Bäckereifachverkäuferin legt Brot in die Auslage
Reportage

Hohe Energiekosten fürs Handwerk Wenn jede Kilowattstunde zählt

Stand: 13.09.2022 08:16 Uhr

Wie stark leidet der Mittelstand unter den rasant gestiegenen Kosten für Strom und Gas? Das Beispiel einer Konditorei in Augsburg zeigt, warum es für so manche Betriebe eng werden könnte.

Von Andreas Herz, BR

Der Weg in die Backstube der Augsburger Konditorei Dichtl ist dunkel. Dämmeriges Licht von einem Fenster weiter oben hilft, dass niemand auf den Treppen stürzt. Dabei gäbe es Lampen genug. Doch auf Anweisung von Susanne Dichtl bleiben sie aus. Für die Firmenchefin des Traditionsbetriebs zählt inzwischen jede Kilowattstunde, die nicht verbraucht wird.

"Bislang haben wir für den Strom im Monat rund 6000 Euro bezahlt. Inzwischen sind es 18.000 Euro, Tendenz steigend", berichtet Dichtl. Da ihr Stromanbieter monatlich direkt an der Strombörse für sie einkauft, schlagen die Preissprünge unmittelbar bei ihr durch. Mit ihrem Produktionsleiter ist sie inzwischen in der Backstube angekommen - auf der Suche nach weiteren Stromspar-Möglichkeiten. An einem Dunstabzug bleiben sie stehen. "Können wir die vielleicht abschalten?", fragt die Chefin. Doch Produktionsleiter Erik Lemmermann schüttelt den Kopf. Es wird sonst zu heiß.

Bangen um die Treue der Kunden

Konditoreien oder Bäckereien gehören zu den Betrieben, die von den explodierenden Strompreisen am härtesten getroffen werden. Die Öfen und Kühlkammern fressen Energie. Ähnlich sieht es bei Wäschereien, Metallverarbeitern oder Brauereien aus. "Ich glaube, viele wissen noch gar nicht, was auf sie zukommt", sagt Lemmermann. Beim Zentralverband des Deutschen Handwerks (ZDH) sieht man es ähnlich: "Jeden Tag erreichen uns Notrufe von Betrieben, die kurz davor sind, zuzumachen, weil sie die enorm gestiegenen Energierechnungen nicht mehr bezahlen können", so eine Sprecherin. Viele Tausend Arbeits- und Ausbildungsplätze seien in Gefahr: "Insbesondere in den energieintensiven Gewerken wie Bäckereien, Textilreinigern, Galvaniseuren und anderen mehr. Bei denen zählt jeder Tag."

Erik Lemmermann und Susanne Dichtl

Susanne Dichtl und ihr Produktionsleiter Erik Lemmermann befürchten, dass die Energiekosten für ihre Bäckerei weiter steigen werden, und versuchen zu sparen, so gut es geht.

Dass die Unternehmen die Kostensprünge an die Kunden weitergeben können, glaubt der Zentralverband nicht. Bei den Bäckern wanderten die Kunden schon jetzt zu Discountern ab. Das treibt auch Firmenchefin Dichtl um. Sie holt ein Stück Zwetschgen-Datschi vom Blech und stellt es auf den Tresen des Konditorei-Cafés: "Das Stück kostet jetzt noch 3,50 Euro. Wenn ich jetzt die gestiegenen Strompreise reinrechnen würde, müsste ich den Preis um 30 Prozent erhöhen. Dann sind wir weit jenseits der vier Euro. Und dann wird es schon schwer für den Verbraucher."

Das Café ist noch gut besucht. Eine Frau will sich auch weiterhin einen Besuch gönnen. Ein Mann im Außenbereich eher nicht: "Das Problem ist ja, dass ich nicht automatisch auch mehr Geld verdiene. Und irgendwann ist es dann halt knapp und ich kaufe mir nicht mehr den Kuchen für fünf Euro." Noch will Susanne Dichtl die Preise nicht erhöhen. Doch ihr Spielraum schrumpft: Weil neben dem Strom auch die Mehlpreise im Zuge des Ukraine-Krieges gestiegen sind. Weil ihre 70 Beschäftigten wegen der Inflation auch mehr Geld brauchen und auch bekommen sollen. Weil Versicherungen zu bezahlen sind. Und weil auch mal wieder Reparaturen anstehen.

Hilfen gehen an den Betrieben vorbei

Die Rücklagen sind bei vielen Betrieben aufgebraucht, beklagt der Bayerische Handwerkstag (BHT) - auch wegen der Pandemie. Und das Entlastungspaket drei der Ampel-Koalition bringe den Betrieben wenig. "Das hilft vor allem Rentnern, Studierenden, Verbrauchern. Aber bei den Betrieben kommt eigentlich nix an", so der Sprecher. Und auch die geringere Mehrwertsteuer bei der Gasumlage nutze nichts. "Das ist ja ein Posten, der eins zu eins an die Kunden weitergegeben wird." Um eine Insolvenzwelle im Handwerk zu verhindern, müsse der Staat besonders betroffene energieintensive Betriebe schnell mit gezielten und direkten Härtefallhilfen unterstützen, fordert der ZDH. Für kleine und mittlere Betrieb brauche es zudem eine Energiepreisbremse. Und: Die Energiesteuern müssten so weit wie möglich gesenkt werden.

Die Handwerkskammer Schwaben plädiert dafür, direkt in den Energiemarkt einzugreifen. Konkret: Das sogenannte "Merit-Order-Prinzip" müsse außer Kraft gesetzt werden. Es besagt, dass das teuerste Kraftwerk, das noch benötigt wird, um den Bedarf zu decken, den Strompreis bestimmt. Und das sind derzeit die Gaskraftwerke, deren Strom enorm teuer ist. "Wir sagen: lasst uns die Gaskraftwerke subventionieren, dann sinkt auch der Strompreis", sagt ein Handwerkskammer-Sprecher - gekoppelt mit einer Gaspreisbremse.

Öfen laufen nur noch drei Stunden am Tag

Doch das sind alles noch Forderungen und Planspiele, die Bäckereibetreiberin Dichtl für den Moment nicht helfen. Stattdessen hat der Betrieb die Kühlung noch um ein Grad gesenkt. Und die Arbeitsabläufe wurden so geändert, dass die Öfen nur noch drei Stunden am Tag laufen müssen und nicht mehr fünf Stunden wie bisher.

Aufgeben ist für die Unternehmerin jedenfalls keine Option. Die Konditorei ist ein Familienbetrieb, und Dichtl führt ihn in dritter Generation. "Ich bin schon zu meiner Mama gegangen, und habe sie um Rat gefragt", sagt die Chefin. "Aber sowas wie wir in den letzten Jahren, das hat auch sie noch nicht erlebt."

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete SWR4 Rheinland-Pfalz am 19. August 2022 um 10:00 Uhr sowie tagesschau24 am 13. September 2022 um 09:00 Uhr.