Herbert Kickl bei einem Wahlkampfauftritt in Graz (Österreich) im September 2024.
interview

Regierungsauftrag für FPÖ-Chef Kickl "Die Brandmauer ist zerbröckelt"

Stand: 06.01.2025 16:19 Uhr

Österreichs Parteien der Mitte waren nicht auf ein Scheitern der Koalitionsverhandlungen vorbereitet, kritisiert die Politikwissenschaftlerin Stainer-Hämmerle. Im Interview erklärt sie, was sich unter FPÖ-Chef Kickl ändern könnte.

tagesschau24: Sind Sie überrascht davon, dass FPÖ-Chef Herbert Kickl den Auftrag zur Regierungsbildung erhalten hat?

Kathrin Stainer-Hämmerle: Überrascht wurden wir vom Platzen der Gespräche zwischen ÖVP, SPÖ und auch den NEOS. Das war tatsächlich die Überraschung dieses Wochenendes - weniger jetzt die Erteilung des Auftrags zur Regierungsbildung. Der Bundespräsident war dazu gezwungen, den Freiheitlichen die Regierungsbildung zu übergeben, er hat das nicht freiwillig gemacht.

Es gibt keine Alternative mehr dazu, eine Koalition zwischen ÖVP und der Freiheitlichen Partei zu schmieden. Ansonsten würde das Land auf Neuwahlen zusteuern. Ich glaube, das möchte auch Bundespräsident Alexander Van der Bellen verhindern.

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Zur Person
Kathrin Stainer-Hämmerle ist Professorin für Politikwissenschaft an der FH Kärnten in Villach.

"Tiefes Misstrauen gegenüber den Parteien"

tagesschau24: War das Platzen der Koalitionsgespräche zwischen ÖVP und SPÖ und auch NEOS fahrlässig?

Stainer-Hämmerle: Ja. Vor allem war die trügerische Ruhe und der Optimismus, den die drei Parteien noch bis kurz vor dem Scheitern in öffentlichen Auftritten signalisiert haben und dann der schnelle Schwenk, dass jetzt doch keine inhaltliche Einigung möglich ist, nicht nur überraschend, sondern für mich auch ein Grund, warum die Bevölkerung gegenüber den Parteien ein tiefes Misstrauen hat.

Es war von Beginn an klar, dass diese drei Parteien sehr unterschiedliche Programme und Vorstellungen haben. Aber was sie geeint hat, war, Herbert Kickl aus dem Bundeskanzleramt fernzuhalten.

Offensichtlich war diese Klammer dann nicht genug, weil vor allem die NEOS, die als erste den Tisch verlassen haben, eine Dynamik ausgelöst haben, die das Gefühl vermittelt hat, dass weder die ÖVP und schon gar nicht die SPÖ darüber nachgedacht haben, was die nächsten Schritte sind oder der Plan B wäre.

Eine Hürde bei den Verhandlungen

tagesschau24: Wofür steht die FPÖ, mit der am Anfang niemand zusammenarbeiten wollte?

Stainer-Hämmerle: Die FPÖ ist, ähnlich wie die AfD in Deutschland, eine rechtspopulistische Partei, anders als die AfD ist sie allerdings hier nicht als rechtsextrem gekennzeichnet. Die FPÖ ist aber auch im Unterschied zur AfD eine Partei, die seit den 1950er-Jahren eine Rolle spielt. Sie regiert inzwischen in fünf Bundesländern mit.

Aber inhaltlich steht sie für einen restriktiven Migrationskurs, für eher eine konservative Politik, wenn es um das Familienbild geht und auch in der Bildungspolitik. Sie steht aber auch für eine relativ liberale Wirtschaftspolitik. Hier hofft natürlich die ÖVP, dass es zu Einigungen kommt, etwa in der Ablehnung von neuen Steuern.

Ich bin aber noch nicht so optimistisch, dass die Vereinbarung zu einem Regierungsübereinkommen gelingt. Die FPÖ steht vor allem für einen sehr skeptischen EU-Kurs bis hin zur Ablehnung der EU. Das wird eine Hürde in den Verhandlungen darstellen.

Knackpunkt Außenpolitik

tagesschau24: Was erwarten Sie denn für Gespräche? Wer wird da das Sagen haben?

Stainer-Hämmerle: Die Verantwortung, die weiteren Verhandlungsprozesse zu organisieren, liegt jetzt bei der FPÖ. Die hatte schon nach der Wahl einen Plan ausgearbeitet, auch mit einem konkreten Zeitablauf, wer wann über welche Themen miteinander spricht. Den können sie jetzt, drei Monate später, einfach aus der Schublade holen und der ÖVP noch einmal vorlegen.

Allerdings braucht es auch inhaltliches Entgegenkommen. Ich denke nicht, dass sich die Freiheitlichen mit ihren gesamten Vorstellungen werden durchsetzen können, insbesondere wenn es um Außenpolitik geht. Die Freiheitlichen lehnen ja auch Sanktionen gegenüber Russland und Hilfe für die Ukraine ab.

Wie weit die FPÖ den Staat umbauen würde

tagesschau24: Volkskanzler Kickl, so hat sich der FPÖ-Chef mal bezeichnet. In Deutschland hinterlässt das einen sehr üblen Nachgeschmack. Ist die Demokratie in Österreich, gerade wenn man sich Kickls Vorgeschichte anschaut, in Gefahr?

Stainer-Hämmerle: Die Demokratie im Gesamten vielleicht nicht. Wir sehen ja auch heute schon am Wiener Ballhausplatz Demonstrationen gegen eine Regierungsbeteiligung von Kickl. Ich denke, da werden noch einige zivilgesellschaftliche Gruppierungen aufwachen, wachsamer sein, sich zusammenschließen.

Aber es ist schon zu erwarten, dass Kickl zum Beispiel öffentlich-rechtlichen Medien die Budgetmittel kürzen wird, sofern das möglich ist. Das hat er angekündigt, und der Bundespräsident hat darauf noch einmal explizit reagiert. Kickl hat auch angekündigt, dass er vor allem Asylwerbern einige Rechte und Mittel streichen möchte, die zum Beispiel über eine Gesundheitsgrundversorgung hinausgehen oder auch Sozialleistungen.

Es ist zu erwarten, dass auch mit der Justiz einiges an Einfluss versucht wird, weil im Umfeld von Kickl immer wieder angedeutet wird, es gelte, auch gegen den sogenannten tiefen Staat zu kämpfen. Und das würde ja nichts anderes bedeuten - wir kennen das von Donald Trump -, als dass in der gesamten Verwaltung und in der Justiz, aber auch in den öffentlich-rechtlichen Medien, versucht wird, Personen, die von der FPÖ als kritisch gesehen werden, auszutauschen.

Eine Forderung aus ihrem Programm ist auch, dass man Lehrer, die angeblich Schülerinnen und Schüler manipulieren, auf Listen setzt und diese meldet. Also explizit eine Meldestelle für Lehrer an Schulen. Das sind schon Ankündigungen, die man in einem pluralen, liberalen Rechtsstaat nicht erwarten würde.

"Das werden noch spannende Verhandlungen werden"

tagesschau24: Wird die österreichische Demokratie dem standhalten können?

Stainer-Hämmerle: Wir haben ja schon mehrere Regierungsbeteiligungen der Freiheitlichen Partei erlebt, selten hat sie lange gedauert. Ich wäre aber nicht so optimistisch, nur darauf zu warten, dass sich die Freiheitlichen durch einen Skandal wieder selbst aus dieser Position hinausbefördern. Oder, wie es Jörg Haider damals gemacht hat, sich abzuspalten, so dass sich die Partei dann teilt.

Rechtspopulisten lernen schon zu regieren. Sie sind in fünf Landesregierungen vertreten, und da braucht es mehr an Bemühungen der anderen Parteien, dem etwas entgegenzusetzen. Dass dieser Schritt noch nicht gelungen ist, haben wir in diesen Koalitionsverhandlungen zwischen SPÖ, ÖVP und auch den NEOS erlebt. Wir haben erlebt, dass die Angst vor einem Herbert Kickl im Bundeskanzleramt offensichtlich noch nicht so groß ist, um Differenzen aus dem Weg zu räumen und doch zusammenzufinden.

In Deutschland würde man das die Brandmauer nennen. Die ist auf jeden Fall an diesem Wochenende in Österreich zerbröckelt.

tagesschau24: Was könnte eine Kickl-Regierung für Europa bedeuten?

Stainer-Hämmerle: Das wird sehr interessant - schon bei den Regierungsverhandlungen, weil die FPÖ den Asyl- und Migrationspakt der EU ablehnt. Sie hat übrigens auch angekündigt, dass sie aus weiteren internationalen Abkommen aussteigen möchte. Das betrifft etwa die WHO oder auch den Internationalen Gerichtshof. Aber gerade bei dem Thema Asyl und Migration ist spannend, dass die ÖVP, also eventuell der zukünftige Regierungspartner, mit Magnus Brunner den dafür zuständigen EU-Kommissar stellt. Die eine Regierungspartei müsste also für die Umsetzung des Pakts zuständig sein, die andere würde den ganzen Pakt in Bausch und Bogen ablehnen. Das werden noch spannende Verhandlungen werden.

Das Gespräch führte Michail Paweletz, tagesschau24. Für die schriftliche Fassung wurde das Gespräch angepasst.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 06. Januar 2025 um 14:00 Uhr.