Zwei Frauen halten Plakate zur Unterstützung der Französin Gisele Pelicot.
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Urteil im Vergewaltigungsprozess Gisèle Pelicot hat uns die Augen geöffnet

Stand: 19.12.2024 16:13 Uhr

Der Hauptangeklagte im Fall Pelicot muss 20 Jahre in Haft, andere kamen teilweise mit Bewährungsstrafen davon. Wichtig ist aber vor allem, dass der Vergewaltigungsprozess überhaupt öffentlich stattgefunden hat.

Ein Kommentar von Julia Borutta, ARD Paris

Der Mut und die Standfestigkeit von Gisèle Pelicot dürfen nicht ohne Folgen bleiben. Sie hat diesen Prozess für die Gesellschaft ausgefochten, jetzt ist die Gesellschaft dran.

Die Politik muss auf allen Ebenen reagieren. Erstens: Das Gesetz ändern und zwar nach der Regel: Nur ein Ja ist ein Ja - alles andere bedeutet nein. Nur wenn die explizite Zustimmung zur sexuellen Handlung im Gesetz steht, können auch die Fälle vor Gericht gebracht werden, in denen sich Frauen aus Angst oder in Schockstarre nicht gewehrt haben.

Schnelltests in der Apotheke, Anzeigen im Krankenhaus

Zweitens: Schnelltests in jeder Apotheke verfügbar machen. Warum sollen sich Frauen nur auf Schwangerschaften, nicht aber auf Betäubungsmittel wie K.o.-Tropfen unkompliziert selber testen können? 

Drittens muss die französische Regierung ihre Pläne umsetzen und dafür sorgen, dass Frauen im Krankenhaus Anzeige erstatten können - und nicht erst ein Kommissariat aufsuchen müssen. Denn: Alles, was hilft, die Hürde der Scham zu überwinden, ist richtig und dringend nötig.

Täter im unmittelbaren Umkreis

Es gibt ein vor dem Prozess und nach dem Prozess Pelicot. So bitter es ist: Wir alle müssen ab jetzt das Undenkbare für denkbar halten. Das ist eine schmerzhafte Lektion. Aber weil Dominique Pelicot seine eigene Ehefrau über Jahre hinweg betäubte und vergewaltigte, und weil es ihm ein Leichtes war, für diese Taten Gleichgesinnte zu rekrutieren, ist klar: Das Unvorstellbare ist vorstellbar.

Zumal, und das sollte besonders nachdenklich machen: Dominique Pelicot brauchte die Vergewaltiger nicht am anderen Ende Frankreichs zu suchen. Er fand seine perversen Kompagnons zu Dutzenden in einem Umkreis von nur 20 bis 30 Kilometern. Das bedeutet, dass jede Frau begreifen muss: Auch in meinem unmittelbaren Umkreis gibt es nicht nur einen, sondern Dutzende Männer, die zu solchen Taten fähig wären, wenn sie nur die Gelegenheit dazu hätten.

Gisèle Pelicot als Vorbild

Gisèle Pelicot hat sich durch diesen Prozess gekämpft, hat Haltung bewahrt und geht als leuchtendes Beispiel voran.

Unmittelbar nach der Urteilsverkündung hat sie mit ungeheurer Würde - erleichtert, bewegt, aber gefasst - gesagt, sie denke vor allem an all jene Opfer, denen keine Gerechtigkeit widerfahren sei, die nicht als Opfer anerkannt würden. Mit ihnen teile sie denselben Kampf. Und sie hat gesagt, dass sie Vertrauen in die Gesellschaft habe, eine Zukunft anzustreben, in der Männer und Frauen in Harmonie leben.

Das, was Gisèle Pelicot widerfahren ist, ist ein Schock. Aber ein heilsamer Schock. Gisèle Pelicot hat uns mit ihrem Mut und ihrer Standfestigkeit die Augen geöffnet. Jetzt müssen wir alle auch hinsehen!

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Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 19. Dezember 2024 um 16:00 Uhr.