Nach dem Nasdaq-Ausverkauf Stabilisierung mit Bauchschmerzen
Ein überraschend gutes Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal hat die Wall Street gestützt. Doch die Lage bleibt mit Blick auf die Zahlen der großen Tech-Unternehmen angespannt.
In New York sind die Anleger auch nach dem gestrigen Ausverkauf wieder zuversichtlicher geworden. Die wichtigsten Technologie-Indizes hatten im frühen Handel noch an ihre sehr hohen Verluste vom Mittwoch angeknüpft und weiter nachgegeben, doch zuletzt erholten sie sich im Verlauf. Geholfen hat den Märkten dabei ein überraschend starkes Wirtschaftswachstum im zweiten Quartal. Das US-BIP ist um 2,8 Prozent deutlich stärker gewachsen als erwartet.
Der Dow Jones, der Leitindex der Standardwerte, gewann am Ende leicht um 0,2 Prozent auf 39.935 Punkte und war damit der Beste der großen Wall-Street-Aktienindizes. Und das nachdem er von seinem Rekord vor einer Woche bei 41.376 Punkten zuletzt um fast vier Prozent korrigiert hatte. Dass die Anleger aber weiter nervös bleiben was die Technologiewerte betrifft, zeigte sich an der Nasdaq, die gestern einen selten da gewesenen Ausverkauf erlebt hatte und sich auch heute nicht wirklich erholen konnte.
Im Gegenteil, der Composite-Index schloss bei einer Schwankung von rund 500 Punkten am Ende um 0,93 Prozent schwächer bei 17.180 Punkten. Auch der Auswahlindex Nasdaq 100 konnte sich mitnichten von seinen hohen Vortagesverlusten von fast vier Prozent erholen. Der Schlussstand lag bei XX Zählern, ein klares Minus von von 1,06 Prozent. Der marktbreite S&P-500-Index, der sowohl Technologie- als auch Standardwerte enthält ging bei 5.399 Zählern ein gutes halbes Prozent schwächer aus dem Handel.
An der Dow-Spitze stiegen die Papiere von IBM um 4,3 Prozent. Der Computer-Konzern übertraf dank seines gut gelaufenen Software-Geschäfts die Erwartungen der Analysten bei Umsatz und Gewinn. Am Index-Ende verloren die Anteilscheine des Industrie-Zulieferers Honeywell 5,2 Prozent. Der Industriekonzern senkte seine Prognose für den bereinigten Gewinn je Aktie in diesem Jahr.
Gestern waren Befürchtungen aufgekommen, dass es länger als erwartet dauern könnte, bis sich die hohen Investitionen der Tech-Giganten in Künstliche Intelligenz auszahlen. Daraufhin war es zu einem Ausverkauf in der Branche gekommen. Im Gefolge trennten sich Anleger insbesondere von Papieren aus der Halbleiterbranche, nachdem auch aus Europa schlechte Nachrichten gekommen waren. In der kommenden Woche legen mit Microsoft, Meta, Apple und Amazon vier der "sieben Großen " ihre Quartalszahlen vor.
Für eine weiter starke Wirtschaftstätigkeit in den USA sprechen derweil die BIP-Zahlen für das zweite Quartal. Denn die US-Wirtschaft ist im zweiten Quartal trotz der anhaltend hohen Zinsen deutlich kräftiger gewachsen als erwartet. Wie das Handelsministerium in Washington heute mittelte, legte das Bruttoinlandsprodukt (BIP) annualisiert laut einer ersten Schätzung um 2,8 Prozent im Vergleich zum entsprechenden Vorjahreszeitraum hinzu.
Ursachen waren gestiegene Verbraucherausgaben und höhere Investitionen von Unternehmen in ihre Lagerbestände. Ökonomen hatten ein Wachstum von nur 1,9 Prozent erwartet. Im ersten Quartal war das BIP um 1,4 Prozent gestiegen. Die deutliche Zunahme des BIP ist eine gute Nachricht für Vizepräsidentin Kamala Harris, die nach dem Verzicht von Präsident Joe Biden voraussichtlich von den US-Demokraten zur Kandidatin für die Präsidentschaftswahl im November ernannt werden wird. Die US-Wirtschaftslage ist ein zentrales Thema des Wahlkampfs.
"Die größte Volkswirtschaft der Welt scheint derzeit immun gegenüber den globalen wirtschaftlichen Problemen zu sein. Während Europa unter der schwachen Entwicklung des globalen verarbeitenden Gewerbes leidet, hält die US-Wirtschaft hier ihren starken inländischen Verbrauch dagegen", kommentierte Thomas Gitzel von der VP Bank.
Auch wenn die Märkte fest mit einem ersten Zinssenkungsschritt der US-Notenbank im September rechnen, gibt das der Arbeitsmarkt nicht her. Denn die wöchentlichen Erstanträge auf Arbeitslosenunterstützung in den USA sind gesunken. Die Zahl der Hilfsanträge fiel um 10.000 auf 235.000, wie das Arbeitsministerium in Washington mitteilte. Volkswirte hatten im Schnitt einen Rückgang auf 238.000 Anträge erwartet.
Nach wie vor ist die Lage auf dem amerikanischen Arbeitsmarkt trotz vergleichsweise hoher Zinsen robust. Obwohl sich die Inflation zuletzt abgeschwächt hatte und im Juni auf 3,0 Prozent gesunken war, gab es von der Notenbank keine klaren Signale für eine baldige Zinssenkung.
Die Experten der ING sehen im jüngst deutlich stabilisierten japanischen Yen einen strukturellen Dämpfer für die Risikoneigung an den Finanzmärkten. Der Dollar sank schon auf 152,28 Yen. Niedriger hat der Dollar zuletzt Anfang Mai notiert. Am 11. Juli war der Dollar noch bis auf 161,95 Yen gestiegen. Dies war der höchste Dollar-Stand seit Mitte der 1980er-Jahre.
Viele Investoren hätten sich in Japan günstiges Geld für ihre Spekulationen besorgt. Diese Wette droht nun nicht mehr aufzugehen und verstärkt die Gewinnmitnahmen an den ohnehin gut gelaufenen Aktienmärkten. Fachleute sprechen bei der Ausnutzung von Zinsdifferenzen zwischen Währungsräumen von sogenannten Carry-Trades.
Der Euro handelt derweil gegen den Dollar im US-Handel zuletzt leicht höher bei 1,0846 Dollar. Die Europäische Zentralbank setzte den Referenzkurs auf 1,0851 (Mittwoch: 1,0848) Dollar fest.
Der heutige Handelstag war nichts für schwache Nerven. Der DAX schwankte am Ende zwischen 18.096 und 18.326 Punkten. Am Ende schloss der deutsche Leitindex um 0,48 Prozent leichter bei 18.298 Punkten. Auch der MDAX der mittelgroßen Werte verringerte seine Verluste und ging am Ende bei 24.951 Punkten um 0,43 Prozent leichter aus dem Handel.
Themen des Tages waren die Schwäche der Nasdaq vom Vortag, aber auch ein schwacher ifo-Geschäftsklimaindex. Dieser verfehlte die Analystenerwartungen und deutet auf eine sich weiter abschwächende deutsche Wirtschaft hin.
Dass die Börse am Ende mit einem blauen Auge davon kam, verdankt sie einem Stabilisierungsversuch der Wall Street nach dem Ausverkauf des Vortages. Konstantin Oldenburger, Analyst beim Broker CMC Markets, zeigte sich optimistisch: "Beruhigt sich die Situation in New York wieder, dürfte sich auch die Nervosität in Frankfurt legen."
Die eklatante Schwäche an der US-Technologiebörse Nasdaq am Vortag hatte zunächst auch am deutschen Aktienmarkt auf die Stimmung gedrückt. "Das war eine regelrechte Flucht aus Aktien", kommentierte Portfoliomanager Thomas Altmann von QC-Partners das Minus von fast vier Prozent im Nasdaq 100 am Mittwoch, und damit dessen schwächsten Handelstag seit Oktober 2022.
Am Markt mache sich nach einigen enttäuschenden Quartalsberichten wie etwa von Tesla und Alphabet Angst breit, dass die Aktienkurse doch zu schnell und zu hoch gestiegen sein könnten. Und diese Angst treffe die KI-Aktien in ganz besonderem Maße, so Altmann.
"Eine Beruhigung und nachhaltige Erholung scheint nur möglich, wenn die Bilanzen in der kommenden Woche überzeugen", glauben die Experten von Index-Radar. Am Dienstag berichtet Microsoft, am Mittwoch Meta und am Donnerstag Apple und Amazon.
Bayer standen nach einem für das Unternehmen günstig ausgefallenen Glyphosat-Urteil aus Australien an der DAX-Spitze, die Aktie gewann gut zwei Prozent. Ein Richter wies dort am Donnerstag eine Sammelklage ab, in der Bayer vorgeworfen wurde, dass sein glyphosathaltiger Unkrautvernichter Roundup eine bestimmte Form von Blutkrebs verursachen könne. Richter Michael Lee vom Bundesgericht Australiens urteilte, dass keine ausreichenden Beweise dafür vorlägen, dass Roundup Non-Hodgkin-Lymphome (NHL) verursachen könne.
Auch die T-Aktie legte gegen den Trend zu und stieg wieder über 24 Euro. Schon gestern war bekannt geworden, dass die US-Tochter T-Mobile US in den USA ihr Geschäft durch einen milliardenschweren Zukauf ins Glasfasernetz weiter ausbaut. Das US-Analysehaus Bernstein Research hat T-Mobile US auf "Outperform" mit einem Kursziel von 190 Dollar belassen. Das Thema Breitbandanschlüsse sei eine erfolgreiche Wachstumsgeschichte des Telekomunternehmens, schrieb Analyst Ottavio Adorisio mit Blick auf die gemeinsam mit dem Investor KKR geplante Übernahme des Glasfaseranbieters Metronet.
Im DAX war die Infineon-Aktie mit einem Minus von über sechs Prozent der größte Verlierer. Das Papier stand ganz unter dem Eindruck schlechter Branchennachrichten. Der Chiphersteller STMicroelectronics hat erneut seine Prognose gesenkt. So hätte sich die Nachfrage nach Chips für Industrieanwendungen entgegen den Erwartungen nicht erholt, teilte der Infineon-Konkurrent mit. Bei der Automobilindustrie ginge sie zudem zurück.
Zu den Sorgen um die "Big 7" in den USA kam heute noch, dass sich die konjunkturelle Lage in Deutschland zunehmend verschlechtert. Der ifo-Index sendete heute ein ernstzunehmendes Signal für eine Trendwende der deutschen Wirtschaft nach unten. Der Frühindikator ist im Juli das dritte Mal in Folge gefallen - damit ist eine von vielen Ökonomen verwendete Definition für einen Abschwung erfüllt.
Jörg Krämer, Chefvolkswirt Commerzbank, spricht von einer weiteren "kalten Dusche für die verbliebenen Konjunkturoptimisten". Bereits gestern hatten die deutschen und europäischen Einkaufsmanagerindizes negative Konjunktursignale gesandt. "Die zuletzt schwachen Konjunkturindikatoren setzen ein dickes Fragezeichen hinter die von vielen Volkswirten für das zweite Halbjahr erwartete spürbare Belebung der Wirtschaft", so Krämer.
Gold konnte von der wachsenden Verunsicherung der Anleger nicht profitieren. Die Feinunze Gold kostet zuletzt 2.357 Dollar und damit 1,7 Prozent weniger als am Vortag. Das gelbe Edelmetall entfernt sich immer weiter von seinem in der Vorwoche bei 2.484 Dollar markierten Rekordhoch.
Die Deutsche Börse bleibt dank guter Geschäfte in allen Bereichen und Übernahmen weiter auf Erfolgskurs und erhöht ihre Jahresziele: Für das Gesamtjahr rechnet der DAX-Konzern nun mit Nettoerlösen von mehr als 5,7 Milliarden Euro und einem operativen Ergebnis von mehr als 3,3 Milliarden Euro. Allerdings liegen die neuen Unternehmensziele immer noch leicht unter der durchschnittlichen Erwartung der Analysten.
Die Volkswagen-Konzerntochter Audi hat wegen des angekündigten Umbaus am Standort Brüssel ihre Ergebnisprognose wie erwartet gesenkt. Die Ingolstädter rechnen bei der operativen Umsatzrendite 2024 nun mit einem Wert von 6 bis 8 Prozent - statt 8 bis 10 bisher.
Grund dafür sind laut Finanzchef Jürgen Rittersberger die Kosten für die Umstrukturierung in der belgischen Hauptstadt. Dort steht das ganze Werk auf der Kippe - unter anderem, weil die dort produzierten Elektromodelle unter Umständen vorzeitig eingestellt werden. Weitere Details zu Brüssel nannte Audi aktuell aber nicht.
Der Industriekonzern Thyssenkrupp wird noch pessimistischer für das laufende Geschäftsjahr. Ausschlaggebend hierfür sei das anhaltend herausfordernde Marktumfeld, das unter anderem zu einem deutlichen Umsatzrückgang im laufenden Geschäftsjahr führe, hieß es in einer am Abend nach Börsenschluss verbreiteten Mitteilung des Unternehmens. Eine kurzfristige Marktstabilisierung im laufenden Geschäftsjahr sei derzeit nicht absehbar. Thyssenkrupp hatte zuletzt Mitte Mai bei der Vorlage der Quartalszahlen seine Erwartungen gesenkt.
Für das Geschäftsjahr 2023/24 rechnet der Konzern nun mit einem Umsatzrückgang von sechs bis acht Prozent. Zuvor war Thyssenkrupp von einem Erlös unter dem Vorjahreswert ausgegangen. Beim bereinigten Ebit (Ergebnis vor Zinsen und Steuern) dürfte ein Wert oberhalb von 500 Millionen Euro erreicht werden. Zuvor hatte es noch die Erwartung eines Ebit im hohen dreistelligen Millionen-Euro-Bereich gegeben.
Im dritten Quartal lag der Umsatz vorläufigen Angaben mit rund neun Milliarden Euro um gut sechs Prozent unter dem entsprechenden Vorjahreswert. Experten hatten hier knapp 300 Millionen Euro mehr erwartet. Das bereinigte Ebit sank um mehr als ein Drittel auf 150 Millionen Euro. Der Free Cash Flow (FCF) ohne M&A (Unternehmnszu- und verkäufe) lag bei minus 250 Millionen Euro nach plus 347 Millionen Euro im Vorjahr. Anleger zeigten sich enttäuscht. Die Thyssenkrupp-Aktie sackte auf der Handelsplattform Tradegate um mehr als vier Prozent in Vergleich zum Xetra-Schluss ab.
Bei Drägerwerk ist Vorstandschef Stefan Dräger mit Blick auf die Profitabilität nun optimistischer. "So halten wir jetzt eine Ebit-Marge in der oberen Hälfte der Prognosespanne für wahrscheinlicher." Der Medizin- und Sicherheitstechnik-Anbieter hat einen währungsbereinigten Umsatzanstieg von 1,0 bis 5,0 Prozent und eine operative Umsatzrendite (Ebit-Marge) von 2,5 bis 5,5 Prozent in Aussicht gestellt.
Ein unerwartet starker Umsatzrückgang bei Kering schickt die Aktien des Gucci-Mutterkonzerns auf Talfahrt. Die Titel fallen an der Pariser Börse in der Spitze um zehn Prozent auf ein Sieben-Jahres-Tief von 270,40 Euro. Zuletzt waren es in Paris noch 7,4 Prozent. Die Erlöse im zweiten Quartal sanken um elf Prozent auf 4,5 Milliarden Euro. Es gebe derzeit kein Licht am Ende des Tunnels, hieß es in einem Kommentar der Bank JP Morgan.
Aktien von Roche sind nach Vorlage der Halbjahreszahlen an der Schweizer Börse gefragt. Die Experten von Barclays sprachen von einem "starken" Ergebnis sowohl beim Umsatz als auch beim Gewinn. Überraschend für die meisten Experten war die Anhebung des Gewinnausblicks. Roche ist für seine vorsichtigen Prognosen bekannt.
Der Autokonzern Stellantis hat im ersten Halbjahr wegen schwächerer Geschäfte auf dem wichtigen nordamerikanischen Markt einen Gewinneinbruch erlitten. Der VW-Rivale mit Marken wie Peugeot, Fiat, Chrysler, Jeep und Opel machte in den ersten sechs Monaten mit 5,6 Milliarden Euro nur noch rund halb so viel Gewinn wie ein Jahr zuvor. Analysten hatten sich deutlich mehr ausgerechnet. Die Aktie rutschte in Paris um bis zu zwölf Prozent auf den tiefsten Stand seit einem Jahr.
Der französische Autobauer Renault hat dank niedrigerer Rohstoffkosten und einer soliden Nachfrage nach SUVs im ersten Halbjahr so profitabel wie noch nie produziert. 8,1 Prozent des Umsatzes verblieben als operatives Ergebnis im Konzern. Das ist ein halber Prozentpunkt mehr als im entsprechenden Vorjahreszeitraum und übertraf die Erwartungen von Analysten.
Elektroautos reißen weiter Milliardenlöcher in die Bilanz von Ford. Im vergangenen Quartal verbuchte der US-Autoriese in dem Geschäftsbereich einen Verlust von 1,14 Milliarden Dollar. Verbrenner-Modelle und Nutzfahrzeuge sorgten dagegen für schwarze Zahlen. Unter dem Strich fiel der Konzerngewinn um neun Prozent auf 1,83 Milliarden Dollar.