Paketboom vor Weihnachten Wenn der Postmann millionenfach klingelt
Noch nie wurden vor Weihnachten so viele Pakete verschickt wie in diesem Jahr. Die Belastung der Zusteller ist enorm. Gewerkschafter fordern gesetzliche Regeln für bessere Arbeitsbedingungen.
Die Zahlen sind beeindruckend. In der Vorweihnachtszeit, also im November und Dezember, transportieren die Paketdienste täglich 16 Millionen Kurier-, Express- oder Paketsendungen. Davon werden fast neun Millionen an private Empfänger zugestellt. Diese Zahlen hat der Bundesverband Paket und Expresslogistik errechnet. Die Corona-Krise hat das Wachstum in der Branche beschleunigt, da viele Läden wochenlang schließen mussten. Dass Ungeimpfte viele Geschäfte derzeit gar nicht mehr betreten dürfen, wird dem Online-Handel wahrscheinlich nützten und die Zahl der Paketsendungen weiter steigern.
Der Vorsitzende des Bundesverbands Paket und Expresslogistik, Marten Bosselmann, spricht von einem Wachstum im Vergleich zum Vorjahr von bis zu drei Prozent. "Um das hohe Sendungsvolumen zu bewältigen, werden wieder bis zu 30.000 zusätzliche Arbeitskräfte bei den Unternehmen beschäftigt und bis zu 25.000 zusätzliche Fahrzeuge eingesetzt", so Bosselmann. Im Jahr 2020 waren bei den Unternehmen der Branche mehr als 255.000 Menschen beschäftigt, so die Zahlen des Verbands.
Ver.di bezweifelt faire Arbeitsbedingungen
Doch die Arbeitsbedingungen unterscheiden sich stark: Während die Deutsche Post und UPS Zusteller zum Großteil fest anstellen, setzen Wettbewerber wie Hermes oder DPD bislang vor allem auf Subunternehmen. Faire Arbeitsbedingungen, die Sicherung hoher Sozialstandards und ein gutes Arbeitsumfeld seien zentrale Faktoren für die Mitgliedsunternehmen, heißt es beim Bundesverband Paket und Expresslogistik.
Genau das bezweifelt aber die Dienstleistungsgewerkschaft ver.di. Das Wachstum in der Branche habe dazu geführt, dass die Arbeitsbedingungen stark gelitten hätten, sagt Stefan Thyroke. Er ist bei der Gewerkschaft Bereichsleiter für Logistik. Thyroke spricht von enormen körperlichen Belastungen. "Viele Fahrer tragen die Pakete mit der Hand aus, das sind unheimliche Gewichte. Ein Fahrer trägt pro Tag in der Summe einen Elefanten." Hinzu kämen in der Vorweihnachtszeit großer Stress und viele Überstunden.
In den meisten Fällen seien die Fahrerinnen und Fahrer gar nicht direkt bei den Unternehmen angestellt, sondern bei Subunternehmen. Das habe zur Folge, dass es keinen Tarifvertrag gebe. Oft seien das Klein-Unternehmen, die keinen Betriebsrat haben müssen. "Bei Hermes arbeiten beispielsweise 11.000 Fahrerinnen und Fahrer ausschließlich bei Subunternehmen. Bei DPD sind gerade mal 600 fest angestellt - 11.000 hingegen bei Subunternehmen", so Thyroke. Der Grund sei offensichtlich. Man müsse weniger bezahlen, und Überstunden könnten mehr ausgereizt werden. Das Wachstum der Branche führt laut ver.di zu einem Arbeitskräftemangel, der vorrangig aus Osteuropa gedeckt werde. Viele der Beschäftigten kennen ihre Rechte hierzulande nicht.
Amazon in der Kritik
Immer wieder steht der US-Online-Händler Amazon besonders in der Kritik. Hier gebe es noch eine ganz andere Art der Beschäftigung: Das so genannte Flex-Modell. "In diesem Modell arbeiten dann Solo-Selbständige, die völlig auf sich selbst angewiesen sind." Dies sei aber nicht zulässig, so Thyrokes Meinung. Da die Zusteller in die Betriebsabläufe eingebunden seien, Hardware und Software des Unternehmens nutzten und Anweisungen befolgen müssten, müssten sie sozialversicherungspflichtig angestellt werden.
Ver.di fordert von der neuen Bundesregierung ein entschlossenes Vorgehen gegen fragwürdige Arbeitsbedingungen in der Branche. Der Zoll müsse Sozialversicherungsbetrug, Unterschreiten des Mindestlohns, Schwarzarbeit und illegale Beschäftigung verstärkt kontrollieren. Die Sozialversicherungsträger fordert ver.di auf, mehr Betriebsprüfungen vorzunehmen, um scheinselbstständige Beschäftigungsverhältnisse zu beenden.
"Einstiegslohn von zwölf Euro"
Amazon sieht sich zu Unrecht attackiert: Die Aussagen entsprächen nicht der Wirklichkeit der Tausenden Menschen, die bei Amazon und seinen Partner-Unternehmen in ganz Deutschland beschäftigt seien und jeden Tag Pakete zu Amazon-Kundinnen und -Kunden brächten, so ein Sprecher. "So haben wir zum Beispiel den Einstiegslohn von zwölf Euro eingeführt und für alle Amazon-Mitarbeiterinnen und -Mitarbeiter in Deutschland Realität werden lassen. Wir vergüten auch unsere Lieferpartner entsprechend, damit sie ihre Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter gut bezahlen können. Wir führen regelmäßig Audits und Untersuchungen durch und ergreifen Maßnahmen, wenn wir feststellen, dass dies nicht der Fall ist", so der Amazon Sprecher.
Die Lieferpartner seien vertraglich verpflichtet, alle geltenden Gesetze einzuhalten, insbesondere in Bezug auf Löhne, Sozialabgaben und Arbeitszeiten. Zudem gebe es eine Fahrer-Hotline, die für alle Fahrerinnen und Fahrer in verschiedenen Sprachen verfügbar sei. Dort könnten Zustellerinnen und Zusteller ihr Feedback auch anonymisiert teilen. Die kritisierten Flex-Modelle würden nur bei Personen angewandt, die lediglich ab und zu für Amazon arbeiten wollten, beispielsweise Studenten, so das Unternehmen.
Zustellung am selben Tag hat Folgen
Amazon hat den Markt mit fast unschlagbaren Zustellkonditionen ziemlich durcheinandergewirbelt. Die Zustellung am selben Tag ist für ein attraktiver Service für diejenigen, die etwas bestellen. Die Zusteller bringt er aber mächtig unter Druck.
Ver.di appelliert hier auch an die Kundschaft. Egal ob im Online-Shop oder bei Supermärkten, Kunden sollten sich genau überlegen, ob sie das Angebot "geliefert in wenigen Stunden" wirklich immer nutzen, so Thyroke. Ihnen müsse klar sein, dass das oft nur mit schlechten Arbeitsbedingungen möglich sei.