Nancy Faeser (SPD, 2.v.l), Bundesministerin des Innern und Heimat, Frank Wernecke (3.r), Vorsitzender der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi, und Ulrich Silberbach (l), Vorsitzender des dbb, sitzen zusammen zum Beginn der dritten Runde der Tarifverhandlungen des öffentlichen Dienstes von Bund und Kommunen.
Überblick

Tarifverhandlungen 2023 Was Gewerkschaften fordern und erreichen

Stand: 27.03.2023 17:17 Uhr

Angesichts der hohen Inflation setzen sich die Gewerkschaften vehement für teils prozentual zweistellige Lohnerhöhungen ein. Wie genau sind die Forderungen? Und in welchen Branchen gibt es schon Tarifeinigungen? Ein Überblick.

Der massive Anstieg der Verbraucherpreise hat die Debatte über die Lohnforderungen der Gewerkschaften weiter angeheizt. Deutlich abgesunkene Reallöhne haben dazu geführt, dass die Tarifauseinandersetzungen gerade besonders heftig geführt werden. Während viele Arbeitgeber vermehrt auf Einmalzahlungen setzen, verlangen die Gewerkschaften einen dauerhaften Ausgleich für die gestiegenen Lebenshaltungskosten. Ein Überblick über den aktuellen Stand großer Tarifrunden.

Öffentlicher Dienst und Bahn

Gestern ging die dritte Runde der Tarifverhandlungen für die rund 2,5 Millionen Beschäftigten des öffentlichen Dienstes bei Bund und Kommunen los. Die Gewerkschaft ver.di hat in den vergangenen Wochen Streiks organisiert, an denen rund 400.000 Beschäftigte teilgenommen haben.

Um den Druck auf die Arbeitgeber zu erhöhen, hat ver.di einen bundesweiten Streik in Verkehr und Infrastruktur anberaumt, der heute Millionen Berufspendler und Reisende betrifft. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) hat ebenfalls zum Streik aufgerufen, da die erste Runde der Tarifverhandlungen ohne nennenswerte Ergebnisse geblieben ist.

Was fordert ver.di?

Ver.di fordert eine Gehaltserhöhung von 10,5 Prozent, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Dabei soll das Tarifergebnis zeit- und wirkungsgleich auf Beamte, Richter, Soldaten sowie auf Versorgungsempfänger übertragen werden. Die Verhandlungen werden in der dritten Runde vom 27. bis 29. März 2023 in Potsdam fortgesetzt.

Der Streik und die Probleme der Finanzierung durch die Kommunen

Tim Diekmann / Matthias Stauss, SWR, tagesthemen, tagesthemen, 27.03.2023 22:15 Uhr

Was fordert die EVG?

Die EVG verlangt eine Lohnerhöhung von 650 Euro für alle oder 12 Prozent mehr für zwölf Monate. Zudem soll der Stundenlohn in den untersten Lohngruppen auf den Mindestlohn von 12 Euro ohne Verrechnung oder Zuschüsse erhöht werden. Es sollen auch Ungerechtigkeiten in der Bezahlung beseitigt werden, insbesondere bei gleichen Tätigkeiten mit regional unterschiedlichen Vergütungen.

Deutsche Post

Die Deutsche Post und die Gewerkschaft ver.di haben in der vierten Verhandlungsrunde im März eine Einigung erzielt. Die 160.000 Beschäftigten des Brief- und Paketzustellers erhalten eine steuerfreie Sonderzahlung von insgesamt 3000 Euro über mehrere Monate als Inflationsausgleich.

Zudem werden die monatlichen Grundentgelte der Tarifbeschäftigten ab dem 1. April 2024 um 340 Euro erhöht. Die monatliche Einstiegsgehälter in den unteren Einkommensgruppen steigen in der Spitze um mehr als 20 Prozent für Paketsortierer und 18 Prozent für Zusteller. Auch die sogenannte Postzulage für Beamte wird bis zum 31. Dezember 2024 fortgeschrieben.

Durch die Einigung konnte ein unbefristeter Streik abgewendet werden, für den sich die Gewerkschaftsmitglieder bereits ausgesprochen hatten. "Das ist ein gutes Ergebnis, das ohne den Druck und die hohe Streikbereitschaft unserer Mitglieder nicht hätte erreicht werden können", sagte dazu die stellvertretende ver.di-Vorsitzende und Verhandlungsführerin Andrea Kocsis.

Zeitarbeit

Beschäftigte in der Leiharbeit erhalten künftig ebenfalls mehr Geld durch eine Erhöhung der Entgelte in zwei Schritten. Das war das Ergebnis der dritten Tarifverhandlung im Januar. Die Tariferhöhung beträgt bis zu 13,1 Prozent pro Stunde je nach Entgeltgruppe und gilt ab 1. April beziehungsweise 1. Januar 2024.

Die Verhandlungen zwischen der Tarifgemeinschaft des Deutschen Gewerkschaftsbundes (DGB) und den Arbeitgeberverbänden BAP und iGZ sind nach Angabe von DGB-Vorstandsmitglied und Verhandlungsführer Stefan Körzell hart gewesen. Aber beide Seiten bewerteten das Ergebnis positiv.

Die Tarifverträge betreffen rund 98 Prozent der etwa 800.000 Leiharbeiter bundesweit. Die untersten Tarifgruppen 1 und 2 haben bereits im Juni 2022 mehrstufige Anhebungen von bis zu 24 Prozent erhalten, um die Entlohnung über den neuen gesetzlichen Mindestlohn von zwölf Euro zu heben.

Textil- und Bekleidungsindustrie

Die Tarifverhandlungen für die rund 100.000 Beschäftigten in der westdeutschen Textil- und Bekleidungsindustrie wurden Mitte März ohne Einigung vertagt. Die zuständige Industriegewerkschaft Metall (IGM) fordert eine Lohnerhöhung um acht Prozent oder mindestens 200 Euro mehr im Monat. Die Arbeitgeber haben eine Inflationsausgleichsprämie von 1500 Euro sowie Lohnerhöhungen um 3,25 Prozent ab November und weitere 2,25 Prozent ab Oktober 2024 angeboten.

Der Verhandlungsführer der Arbeitgeber, Markus Simon verwies auf die "äußerst angespannte Lage" in der Branche aufgrund der Schließung von zahlreichen Filialen des Kaufhauskonzerns Galeria Karstadt Kaufhof, der Insolvenz von Peek & Cloppenburg und einem "nie dagewesenen Kostendruck bei Energie und Rohstoffen". Die nächste Verhandlungsrunde ist für den 31. März geplant.

Papier, Pappe und Kunststoff verarbeitende Industrie

Die Tarifverhandlungen für die 100.000 Beschäftigten in der Papier, Pappe und Kunststoffe verarbeitenden Industrie (PPKV) sind am vergangenen Donnerstag ergebnislos zu Ende gegangen. "In Richtung der Arbeitgeber muss deutlich gesagt werden: Kleine Schritte reichen jetzt absolut nicht mehr aus, um ans Ziel zu kommen", erklärte ver.di-Verhandlungsführer Frank Schreckenberg. Obwohl es leichte Bewegung gegeben habe, seien die Schritte der Arbeitgeber zu klein.

Dagegen zeigte sich Jürgen Peschel, Verhandlungsführer des Hauptverbands Papier- und Kunststoffverarbeitung, "sehr zuversichtlich, dass wir die Basis für einen Verhandlungserfolg in der nächsten Runde gelegt haben".

Ver.di fordert 10,5 Prozent mehr Lohn und Gehalt für die Beschäftigten in der Papierverarbeitung sowie einen Festbetrag von 150 Euro für Auszubildende bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Der fünfte Verhandlungstermin findet am 12. April 2023 statt.

Kfz-Gewerbe

Die Tarifrunde für das Kfz-Handwerk in Niedersachsen-Bremen ist ohne Ergebnis gestartet. In der ersten Verhandlungsrunde am 14. März legten die Arbeitgeber kein Angebot zu den Forderungen der Tarifkommission der IG Metall vor.

Die Gewerkschaft fordert 8,5 Prozent mehr Lohn für die bundesweit gut 435.000 Beschäftigten im Kfz-Handwerk sowie eine Inflationsausgleichsprämie. Auch sollen die Ausbildungsvergütungen auf mindestens 1000 Euro im ersten Ausbildungsjahr steigen.

Am 16. März wurde in Leipzig für die Tarifgebiete Ost, am 22. März in Schleswig-Holstein, Hessen und Nordrhein-Westfalen sowie am 27. März in Baden-Württemberg verhandelt. Weitere Verhandlungstermine sind der 30. März in Bayern und am 31. März in Hamburg. Der aktuelle Tarifvertrag läuft Ende des Monats aus. Ab 1. April sind Aktionen und Warnstreiks möglich.

Einzelhandel

Die Lohn- und Gehaltsrunde im Einzel- und Versandhandel hat begonnen, und die Tarifbezirke Bayern, Hessen und Sachsen/Sachsen-Anhalt/Thüringen haben am 15. März ihre Forderungen bekanntgegeben.

Die Arbeitnehmervertreter fordern eine Erhöhung der Löhne und Gehälter um 2,50 Euro pro Stunde bei einer Laufzeit von zwölf Monaten. Zudem sollen die Tarifverträge für allgemeinverbindlich erklärt werden. Die Ausbildungsvergütung soll um 250 Euro steigen.

Allgemeinverbindlicherklärung
Eine Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) ist ein staatlicher Beschluss, der einen verhandelten Tarifvertrag auf alle Unternehmen einer Branche ausweitet - auch wenn diese nicht Mitglied im entsprechenden Arbeitgeberverband sind.

In Bayern wird zusätzlich eine Erhöhung der unteren Beschäftigtengruppen und Löhne "auf ein rentenfestes Mindesteinkommen von 13,50 Euro in der Stunde" gefordert. Der Handelsverband Bayern spricht für seinen Bezirk von einer Lohnsteigerung von 25 Prozent für die unteren Lohngruppen.

Der HDE Hessen kritisierte die Forderung nach einer Allgemeinverbindlicherklärung (AVE) für unverhältnismäßig und empfiehlt seinen Mitgliedern freiwillige Lohnerhöhungen. Die erste Verhandlungsrunde in Bayern findet am 8. Mai statt. Beide Seiten rechnen mit einer langen Tarifrunde.

Groß- und Außenhandel

Die Gewerkschaft ver.di fordert für die Beschäftigten im Groß- und Außenhandel Nordrhein-Westfalens und Sachsen-Anhalts eine Erhöhung der Vergütungen um 13 Prozent, jedoch mindestens 400 Euro bei einer Laufzeit von 12 Monaten.

Außerdem wird die Allgemeinverbindlicherklärung der Branchentarifverträge gefordert. Die Lohn- und Gehaltstarifverträge laufen zum 30. April 2023 aus. Für Nordrhein-Westfalen ist der 26. April als erster Verhandlungstermin angesetzt.