Überschüssiges Gas in einer Rohölverarbeitungsanlage wird verbrannt.
Kommentar

Öl-Embargo gegen Russland Gut gemeint - aber nicht durchdacht

Stand: 04.05.2022 15:57 Uhr

Ein Öl-Boykott der EU soll Russland schwächen - doch dieser Plan enthält mehrere Denkfehler. Möglicherweise würde Präsident Putin sogar daran verdienen und Europa letztlich den Gashahn zudrehen.

Die Europäische Union meint es ja gut. Sie steht moralisch auf der richtigen Seite, sie unterstützt die kleine mehr oder weniger friedliche Ukraine gegen den großen Aggressor Russland und seinen Machthaber Wladimir Putin. Und die EU macht dabei einen Balanceakt, weil sie ja nicht selbst Kriegspartei werden will, denn das wäre das Ende. Also kämpft man ökonomisch.

Manche nennen das einen "Wirtschaftskrieg", aber es geht hier ja weniger um Worte. Das Prinzip allerdings, das Kriege immer weiter treibt, das gilt auch für Aktionen, die den Gegner wirtschaftlich treffen sollen. Gewalt erzeugt Gegengewalt, und Sanktionen erzeugen Gegensanktionen.

Nun also will die EU ihr sechstes Paket mit Sanktionen gegen Russland auf den Weg bringen - und dieses Mal geht es dabei auch um einen wichtigen fossilen Energieträger, um russisches Erdöl. Spätestens bis zum Ende des Jahres will man das in Europa nicht mehr haben. Und Russland will man damit massiv schwächen, weil - so die Annahme und die Hoffnung zugleich - Putin dann ja wirklich das Geld ausgehen müsse. Und er seinen Feldzug gegen die Ukraine nicht mehr finanzieren kann. Dann geht der Krieg endlich zu Ende, und die Welt wird neu sortiert.

Mehrere Denkfehler

Das ist die gute Absicht Europas, und sie ist auch aller Ehren wert. Aber leider gibt es dabei gleich mehrere Denk- und zusätzlich auch noch Umsetzungsfehler. Als erstes ist da die irrige Annahme, dass Putin sich davon wirklich beeindrucken lassen oder ernsthaft in solche ökonomischen Schwierigkeiten geraten wird, dass er den Krieg nicht fortsetzen kann oder will.

Schon jetzt treibt ja allein die Ankündigung dieses Öl-Boykotts auf Raten - denn ein solcher wird es ja sein - die Ölpreise auf dem Weltmarkt weiter in die Höhe. Schon jetzt dürften Russlands Machthaber deshalb die Dollar-, pardon, die Rubel-Zeichen in den Augen stehen; und er hat ja schon in den vergangenen Wochen prächtig verdient am Öl und dessen Preisexplosion.

Und wenn die Europäer sein Öl nicht mehr wollen oder zumindest nicht mehr so richtig wollen, dann exportiert er es eben nach China oder nach Indien - oder in die Slowakei oder nach Ungarn, jene EU-Staaten, die erstmal nämlich nicht mitmachen. So viel - nebenbei - zur großen europäischen Geschlossenheit …

Verpufft das Embargo?

Putin wird sich andere Abnehmer besorgen, er wird sie finde. Er wird sie vielleicht dafür mit freundlichen Rabatten belohnen, in jedem Fall: Er wird weiter Geld damit verdienen, vielleicht sogar noch mehr als vorher - und Europas wunderbares Öl-Embargo verpufft.

Das ist keineswegs unwahrscheinlich, auch deshalb nicht, weil dieses Europa ja alles dafür tut, damit seine Bürgerinnen und Bürger trotz Embargo weiter munter Öl verbrennen können. Am besten in ihren Autos. Benzin muss erschwinglich bleiben, also: Preisbremsen, Preisdeckel, Preissubventionen - freie Fahrt für freie Bürger, koste es, was es wolle - am Ende gerne auch die Wirkung des eigenen Embargos.

Albtraum-Szenario: Gashahn zu

Und dann? Dann zieht Putin vielleicht als Gegenreaktion seine ökonomisch mächtigste Waffe: Er dreht den Europäern den Gashahn zu. Das hat er ja schon gemacht im Falle von Polen und Bulgarien. Ein kleiner Vorbote für das, was kommen könnte. In Brüssel sprechen sie von einem Albtraum-Szenario. Dem ist wenig hinzuzufügen. Wie war das gleich? Das Gegenteil von gut ist gut gemeint. Genau.

Redaktioneller Hinweis
Kommentare geben grundsätzlich die Meinung des jeweiligen Autors oder der jeweiligen Autorin wieder und nicht die der Redaktion.
Holger Beckmann, Holger Beckmann, ARD Brüssel, 04.05.2022 15:10 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichteten die tagesthemen am 04. Mai 2022 um 22:15 Uhr.