Tarifexperte Schnabel "Streiks werden uns noch länger begleiten"
Im Tarifstreit zwischen Bahn und GDL schieben sich beide Seiten gegenseitig die Schuld zu. Tarifexperte Schnabel erklärt, wie gut das Angebot der Moderatoren war und wie die Chancen für eine Absenkung der Wochenarbeitszeit stehen.
tagesschau.de: Wie gut oder schlecht war das zuletzt vorgelegte Angebot der Moderatoren?
Claus Schnabel: Ich habe nicht das ganze Papier gelesen. Allerdings: Die 36 Stunden bei vollem Lohnausgleich, die darin ins Gespräch gebracht wurden, sind sehr nah dran an den Forderungen der GDL nach 35 Stunden Wochenarbeitszeit. Die meisten Gewerkschaften würden sich nach so etwas hinstellen und sagen: Toll, was wir erreicht haben! Ich war deswegen sehr überrascht, dass die GDL das so in Bausch und Bogen abgelehnt hat. Das habe ich so in Jahrzehnten Tarifkonflikten noch selten erlebt.
tagesschau.de: Wie meinen Sie das?
Schnabel: Es ist gar nicht zu erwarten, dass die Bahn der Forderung der GDL nach 35 Stunden Wochenarbeitszeit in Gänze nachkommt. Das ist nicht üblich in Tarifverhandlungen. Für die Bahn wäre eine Reduzierung der Wochenarbeitszeit bei vollem Lohnausgleich auf 36 Stunden bereits ein großer und teurer Schritt. Denn die Bahn kann das wegen dem Mangel an Fachkräften nur schwer umsetzen. Außerdem: Andere Kämpfe um weniger Wochenarbeitszeit haben in der Vergangenheit wesentlich länger gedauert. Denken wir etwa an die Streiks um die 35-Stunden-Woche in der Metallindustrie in den 80er Jahren. Da gab es viele kleine Schritte bis zu dem Ergebnis.
Claus Schnabel ist Professor für Volkswirtschaft und Arbeitsmarktpolitik an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg.
"Unterschrieben, um Ruhe zu haben"
tagesschau.de: Die GDL hält an den 35 Stunden fest und verweist auf entsprechende Abschlüsse mit privaten Bahnunternehmen. Es scheint also doch machbar zu sein?
Schnabel: Meine Vermutung ist, dass die Privaten das unterschrieben haben, um Ruhe zu haben. So konnten sie großteils Streiks vermeiden. In Wahrheit hoffen sie aber, dass sich die Bahn gar nicht auf die 35-Stunden-Woche einlässt. Und wenn die Bahn es doch macht, dann ziehen sie halt notgedrungen mit. Denn wegen der Wettbewerbsklausel wirkt sich der Abschluss der Bahn auch auf ihre Abschlüsse aus.
Auch die EVG spielt eine Rolle
tagesschau.de: Sind Wettbewerbsklauseln denn üblich in Tarifverträgen?
Schnabel: Nein, sie sind eine absolute Ausnahmeerscheinung.
tagesschau.de: Welche Rolle spielt die Konkurrenzgewerkschaft EVG in dem verfahrenen Konflikt?
Schnabel: Die Konkurrenz zur Eisenbahngewerkschaft EVG ist ein verschärfender Faktor in dem Konflikt. Die GDL will zeigen: "Wir sind die bessere Gewerkschaft. Wir holen mehr für euch raus als die EVG" und steht deswegen unter Erfolgsdruck. Die Bahn wiederum muss beide Gewerkschaften bedenken und auch die Wechselwirkungen. Wegen dem Rückhalt bei den Lokführern weiß die Bahn, dass sie auch in Zukunft mit der GDL zu tun haben wird. Sie will aber verhindern, dass die GDL weiter an Mitgliedern gewinnt. Das zeigt sich natürlich auch in den Angeboten, die sie der GDL macht. Sie wird nichts unterschreiben, was der GDL noch mehr Möglichkeiten gibt.
"Das hat die Fronten noch weiter verhärtet"
tagesschau.de: Was muss geschehen, damit beide Seiten wieder an den Verhandlungstisch zurückkehren?
Schnabel: Die Moderation war eine gute Idee, auch wenn es keine offizielle Schlichtung war. Aber dass auch die jetzt geplatzt ist und dazu der "Denkfehler" von Herrn Weselksy mit einer falschen Wiedergabe der Moderatorenvorschläge, das hat die Fronten noch weiter verhärtet. Allerdings: Am Ende müssen und werden beide Seiten wieder miteinander verhandeln. Egal was vorher passiert ist, egal welche Verletzungen man sich zuletzt zugefügt hat. Die möglichen Gesichtsverluste, die steigen aber natürlich. So verfahren war meiner Meinung noch kein Tarifkonflikt zwischen der Bahn und der GDL.
tagesschau.de: Ist Ihrer Meinung nach absehbar, wie lange der Streik noch andauern wird?
Schnabel: Wellenstreik heißt nicht, dass die ganze Zeit gestreikt werden muss. Ich vermute aber, dass uns die Streiks noch in der nächsten Woche und vielleicht noch länger begleiten werden. Bevor wieder verhandelt wird, müssen sich beide Seiten jetzt sammeln. Und angesichts der neuen Verletzungen, die jetzt dazugekommen sind, ist es gar nicht so einfach, aufeinander zuzugehen.
Das Interview führte Alina Leinbach, ARD-Finanzredaktion