Einschätzungen zum griechischen Referendum "Der Schritt zeigt, wie groß die Not ist"
Das Referendum zur Griechenland-Rettung ist eine Verzweiflungstat, sagt Rolf-Dieter Krause, ARD-Korrespondent in Brüssel, im Interview mit tagesschau.de. Sollte es scheitern, wäre die Konsequenz ein Ausschluss des Landes aus der Eurozone. Darin könnte aber auch eine Chance liegen - für andere Krisenstaaten und für die Glaubwürdigkeit der Politik.
tagesschau.de: Gerade erst haben die Staats- und Regierungschefs umfassende neue Hilfsmaßnahmen für Griechenland beschlossen. Nun werden diese Beschlüsse von Griechenlands Ministerpräsident Giorgos Papandreou plötzlich wieder infrage gestellt. Welchen Vorteil hat Papandreou davon?
Rolf-Dieter Krause: Ich kann das nur vermuten. Papandreou steht Ende dieser Woche vor einer Vertrauensabstimmung im Parlament. Dabei droht ihm die eigene Partei, die Gefolgschaft zu verweigern. Wenn er jetzt ein Referendum ankündigt, erhöht er damit die Chance, dass ihm die Abgeordneten noch einmal das Vertrauen aussprechen. Der Gedanke dazu ist ihm aber nicht spontan gekommen. Papandreou hat schon vor einigen Tagen seinen Kollegen im Europäischen Rat gesagt, dass er sich mit dem Gedanken an ein Referendum trägt. Im Rat wurde ihm dringend davon abgeraten. Dass er diesen Schritt nun doch geht, zeigt, wie groß die Not ist, in der sich dieser Mann befindet.
tagesschau.de: Was würde ein Nein der Griechen zu den Rettungsmaßnahmen für den EFSF bedeuten?
Krause: Das Problem ist: Die Griechen kennen die Beschlüsse noch gar nicht, denn das, was von ihnen selbst verlangt wird, das soll ja erst bis zum Jahresende erarbeitet werden. Das ist aber der entscheidende Teil des Deals. Bisher hat Europa gesagt, wie viel Geld es Griechenland geben will, die privaten Gläubiger haben gesagt, was sie an Schulden erlassen wollen - aber was die Griechen selbst tun müssen, steht noch gar nicht fest. Trotzdem: Wenn die Griechen dem nicht zustimmen, dann gibt es nur eine Alternative. Dann wird ihnen nicht mehr geholfen, denn Hilfe in Europa ist immer Hilfe zur Selbsthilfe. Dann werden die Griechen ihre Schulden nicht mehr bezahlen können, dann werden sie ihre Zahlungsunfähigkeit erklären müssen und dann werden sie, glaube ich, nicht mehr in der Eurozone bleiben können.
"Die Länder der Eurozone können keine gemeinsame Währung haben"
tagesschau.de: Damit wäre auch ein Präzedenzfall für andere Länder geschaffen. Droht im Falle eines Ausschlusses Griechenlands aus der Eurozone eine Kettenreaktion?
Krause: Man hat immer Angst vor so einer Reaktion. Man sagt: Wenn ein Land rausgeht, dann hat das Folgen für andere Länder. Aber man kann sich da an den früheren Chefvolkswirt der Europäischen Zentralbank, Otmar Issing, halten. Er hat gesagt, vielleicht könnte es ja auch eine positive Kettenreaktion geben. Andere Länder könnten merken, dass sie sich noch stärker anstrengen müssen, um ihre Haushalte zu stabilisieren. Ich glaube, dass das so sein kann. Genau wissen wird man das erst, wenn man es erlebt.
tagesschau.de: Die Abstimmung wird erst in einigen Monaten erfolgen können. Solange wird die EU aber nicht warten. Welche Reaktionen sind jetzt schon möglich?
Krause: Bisher war die Politik der Europäischen Union und der Staats- und Regierungschefs darauf ausgerichtet, die Eurozone auf Biegen und Brechen mit aller Gewalt zu erhalten. Das hat aber immer nur für die Dauer eines Tages nach dem jeweiligen Gipfel funktioniert. Da war Euphorie an den Börsen, alle dachten, sie hätten es geschafft - und dann guckte man genauer hin und sah, wo überall nur Luftbuchungen waren, welche Mängel in den Beschlüssen waren. Also fiel das ganze wieder in sich zusammen, so wie letzte Woche auch.
Außerdem sehen wir, dass der Politik keiner mehr abnimmt, was sie tut. Und deswegen funktioniert es nicht. Wir haben doch ein Glaubwürdigkeitsproblem. Kein Mensch würde im Moment eine griechische Staatsanleihe zeichnen, die aufgelegt würde. Das sehen wir auch in Italien, wo die Risikoaufschläge für italienische Staatsanleihen nach oben schießen. Warum? Weil die Leute kein Vertrauen mehr haben. Und sie haben deshalb kein Vertrauen, weil sie alle spüren, dass das System nicht stabil ist. Was wir im Moment sehen ist, dass die Politik immer größere Summen bereitstellen muss, um ihre Glaubwürdigkeit irgendwie herzustellen. Wir hantieren hier mit Summen, die waren früher unaussprechlich. Aber es reicht nicht einmal, wenn da mit Billionen gewinkt wird: Die Zweifel bleiben.
tagesschau.de: Warum ist das so?
Krause: In der Eurozone sind Länder vereint, die eigentlich keine gemeinsame Währung haben können. Sie halten das nicht aus. Wir sehen, dass es die Länder überall zerreißt, nicht nur in Griechenland. Es sind inzwischen mehrere Regierungen über den Euro gestürzt: in Irland, in Portugal, in der Slowakei - und auch in den Niederlanden steht die Regierung mit dem Rücken an der Wand. Keiner weiß auch, was bei uns in Deutschland wäre, wenn jetzt Wahlen wären. Wir sehen also, wie der Kampf um die Eurozone diese Völker zerreißt, und das ist der entscheidende Grund für die Unsicherheit rund um die Eurozone.
Selbst Frankreich hat ein Problem. Dort ist das Handelsbilanzdefizit gegenüber dem Vorjahr um 50 Prozent gestiegen. Das zeigt, dass auch die französische Wirtschaft an Wettbewerbsfähigkeit verloren hat. Das ist das Problem. Die Länder haben sich nach der Einführung des Euro alle so verhalten, als sei eigentlich nichts passiert. Als hätten sie jetzt nur eine gemeinsame Währung und günstigere Zinsen. Aber die Löhne sind in den Ländern völlig unterschiedlich gestiegen. Das hat dazu geführt, dass sie ihre Wettbewerbsfähigkeit verloren haben, intern und auf dem Weltmarkt. Und das sind die Kernprobleme, und an die geht die Politik nicht ran."
Die Fragen stellte Jan Ehlert, tagesschau.de