Sinkende Lebensmittelpreise "Discounter halten die Lebensmittelqualität hoch"
Wie lässt sich mit Lebensmitteln noch Geld verdienen? Besonders dramatisch ist der Preisverfall bei der Milch. Agrarökonom Theuvsen nennt im tagesschau.de-Interview eine mögliche Lösung: weniger Bauern.
Wie lässt sich mit Lebensmitteln noch Geld verdienen? Besonders dramatisch ist der Preisverfall bei der Milch. Agrarökonom Theuvsen nennt im tagesschau.de-Interview eine mögliche Lösung: weniger Bauern.
tagesschau.de: Warum sind die Milchpreise zurzeit so niedrig?
Ludwig Theuvsen: Wir haben gegenwärtig ein ungünstiges Verhältnis von Angebot und Nachfrage. Es gibt einfach mehr Milch auf dem Markt als von den Verbrauchern auch tatsächlich konsumiert wird. Das führt immer zum Preisverfall. Außerdem haben wir momentan im deutschen Lebensmitteleinzelhandel eine scharfe Auseinandersetzung um den Preis. Das baut dann nochmals zusätzlichen Druck auf den Milchpreis auf.
tagesschau.de: Und am Ende freut sich der Verbraucher?
Theuvsen: Aus Verbrauchersicht ist es natürlich positiv, wenn die Lebensmittelpreise sinken. Doch des einen Freud, des anderen Leid: Aus Anbietersicht sind sinkende Preise natürlich nicht so gut, da die Umsatzerlöse je Liter Milch absinken und dadurch der Druck auf die Betriebe größer wird. Das gilt sowohl für die Molkereien als auch für die landwirtschaftlichen Erzeuger.
tagesschau.de: Sie sagen selbst: Wir haben ein Überangebot an Milch. Haben wir nicht einfach zu viele Milchbauern?
Theuvsen: Streng marktwirtschaftlich argumentiert: ja! Wenn die Preise sinken, scheiden zuerst diejenigen aus, die nicht mehr wirtschaftlich arbeiten können. Schließlich gibt es in der Marktwirtschaft keine Bestandsgarantie für Betriebe, die nicht effizient genug arbeiten. Dadurch ändert sich das Verhältnis von Angebot und Nachfrage und die Preise können sich wieder erholen.
tagesschau.de: Und wenn man nicht ganz so streng marktwirtschaftlich argumentiert?
Theuvsen: Im Grunde haben wir beim Milchpreis ja gar kein "freies Spiel der Kräfte". Die Milchmarktordnung sieht etwa die Quotierung der Milcherzeugung vor. Das wirkt zurzeit allerdings nicht richtig, da die Quoten angesichts der niedrigen Preise nicht ausgeschöpft werden. Deswegen haben wir trotz der Milchmarktordnung und der Mengenregulierung im Augenblick de facto ein relativ freies Spiel der Kräfte - mit entsprechendem Preisverfall. Wenn man dies nicht will, weil man beispielsweise den bäuerlichen Familienbetrieb flächendeckend erhalten will, muss man entweder den Milchmarkt stärker regulieren oder Milcherzeuger in anderer Form unterstützen.
tagesschau.de: Letztendlich ist der Milchpreis doch das Ergebnis der Verhandlung zwischen Lebensmittel-Discountern und Molkereien. Wieso lassen sich die denn auf einen solch schlechten Preis ein?
Theuvsen: Das Kräfteverhältnis zwischen Molkereien und Handel ist in Deutschland alles andere als ausgeglichen. Wir haben hier sehr wenige Einzelhändler mit großer Marktmacht, die einer Vielzahl von Molkereien gegenüberstehen. Außerdem gibt es auch noch Anbieter im benachbarten Ausland. Im Zweifel springt dann eben eine Molkerei aus Frankreich ein.
tagesschau.de: Sind die Verbraucher mitverantwortlich für die Misere der Landwirte?
Theuvsen: Der deutsche Verbraucher ist traditionell sehr preisbewusst. Und das schlägt sich natürlich in seinem Einkaufsverhalten nieder. Mit der Folge, dass wir in Deutschland einen sehr viel höheren Discount-Anteil haben als in vielen anderen Ländern. Aber selbst im konventionellen Einzelhandel werden viele Lebensmittelprodukte wie beispielsweise H-Milch zu Preisen verkauft, die auf Discount-Niveau liegen. Insofern unterstützen die Verbraucher durch ihr Kaufverhalten natürlich auch die niedrigen Preise.
tagesschau.de: Sie sind also schuld an der Misere der Landwirte?
Theuvsen: Natürlich könnte man den deutschen Verbrauchern jetzt empfehlen, sie sollten keine Lebensmittelprodukte zu Discount-Preisen kaufen. Doch das ist ein Ratschlag, der sicherlich nicht besonders realistisch ist. Außerdem wäre es nicht einmal sicher, ob höhere Lebensmittelpreise auch tatsächlich bei den Landwirten ankommen würden. Die Kette bis zum Erzeuger ist lang, da kann auch viel Geld hängen bleiben.
tagesschau.de: Seit Jahresbeginn liefern sich die großen Discounter regelmäßig Preisschlachten. Wohin führt das noch?
Theuvsen: Die Zahl der Einzelhändler wird tendenziell noch weiter abnehmen. Solange, bis dann irgendwann eine Situation erreicht ist, in der die Intensität der Preiskämpfe nachlässt. So eine Situation haben wir jetzt beispielsweise schon in Großbritannien. Dort ist der Preiskampf nicht mehr ganz so hart, die Lebensmittelpreise sind im Durchschnitt höher. Für die Verbraucher ist das natürlich nicht so schön. Die haben nichts gegen Preisschlachten.
tagesschau.de: Führen Preisschlachten und günstige Preise nicht auch zu einem Qualitätsverlust?
Theuvsen: Nein. Gerade die Discounter in Deutschland halten die Lebensmittelqualität seit Jahren auf einem konstanten Niveau. Das zeigen Untersuchungen. Trotzdem drehen sie aber an der Preisschraube.
tagesschau.de: Was heißt das?
Theuvsen: Das bedeutet, dass in der gesamten Lebensmittelbranche verstärkt nach Möglichkeiten zur Effizienzsteigerung gesucht wird. Wo kann ich etwas einsparen? Wie kann ich etwas günstiger machen? Das ist in größeren landwirtschaftlichen Betrieben und Molkereien natürlich eher möglich als in kleineren.
tagesschau.de: Trotz der Preisschlacht der Discounter sinken deren Umsätze deutlich. Warum funktioniert das Rezept "mit Preissenkungen den Absatz erhöhen" nicht mehr?
Theuvsen: Das ist tatsächlich überraschend - und bisher gibt es dazu in der Fachwelt auch noch keine richtig schlüssige Erklärung. Vielleicht sind die Lebensmittelpreise mittlerweile schon so günstig, dass für viele Verbraucher der Anreiz verloren geht, für die paar Cent vom vertrauten Supermarkt in den Discounter zu wechseln.
Die Fragen stellte Niels Nagel, tagesschau.de