Container werden im Hafen von Santos in Brasilien verladen.
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EU-Mercosur-Abkommen Keine Sanktionen bei Umweltverstößen

Stand: 08.10.2020 17:11 Uhr

Der Widerstand gegen das EU-Mercosur-Abkommen ist groß, doch was steht überhaupt im Vertrag? NDR, WDR und SZ konnten nun erstmals den wichtigen politischen Rahmenvertrag des Abkommens einsehen.

Von Von Martin Kaul, WDR, und Antonius Kempmann, NDR

Es ist ein Vertrag, den der damalige EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker im Juni 2019 ein "historisches Abkommen" nannte: Fast 20 Jahre lang wurde die Vereinbarung zwischen der Europäischen Union und den Mercosur-Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay verhandelt.

Das Abkommen soll für offenere Märkte zwischen Südamerika und Europa sorgen und damit Einfluss auf die Lebensbedingungen von rund 780 Millionen Menschen haben - wenn es überhaupt umgesetzt wird. Denn im Moment steht es in Europa vor allem in der Kritik.

Doch was das politische Rahmenabkommen genau beinhaltet, war für die Öffentlichkeit bisher nicht bekannt. Zwar hatten die Verhandlungspartner aus Europa und Südamerika den Handelsteil des Abkommens 2019 veröffentlicht. Bereits damals entzündete sich Kritik im Hinblick auf Klima- und Umweltschutzfragen.

Das dazugehörige politische Rahmenabkommen, der sogenannte "Assoziierungsteil", der erst im Juni diesen Jahres abgeschlossen wurde, blieb dagegen bisher geheim. Dieser Teil des geplanten Vertrags wurde nun der Umweltschutzorganisation Greenpeace zugespielt, die ihn NDR, WDR und "Süddeutscher Zeitung" (SZ) zur Verfügung gestellt hat.

Kein scharfes Schwert gegen Umweltverstöße

Die Auswertung belegt, was schon bisher kritisiert wurde: Insbesondere im Bereich des Klima- und Umweltschutzes mangelt es dem Vertrag an verbindlichen Verabredungen und klaren Sanktionsmechanismen. Zwar werden etwa die Einhaltung von Menschenrechten und Rechtsstaatlichkeit in dem Abkommen als sogenannte "essential elements", wesentliche Elemente, definiert. Verstöße dagegen könnten geahndet werden.

Gleichzeitig beschränken sich die Verabredungen zur Einhaltung von Umwelt- und Klimaschutzmaßnahmen aber weitgehend auf unverbindliche Absichtserklärungen. Das entspricht zwar der bisherigen EU-Praxis, steht aber im Widerspruch etwa zu einem Vorstoß aus Frankreich und den Niederlanden, das Pariser Klimaschutzabkommen bei "künftigen und aktuell verhandelten Handelsverträgen" zu einem solchen "essential element" zu machen.

Eine solche Regelung hätte große Auswirkungen, weil sie zu konkreten Sanktionen und einer Einschränkung der Handelsbeziehungen führen könnte, etwa wenn Länder wie Brasilien aus dem Pariser Klimaschutzabkommen aussteigen würden. Dass das Land unter Führung des rechtsextremen Präsidenten Jair Bolsonaro allerdings an scharfen Sanktionsmechanismen kein Interesse hat, liegt auf der Hand.

Dort setzt die Regierung weiterhin auf das Erschließen neuer Weideflächen für Rinder, wozu täglich neue Regenwaldflächen gerodet werden. Auch bildet die Bewirtschaftung riesiger Monokulturen von Soja und Mais ein wichtiges Rückgrat der brasilianischen Agrarindustrie. Gleichzeitig hoffen in Europa auch die Hersteller von Pestiziden auf bessere Geschäfte durch das Handelsabkommen.

Abkommen unter Beschuss

Waren es in der Vergangenheit vor allem Umwelt- und Nichtregierungsorganisationen, die gegen mangelnde Umweltregelungen in Handelsabkommen protestierten, greift die Kritik inzwischen auf höchster europäischer Ebene. Eine französische Regierungskommission hatte etwa festgestellt, dass allein die durch das Abkommen erhöhten Rindfleisch-Exporte nach Europa die Entwaldung in den Mercosur-Ländern pro Jahr um etwa fünf Prozent erhöhen könnten. Die Umweltkosten durch zusätzliche CO2-Emissionen seien dabei höher als der wirtschaftliche Nutzen des Abkommens.

Auch die deutsche Bundesregierung hatte zuletzt wiederholt Zweifel an dem Abkommen formuliert. Erst am Mittwoch hat sich nun auch eine Mehrheit im EU-Parlament kritisch zu dem EU-Mercosur-Abkommen positioniert.

Auch Freihandelsexperten skeptisch

Selbst unter überzeugten Freihandelsbefürwortern wie Rolf Langhammer vom Kieler Institut für Weltwirtschaft steht das EU-Mercosur-Abkommen in der Kritik. Zwar sagt Langhammer, dass ein gutes Abkommen für die Region in Südamerika sehr wichtig sei. Das Mercosur-Abkommen jedoch bezeichnet er als "überholt". "Es atmet, wenn man so will, den Geist der alten Zeit." Auch der Ökonom kritisiert, dass "in dem Assoziierungsabkommen zwar Absichtserklärungen enthalten sind, aber keine konkreten Instrumente."

Brasiliens Regierung zuversichtlich

Die brasilianische Regierung lobt dagegen auf Anfrage die vielen wirtschaftlichen Vorzüge des Abkommens wie es ist. Ginge es nach dem brasilianischen Wirtschaftsministerium, so "erkennt das Abkommen zwischen dem Mercosur und der EU das wichtige Verhältnis zwischen sozialer und wirtschaftlicher Entwicklung und dem Schutz der Umwelt an".

Allgemein heißt es nur, die Handelsliberalisierung könne "in den Mercosur-Ländern einen positiven Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung in den Bereichen Umwelt, Wirtschaft und Soziales leisten". Brasiliens Regierung wolle die Ratifizierung jetzt möglichst rasch umsetzen, teilt das Ministerium mit. Dazu müssten in den Nachverhandlungen nun noch einige technische Dinge geklärt werden.

Rinder in Brasilien

Brasilien ist einer der vier Mercosur-Staaten - und eine Agrargroßmacht. Vor allem die Rinderzucht gilt dort als lukrativ.

Was "technische Dinge" allerdings sind, dürfte nun zum entscheidenden Streit über die Zukunft des Abkommens werden, das viele in der EU schon für gescheitert halten. Erst in der letzten Woche hatte der frisch gekürte neue Handelskommissar Valdis Dombrovskis "bedeutende Ergebnisse und bedeutendes Engagement" von seinen südamerikanischen Verhandlungspartnern eingefordert. In seiner Antrittsrede wies er auf den Schutz besonders bedrohter Ökosysteme wie etwa dem Amazonas-Gebiet hin. Dies sei ein kritischer Punkt auf dem Weg zur Ratifikation des Abkommens, meinte der Handelskommissar.

In einem nächsten Schritt müsste es in Form gebracht und in zahlreiche Landessprachen übersetzt werden. Damit das im Kern bereits verhandelte Abkommen in Kraft treten kann, müssten die Regierungen zustimmen, ebenso wie die nationalen Parlamente und das Europaparlament.

Das EU-Mercosur-Abkommen

Der Staatenbund Mercosur bezeichnet den Zusammenschluss der vier Staaten Brasilien, Argentinien, Paraguay und Uruguay, die in Südamerika einen gemeinsamen Handelsraum bilden.

Ein Freihandelsvertrag zwischen diesen vier Staaten und den europäischen Mitgliedstaaten würde laut Europäischer Union einen gemeinsamen Markt für rund 780 Millionen Menschen schaffen und dafür sorgen, dass jährlich Zölle in Höhe von rund vier Milliarden Euro entfallen würden.

Die Mercosur-Staaten erhoffen sich davon unter anderem einen stärkeren Export etwa von Rindfleisch und Landwirtschaftsprodukten, für europäische Staaten könnte das Abkommen den Export von Autos und Maschinen, aber auch von Käse und Wein ankurbeln.