Kindergeld im Ausland Scheinheilige Gerechtigkeitsdebatte
Die Kommunen schlagen Alarm, weil es immer mehr ausländische Kindergeldempfänger gibt. Das ist verständlich, meint Andreas Meyer-Feist. Mit Blick auf Pflege und Bau warnt er jedoch vor den Folgen der Debatte.
Eine alte Debatte wird neu justiert - mitten in der Sommerzeit. Der Aufschrei der Städte und Gemeinden ist verständlich: Menschen aus Polen, Rumänien und Bulgarien werden von diversen Vermittlern in Schrottimmobilien untergebracht, angemeldet und ausgebeutet.
Der Wert des Menschen bemisst sich hier nach dem Wert des deutschen Kindergeldes - und das übersteigt bei entsprechender Kinderzahl schon mal leicht ein Monatseinkommen. Das nebenbei bemerkt dann bei den Vermittlern ankommt und nicht bei den Kindern. Und die Kosten für das Kindergeld, das auf Auslandskonten landet, steigen dramatisch.
Deutschland profitiert von Europa
Nur: Dieses Problem betrifft beileibe nicht alle EU-Arbeitskräfte. Die allermeisten werden nachgefragt und gebraucht. Sie sind anerkannt und unverzichtbar. Sie tragen wie die Deutschen zur wirtschaftlichen Entwicklung bei. Sie zahlen in die Sozialkassen ein. Und sie füllen viele Lücken. Sie fühlen sich - anders als so mancher Deutscher - auch nicht zu fein für schwierige Jobs. Auch, wenn ihre Kinder zuhause leben, die sie kaum sehen, und die alleine groß werden müssen - in Regionen, die ohnehin schon ausgeblutet sind, weil es dort keine Jobs gibt.
Das ist schwierig genug. Und deshalb ist die Gerechtigkeitsdebatte um das Kindergeld für Ausländer scheinheilig. Europa ist ein Geben und Nehmen. Für Deutschland ist diese Bilanz, wenn es um Arbeitskräfte geht, mit einem Gewinn ausgegangen.
Wir haben einen Notstand bei der Pflege und bei Bauberufen. Soll dieser Notstand noch größer werden, nur weil wir Familien, die ohnehin auseinandergerissen sind, beim Kindergeld bestrafen? Und ihnen hochmütig zeigen: Ihr gehört nicht dazu? Eure Kinder können zuhause auch mit weniger Geld auskommen? Denkt dabei jemand überhaupt an die Familien, die nicht zusammen sein können, und die jetzt auch noch mit nationalem Egoismus bestraft werden sollen?
Einkommen angleichen, statt weiter zu spalten
So geht es nicht. Aber diese ganze Idee ist auch nicht neu. Österreich will damit schon im kommenden Jahr Ernst machen. Das Kindergeld soll sich an den Lebenshaltungskosten im jeweiligen Heimatland orientieren. Das bedeutet viel Bürokratie. Und weniger Kindergeld für Polen, noch mehr Kindergeld für Schweden als bisher. So treibt man einen Keil durch Europa. Die Unzufriedenheit mit der EU wird dadurch größer, nicht kleiner.
Die Binnenmigration in der EU hat mit großen Einkommensunterschieden in der EU zu tun. Es führt kein Weg daran vorbei, diese Unterschiede allmählich abzubauen und das Problem bei der Wurzel zu packen. Solange es hier keine Vergleichbarkeit gibt, darf es aber auch keine Ungleichbehandlung für die Jüngsten und Schwächsten der Gesellschaft geben.
Europäische Werte nicht nur auf dem Papier
Und wenn es um Kindergeldmissbrauch geht: Mit diesem Begriff sollte man vorsichtig sein. Oft werden Sinti und Roma ins Visier genommen. Menschen, die Schutz brauchen und keine Drangsalierung, die sie in vielen EU-Ländern noch viel stärker spüren als bei uns.
Natürlich: Es ist wichtig, gegen Schlepper vorzugehen, die arme Menschen aus Osteuropa anlocken, nur weil sie es auf das Kindergeld abgesehen haben. Sie leben dort, wo wir kaum hinschauen: In Schrottwohnungen, aber ordentlich angemeldet. Das aber ist Aufgabe nationaler Behörden. Das geht nicht auf Kosten europäischer Werte.
Und die sollten nicht nur auf dem Papier stehen. Sie sollten auch die deutschen Städte und Gemeinden anregen, über den Tellerrand zu blicken, wenn es um Kinder geht.
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