Ursachen und Folgen des Preisverfalls Der Ölpreis kennt kein Halten mehr
Der Ölpreis fällt und fällt - inzwischen auf unter 50 Dollar je Barrel. Die Folgen sind immens, nicht nur für Förderländer und Ölkonzerne. Die große Frage: Ist der Preisrutsch Vorbote einer langen Wirtschaftsflaute? Oder hilft er umgekehrt, genau die zu verhindern?
Der Ölpreis kollabiert. Am Morgen fiel der Preis für die Nordseesorte Brent sogar unter die Marke von 50 Dollar je Fass - nachdem für die gleiche Menge vor wenigen Monaten noch mehr als 100 Dollar gezahlt wurden. "Die Stimmung an den Rohölmärkten ist so schlecht wie seit der globalen Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr", sagte der Energieanalyst Frederik Kunze von der NordLB. Selbst die 40-Dollar-Marke sei inzwischen ein "zunehmend wahrscheinliches Szenario".
Manche Experten prognostizieren sogar einen noch drastischeren Preisrutsch prognostizieren. Nobuyuki Nakahara, ein früherer Energiemanager und ehemaliges Vorstandsmitglied der japanischen Notenbank, hält einen Rückgang der Preise auf bis zu 20 Dollar je Fass (umgerechnet 159 Liter) für möglich. Kurz vor Weihnachten hatte auch schon der saudische Ölminister Ali al-Naimi in einem Interview einen Preis von 20 Dollar ins Spiel gebracht.
Die OPEC leidet. Aber die anderen leiden stärker
Hinter dem Preisrutsch steht ein globaler Verteilungskampf um die Marktanteile auf dem Ölmarkt. Seit die Amerikaner dank der neuartigen Fracking-Technik in der Lage sind, ihren Energiebedarf weitgehend selbst zu stillen, wird global gesehen mehr Öl produziert als verbraucht. Die weltweite Wirtschaftsschwäche verstärkt diese Entwicklung, weil Unternehmen, die weniger produzieren, auch weniger Energie benötigen.
Normalerweise reagiert die OPEC - also das Kartell der traditionellen Förderländer - auf eine sinkende Nachfrage mit der Kürzung der Fördermenge, um den Preis zu stabilisieren. Das aber tut sie diesmal nicht. Das Kalkül dahinter: Wenn die Preise sinken, leidet zwar die OPEC. Aber andere leiden mehr, zum Beispiel ausgerechnet jene Fracking-Unternehmen, die den Preisrutsch erst verursacht haben. Deren Förderkosten sind nämlich so hoch, dass sich ihr Geschäft bei Preisen von 50 oder 60 Dollar in vielen Fällen gar nicht mehr lohnt.
Inzwischen bekennt sich das größte OPEC-Mitglied Saudi-Arabien ganz offen zu dieser brachialen Strategie: "Es ist nicht im Interesse der OPEC-Produzenten, ihren Ausstoß zurückzufahren, egal wo der Preis steht", meinte Minister al-Naimi in dem Interview kurz vor Weihnachten. Dabei spiele es keine Rolle, "ob der Preis auf 20, 40, 50 oder 60 Dollar sinkt".
Tatsächlich zeigt die Kamikaze-Politik der Saudis Wirkung. Vor allem Ölmultis wie BP oder Shell setzt der Preisrutsch zu. Allein die börsennotierten europäischen Ölfirmen haben seit Jahresmitte zusammengerechnet mehr als 200 Milliarden Dollar an Marktwert eingebüßt. Das entspricht in etwa der jährlichen Wirtschaftsleistung Portugals. In den USA haben unterdessen die ersten Fracking-Produzenten aufgeben müssen, während andere ihre Investitionen drastisch zurückfahren.
Gleichwohl ist nicht ausgemacht, dass die westliche Ölindustrie den Verteilungskampf verlieren wird. Denn auch O-Länder wie Venezuela oder Nigeria leiden sichtlich unter dem Preisverfall, genau wie das Nicht-Opec-Mitglied Russland. Und auch die arabischen Staaten könnten eine Niedrigpreisphase nicht ewig durchstehen, prophezeit Harold Hamm, einer der führenden Köpfe der US-Fracking-Industrie: "Die Preise sind nicht auskömmlich für diese Länder", sagte er kürzlich der "Financial Times" - und fügte hinzu: "In manchen dieser Staaten sieht man die Revolution schon heraufziehen."
"Der Preisrutsch wirkt wie ein Konjunkturpaket"
Umstritten ist, was die Öl-Baisse für die Weltwirtschaft bedeutet. Klar scheint, dass zumindest ein Teil des Preisverfalls auf die schwache Konjunktur in Europa und einigen Schwellenländern zurückzuführen ist. Manche Ökonomen sehen in dem Preisrutsch daher den Ausdruck einer lang anhaltenden wirtschaftlichen Schwächephase.
Kurzfristig dürfte das billige Öl die Wirtschaft allerdings stimulieren. Der Einbruch komme "als Konjunkturpaket gerade recht", sagte Martin Wansleben, Hauptgeschäftsführer des Deutschen Industrie- und Handelskammertages, der "Bild"-Zeitung. Sollte der Preis auf dem aktuellen Niveau bleiben, würden Unternehmen und Haushalte in diesem Jahr um 20 Milliarden Euro entlastet - Geld, das stattdessen für Konsum und Investitionen genutzt werden könnte.
An der Tankstelle sieht man die Folgen schon längst - genauso wie an der Börse. Denn während die Ölaktien abstürzen, sind die Anteilsscheine von Fluglinien wie der Lufthansa, Air France oder Ryanair in den vergangenen drei Monaten zwischen 15 und 35 Prozent gestiegen.