
Industrie um Schweinfurt Von der Boomregion zum Krisenfall
Die Krise der Autoindustrie trifft auch Zulieferer hart. Wie schwer das wichtige Industriestandorte belasten kann, zeigt das Beispiel der Region rund um Schweinfurt. Viele Jobs sind dort bedroht.
Schweinfurt mit seinen rund 55.000 Einwohnern war noch vor Kurzem eine Boomregion der Automobilzulieferindustrie. Jetzt stehen Tausende Jobs auf der Kippe. Selbst Traditionsunternehmen haben massive Stellenstreichungen angekündigt. Der Jobabbau soll nach Angaben der Firmen sozialverträglich gestaltet werden. Dennoch bedeutet das für viele Beschäftigte Ungewissheit.
So auch für Melvin Dolata, der seit mehr als 20 Jahren bei einem großen Automobilzulieferer arbeitet. Ihm wurden verschiedene Altersteilzeitmodelle angeboten. Doch die Entscheidung fällt ihm schwer. "Viele haben Angst. Sie überlegen zweimal, ob sie unterschreiben. Ich auch. Aber ich möchte mal wissen, was rauskommt, wenn ich unterschreiben würde", sagt Dolata.
Rente mit hohen Abschlägen
Die Beratung beim Sozialverband VdK soll Klarheit bringen. VdK-Geschäftsführerin Martina Walter-Bagley erklärt: "Die Menschen müssen abwägen: Aufhebungsvertrag, Altersteilzeit, Rente mit Abschlägen - oder hoffen, dass, wenn keine der drei Vertragsarten angenommen wird, am Ende nicht eine Kündigung ins Haus flattern könnte."
Das Ergebnis der Berechnung der VdK-Geschäftsführerin ist für Dolata ernüchternd: Statt 1.975 Euro netto wie bisher blieben ihm, wenn er den Altersteilzeitvertrag akzeptiert, als Altersrente dann nur 1.295 Euro. Kaum genug, um seine monatlichen Ausgaben von 1.200 Euro zu decken: "Da hast du ein ganzes Leben lang gearbeitet, und am Ende musst du auf Grundsicherung hoffen. Das ist eine Schande", sagt er frustriert.
Ein Traditionsstandort vor dem Verfall?
Auch im nordbayerischen Ebern zeigt sich das ganze Ausmaß der Krise. Die Kleinstadt hat gut 7.000 Einwohner und liegt rund fünfzig Kilometer von Schweinfurt entfernt. Dort baut der französische Zulieferer Valeo, der das Werk des einstigen Traditionsunternehmens Kugelfischer übernommen hat, Arbeitsplätze ab.
Ein harter Schlag für die Stadt und die Menschen: Ulla Hofmann hat einen Auflösungsvertrag unterschrieben und damit keinen Arbeitsplatz mehr. Ihr Sohn Tevin, Auszubildender zum Mechatroniker, wird zwar übernommen, aber nur als Maschinenführer - mit deutlich schlechterem Gehalt. "Früher wollte jeder hier arbeiten - heute geht es bergab", sagt Tevin.
Der stellvertretende Betriebsratsvorsitzende Thomas Werner begleitet den Abbauprozess mit wachsender Sorge. Signale, die er aus der Führungsebene bekommt, zerstörten jede Hoffnung. "Warum sollte ich in Deutschland investieren? Die Strompreise sind hoch, die Lohnkosten auch" - diesen Satz höre er oft. Werner befürchtet das Schlimmste: "Ebern könnte bald ein 'Lost Place' werden. Die Stadt verliert Arbeitsplätze, Steuereinnahmen und Zukunft."
Mit Optimismus auf dem "Zukunftsmarsch"
Die wirtschaftlichen Probleme betreffen nicht nur Großbetriebe, sondern auch den Mittelstand. Caroline Trips, Präsidentin der IHK Würzburg-Schweinfurt, fordert grundlegende Reformen: "Deutschland muss wieder nach vorne kommen. Weniger Bürokratie, mehr Mut zur Entscheidung."
Trotz der düsteren Lage gibt es laut IHK auch Zeichen der Hoffnung. Viele Menschen in der Region wollen kämpfen und suchen nach neuen Wegen. Das zeigte sich Ende Januar beim "Zukunftsmarsch": ein Ausflug, den die IHK Würzburg-Schweinfurt, die Wirtschaftsjunioren Schweinfurt und der Verband deutscher Unternehmerinnen organisiert hatten, um "zu motivieren, für Unternehmertum zu begeistern und für Deutschland zu kämpfen".
Klagen über Bürokratie und Reformstau
Unisono beklagten die Teilnehmerinnen: zu viel Bürokratie, zu hohe Steuern und Energiekosten. Angesprochen auf ein Interview von Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck, in dem er betont, er habe im Wirtschaftsministerium so viele Gesetze, Verordnungen, europäische Verordnungen umgesetzt, um das ganze Land wieder in Fahrt zu bringen, wie kein anderer Wirtschaftsminister zuvor, kritisiert Anna Meusert von den Wirtschaftsjunioren Schweinfurt: "Wir brauchen nicht mehr Gesetze, sondern weniger Hindernisse."
Die Präsidentin des Verbands deutscher Unternehmerinnen, Christina Diem-Puello, sagt, sie könne täglich Vorschläge machen, welche Verordnungen abgeschafft werden sollten - "und die Wirtschaft würde aufatmen". Dann wäre endlich auch wieder mehr Zeit, um Innovationen zu tätigen. Jetzt fehle die Zeit, eigene Ideen in den Unternehmen voranzubringen.
Wirtschaftsweise fordert Reformagenda
Wirtschaftsminister Habeck lobte bei einer Wahlkampfveranstaltung in Berlin vor rund 1.300 Zuschauern vor allem seine Klimapolitik, räumt nur am Rande Probleme ein: "Die Wirtschaft stagniert, dazu will ich einmal kurz sagen: Das ist nicht gut, das muss auch besser werden."
Die Wirtschaftsweise Veronika Grimm warnte vor den langfristigen Folgen der Krise: "Deutschland ist seit 2019 nicht gewachsen, die EU plus vier Prozent, die USA sogar zwölf Prozent." Es brauche eine mutige Wachstumsagenda. "Man hat zu kleinteilig an kleinen Stellschrauben gedreht. Es braucht einen großen Wurf - in der Wirtschaftspolitik und bei den sozialen Sicherungssystemen", so Grimm.
Aufgeben ist keine Option
Für Menschen wie Melvin Dolata bedeutet die Krise vor allem Unsicherheit. Der frühere Medaillengewinner bei bayerischen und deutschen Meisterschaften im Kampfsport Ju-Jutsu will trotz aller Sorgen nicht aufgeben: "Ich muss wieder kämpfen. Diesmal nicht mit Fäusten, sondern damit ich die Hoffnung nicht aufgebe."
Die Region rund um Schweinfurt steht vor einem Wendepunkt. Ob es gelingt, den industriellen Kern zu retten, hängt von politischen Weichenstellungen und wirtschaftlichem Mut ab. Doch für viele Menschen bleibt vorerst die Angst, alles zu verlieren.