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Vermittlung von Pflegekindern Lücken bei der Kinder- und Jugendhilfe
Bei der Vermittlung von Kindern in Pflegefamilien spielen freie Träger eine wichtige Rolle. Besonders einer von ihnen steht nach Recherchen von NDR und SZ in der Kritik. Es zeigen sich eklatante Lücken im System der Kinder- und Jugendhilfe.
"Wutausbrüche im Zusammenhang mit Hausaufgaben, Tür zuknallen. Das waren so die Anfänge im ersten halben Jahr, als er bei mir war", sagt Wolfgang Müller. Er steht in der Küche seines Reihenhauses in der Nähe von Hannover und zeigt auf den Holzrahmen, der sich von der Glastür gelöst hat. Zum Schutz der Kinder wurde sein Namen geändert.
Müller spricht über seinen Pflegesohn, der mit seinem jüngeren Bruder im Jahr 2022 bei ihm eingezogen war. Beide Kinder hatten zu diesem Zeitpunkt schon verschiedene Pflegestellen hinter sich und waren stark verhaltensauffällig. Müller sagt, er wollte Kindern, die Hilfe brauchen, ein stabiles Zuhause bieten. Doch das Jugendamt seiner Region Hannover erteilte Müller zu diesem Zeitpunkt keine Pflegeerlaubnis, unter anderem weil seine "finanzielle Basis" nicht gesichert gewesen sei. Müller hatte seine Anstellung zuvor verloren.
Schwer traumatisiert
Er wandte sich dann an einen freien Träger, bei dem dann alles ganz schnell ging. "Es wurde wenig in die Tiefe gegangen bei den Kennenlerngesprächen", so Müller. Das Unternehmen heißt Weplace und ist ein sogenannter freier Träger der Kinder- und Jugendhilfe mit Sitz im Landkreis Osnabrück. Nach eigenen Angaben liegt der Schwerpunkt auf "besonders entwicklungsbeeinträchtigten" Kindern und Jugendlichen. Bei Wolfgang Müller landeten über Weplace die zwei Brüder, damals fünf und acht Jahre alt.
Schon nach kurzer Zeit stellt Müller fest: Die Kinder sind schwer traumatisiert, zeigen sehr herausforderndes Verhalten. Müller ist an vielen Stellen überfordert. Er bittet die für ihn zuständige Familienberaterin des Trägers Weplace um Unterstützung, schreibt eindringliche Nachrichten in Chats. Die Beraterin sollte ihn regelmäßig besuchen und ihm bei der Betreuung der Kinder helfen. Doch er habe von der Beraterin nicht die nötige Unterstützung bekommen, sagt Müller heute.
Zweifel an der Eignung
Der Träger Weplace will kein Interview geben, erklärt sich aber schließlich bereit, über einen Anwalt schriftlich auf Fragen von NDR und Süddeutscher Zeitung zu antworten. Im Fall Müller bestreitet Weplace dessen Aussagen. Konkret heißt es, "die behaupteten Umstände sind unwahr und treffen nicht zu". Die Beraterin habe ihren Beratungsauftrag "vollständig und in der vereinbarten Weise erfüllt".
Zwischen Müller und den Brüdern eskaliert es immer wieder. Nach wenigen Monaten musste der jüngere Pflegesohn wieder ausziehen. Er kam in die nächste Pflegefamilie. Es war ein weiterer Beziehungsabbruch. Wolfgang Müller fragt sich heute, ob er überhaupt geeignet war, diese beiden herausfordernden Jungen bei sich aufzunehmen. Der freie Träger Weplace hatte ihn offenbar für geeignet gehalten und die Brüder aus Hessen im Auftrag des Jugendamtes des Landkreises Gießen vermittelt. Das Amt antwortete auf Anfrage, man habe sich bei der Überprüfung von Wolfgang Müller auf den Träger Weplace verlassen.
Berichte über Probleme
Eigentlich sind in Deutschland die Jugendämter dafür zuständig, Kinder in Pflegefamilien oder Heimen unterzubringen, wenn sie nicht bei ihren leiblichen Eltern bleiben können, weil sie dort etwa Gewalt oder Missbrauch erfahren haben. Manche Jugendämter lagern die Pflegekindervermittlung an sogenannte freie Träger aus. Die suchen und überprüfen im Auftrag der Jugendämter Pflegefamilien und beraten und unterstützen diese.
Formal liegt die Verantwortung allerdings weiterhin bei den Jugendämtern. Viele Träger leisteten dabei gute Arbeit, so berichten es in einer gemeinsamen Recherche von NDR und Süddeutscher Zeitung viele Jugendämter. Doch es gibt auch Fälle, in denen Probleme auftreten. Der Name Weplace taucht dabei immer wieder auf.
NDR und Süddeutsche Zeitung fragten stichprobenartig mehr als 30 Jugendämter nach ihren Erfahrungen. Einige sagten, sie arbeiteten gut mit Weplace zusammen. So heißt es etwa aus Gladbeck, man habe "durchweg gute" Erfahrungen gemacht. Viele berichten aber von Schwierigkeiten. Aus dem Landkreis Göttingen heißt es, es gebe Hinweise, dass bei Weplace die "Belastbarkeit der Familiensysteme nicht immer ausreichend geprüft" würde. In einem Protokoll des Jugendhilfeausschusses Wolfenbüttel aus dem Mai 2024 steht: "Weplace kooperiert nicht mit den örtlich zuständigen und verantwortlichen Jugendämtern".
Mangelnde Kommunikation und Kontrolle
Informationen gingen vor allem dann verloren, wenn Kinder aus einem anderen Landkreis kämen und über freie Träger vermittelt würden, sagt Frank Dreßler, Erster Kreisrat im Landkreis Goslar. Sein eigenes Jugendamt arbeite nicht mit externen Trägern zusammen, sondern kümmere sich selbst um die Vermittlung von Pflegekindern. Trotzdem wurden über den Träger Weplace Kinder zu Familien in seinen Kreis vermittelt - zunächst ohne das Wissen des Jugendamtes Goslar.
Laut Gesetz sind die sogenannten entsendenden Jugendämter - die aus dem Herkunftsort - zwar angehalten, die örtlichen Jugendämter zu informieren, eine Pflicht dazu gibt es aber nicht. Und Träger wie Weplace würden nicht mit dem Jugendamt vor Ort kooperieren, berichtet Dreßler.
Er sieht grundsätzliche Probleme in der Konstruktion: "Das ist das System: Das Jugendamt ist in Not. Das Jugendamt ist bereit viel Geld zu bezahlen, damit das Kind untergebracht wird." Der Träger könne für die Familien höhere Sätze verhandeln, als bei Jugendämtern üblich sei. Zudem genieße der Träger eine höhere Ungebundenheit "bei nicht vorhandener staatlicher Kontrolle", sagt Dreßler.
Widersprüchliche Angaben
Dreßler hat einen Fall erlebt, bei dem über Weplace zwei Kinder in eine Familie vermittelt wurden, die bereits zwei Pflegekinder für das Jugendamt Goslar betreute, obwohl das Jugendamt Goslar nach eigener Aussage davon abgeraten hatte. Was dann konkret passierte und warum, dazu gibt es verschiedene Versionen. Klar ist: Am Ende nahm das Jugendamt mehrere Kinder aus der Familie in Obhut.
Weplace bestreitet generell, nicht mit den Jugendämtern zu kooperieren. Im Fall Goslar habe das Jugendamt "die Zusammenarbeit mit unserer Mandantin verweigert und boykottiert." Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen die Pflegeeltern wegen des Verdachts der Misshandlung von Schutzbefohlenen. Das Verfahren steht noch am Anfang.
Strenge Kriterien
An Fällen wie diesen zeigt sich: Bei einem Mangel an Informationsaustausch leiden am Ende die Pflegekinder. Um für Kinder stabile Pflegeverhältnisse sicherzustellen, arbeitet der Verbund der "Westfälischen Pflegefamilien" - ein Zusammenschluss aus etwa 50 freien Trägern - nach strengen Kriterien. Dazu gehöre etwa ein Fachkräftegebot und die Auflage, dass in der Regel nicht mehr als zwei Kinder in eine Familie vermittelt würden, sagt Imke Büttner. Sie ist im Landesjugendamt Westfalen für das Pflegekinderwesen zuständig und erklärt: "Man geht davon aus, dass die Ressourcen der Pflegeeltern nicht unendlich sind." Einige Pflegeeltern überschätzten sich und wollten weitere Kinder, auch wenn das fachlich nicht angeraten sei.
Pflegemutter Katharina Schulze (Name geändert) fühlte sich von einigen der für sie zuständigen Weplace-Beraterinnen und Beratern bedrängt, weitere Kinder aufzunehmen. Dabei hätten diese auch darauf hingewiesen, wie viel Geld sie für weitere Pflegekinder bekommen würde: "Es ist direkt gesagt worden: Mensch, wenn du für ein Kind 3.000 Euro kriegst, dann überleg' dir mal, du nimmst Geschwister auf und ein Kind hast du ja schon. Dann hast du fast 10.000 Euro im Monat für drei Kinder insgesamt."
Über ihre Aussagen gab Katharina Schulze eine eidesstattliche Versicherung ab. Weplace widerspricht ihren Schilderungen: "Entsprechende Informationen sind falsch und frei erfunden", heißt es schriftlich.
Scheitern in Kauf genommen?
NDR und Süddeutsche Zeitung konnten mit ehemaligen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern von Weplace sprechen. Mehrere von ihnen erzählen, dass nach ihrem Eindruck die Priorität bei Weplace gewesen sei, schnell möglichst viele Kinder in Familien zu vermitteln. Eine von ihnen berichtet, in ihrer Wahrnehmung sei das Scheitern von Pflegeverhältnissen in Kauf genommen worden: "Diese Abbrüche wären zu verhindern gewesen, hätte die Familie eine umfassende und eine gute Vorbereitung erfahren." Weplace schreibt dazu, man könne Familien generell nur bedingt auf ein Pflegeverhältnis vorbereiten und außerdem sei die Abbruchquote bei Weplace geringer als gewöhnlich in der Branche. Belege für diese Aussage liefert der Träger nicht.
Bei Hubert Meyer, Geschäftsführer des Niedersächsischen Landkreistages, sind mittlerweile aus mehreren Kommunen Beschwerden über die Arbeit einiger freier Träger eingegangen. Er hat sie an das Bundesfamilienministerium weitergegeben und fordert, dass Jugendämter "verpflichtend und zwar umgehend informiert werden, wenn in ihrem Bereich Kinder in Pflegefamilien kommen."
In einer Stellungnahme vom Dezember 2024 verwies auch der Bundesrat in diesem Bereich auf "Schutzlücken". Das Bundesfamilienministerium schrieb auf Anfrage von NDR und Süddeutscher Zeitung, man wolle die Wirksamkeit der Regelungen dazu nun "evaluieren".