie verschicken, zu welchen Gesetzesvorschlägen sie lobbyieren und von wem sie Spenden erhalten. Bei Verstößen sieht das Gesetz Bußgelder von bis zu 50.000 Euro vor.

Aufgabe des Registers sei es, für Politiker und Politikerinnen und für die Öffentlichkeit Transparenz zu schaffen, so Eschmann. Für das Vertrauen in demokratische Prozesse sei es wichtig, dass nachvollziehbar ist, wer auf welche Gesetzentwürfe Einfluss nehme und wie sich diese Personen und Organisationen finanzierten. Beim Verein ALfA sei diese Transparenz nicht gegeben.

"Aktivitäten von Abtreibungsgegnern gestiegen"

Die Grünen-Bundestagsabgeordnete Ulle Schauws ist Mit-Initiatorin des Gesetzentwurfs zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen. Auch sie hat Postkarten von ALfA bekommen. Der Verein ist ihr seit Jahren bekannt. Generell seien "die Aktivitäten von Abtreibungsgegnern gestiegen" und auch die Postkartenaktionen von ALfA hätten zugenommen. Schauws kritisiert, dass ALfA und andere Abtreibungsgegnerinnen trotz jahrelanger Aktivitäten nicht registriert sind. ALfA hat sich bis Redaktionsschluss nicht geäußert.

Auch der Bundesverband Lebensrecht, bei dem ALfA e.V. Mitglied ist, hat mehrfach Bundestagsabgeordnete angeschrieben. Dem NDR und BR liegen E-Mails des Verbands aus den Jahren 2019, 2020 und 2024 an Abgeordnete vor, in denen versucht wird, Bundestagsabgeordnete im Sinne des Verbands zu beeinflussen.

So heißt es in einer Mail vom Juli 2024 etwa: Es sei ein "frei erfundenes Phänomen", dass Frauen, die eine Abtreibung vornehmen lassen wollten, von Abtreibungsgegnern vor Arztpraxen oder Beratungsstellen behelligt würden. Die E-Mail wurde verschickt, einen Tag bevor im Bundestag über eine Gesetzesänderung abgestimmt wurde, die Frauen genau davor schützt.

Verfahren gegen Bundesverband Lebensrecht

Trotz der Kontaktaufnahme zu den Abgeordneten hat sich der Bundesverband Lebensrecht erst Mitte Dezember 2024 im Lobbyregister eingetragen. Auf Anfrage teilt die Bundestagsverwaltung mit, dass sie den Verband bereits im Oktober 2024 kontaktiert haben und aktuell ein Ordnungswidrigkeitenverfahren läuft. Die Bundestagsverwaltung prüft, ob Vereine, Verbände und Einzelpersonen im Sinne des Lobbyregistergesetzes registrierungspflichtig sind.

Durch den Eintrag des Bundesverbands Lebensrecht wird nun auch transparent, von wem der Verband Schenkungen oder Zuwendungen bekommt. Im Jahr 2023 waren es etwas mehr als 200.000 Euro.

Doch Aurel Eschmann von LobbyControl kritisiert, die gemachten Angaben seien insgesamt "nicht plausibel". So gibt der Bundesverband etwa an, null Euro für Interessenvertretung auszugeben. Bei einer Organisation, die keinen anderen Zweck als Lobbyismus verfolge und ein eigenes Büro in Berlin betreibe, werfe das Fragezeichen auf, so Eschmann.

Bundestagsverwaltung prüft Lobbying von Einzelperson

Bundestagsabgeordnete wurden im Zuge der Debatte um die Neuregelung des Schwangerschaftsabbruchs auch von vermeintlichen Privatpersonen kontaktiert. Darunter Angela Köninger, Direktorin und Chefärztin für Frauenheilkunde und Geburtshilfe am Klinikum der Barmherzigen Brüder in Regensburg. Anfang Dezember 2024 verschickte sie per E-Mail einen offenen Brief an Bundestagsabgeordnete, der neben ihr noch von weiteren Frauenärztinnen und Frauenärzten unterzeichnet wurde. Der Brief fordert die Abgeordneten dazu auf, gegen den Gesetzentwurf zur Neuregelung von Schwangerschaftsabbrüchen zu stimmen.

Köninger ist Teil der sogenannten "Lebensschutz-Bewegung". In der Vergangenheit trat sie mehrmals bei Veranstaltungen des Bundesverbands Lebensrecht als Rednerin und Expertin auf. Auf dem "Leben Würde Kongress 2025", einer Veranstaltung des Bundesverbands Lebensrecht, ist sie als Rednerin aufgelistet.

Auf ihren Brief nehmen sowohl die Vorsitzende des Rechtsausschusses, Elisabeth Winkelmeier-Becker von der CDU, als auch CSU-Abgeordnete Susanne Hierl in ihren Wortbeiträgen während der Bundestagsdebatte zu Paragraf 218 Bezug. Beide stellen es so dar, als handle es sich um eine neutrale ärztliche Meinung.

Hierl betont in ihrer Rede, der Brief räume mit vielen "Fake News" zur angeblich schlechten Versorgungslage bei Schwangerschaftsabbrüchen auf. Auf Anfrage von NDR und BR wollte sich die Abgeordnete Elisabeth Winkelmeier-Becker zu dem Thema nicht äußern, eine Mail an Susanne Hierl blieb unbeantwortet.

Lobbyverband sieht viel Instransparenz

Aurel Eschmann von Lobbycontrol kritisiert: Momentan werde noch zu sehr auf Lobbyisten aus klassischen Bereichen wie der Wirtschaft geschaut. Im Bereich der sogenannten Lebensschützer gebe es viele Verdachtsmomente, aber kaum registrierte Akteure. Der gesamte Bereich profitiere von dieser Intransparenz. So blieben Verknüpfungen zwischen unterschiedlichen Akteuren und Geldgeber verdeckt.

Mit Blick auf den Fall Köninger sei nun die Bundestagsverwaltung in der Pflicht. Sie müsse prüfen, ob Köninger nur den Anschein erwecke, als Privatperson zu handeln. Die Bundestagsverwaltung antwortet auf Nachfrage von NDR und BR, dass sie den Hinweisen nachgeht und auch die "mögliche pflichtwidrige Nicht-Eintragung" von ALfA e.V. prüfen werde. Weder ALfA e.V. noch der Bundesverband Lebensrecht und Angela Köninger reagierten auf eine Anfrage per Mail.

Zahlreiche Verstöße gegen das Lobbygesetz

Insgesamt 20 ordnungsbehördliche Ermittlungsverfahren im Zusammenhang mit dem Lobbyregister leitete die Bundestagsverwaltung bis Ende des vergangenen Jahres ein. Das teilte ein Sprecher auf Anfrage mit. In drei Fällen wurden Bußgeldbescheide erlassen, vier Verfahren wurden eingestellt. Die restlichen dreizehn Verfahren befinden sich derzeit in der Anhörung oder sind Gegenstand von Ermittlungsmaßnahmen durch die Bundestagsverwaltung.

Vorausgegangen waren mehr als 6.000 Überprüfungen von Lobbyverbänden und Interessenvertretern. Nötig geworden war dies durch das Inkrafttreten des Lobbyregistergesetzes im Sommer 2024.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete BR24 am 10. Februar 2025 um 10:36 Uhr.