Campen im Trend Reisemobil-Boom führt zu langen Wartezeiten
Während der klassische Tourismus im zweiten Corona-Jahr weiter gelitten hat, profitiert vor allem die Caravan-Branche vom neuen Camping-Boom. Wer ein Wohnmobil kaufen will, muss sich auf lange Wartezeiten einstellen.
141 Stellplätze zählt Patrick Motz auf seinem Campingplatz auf der Insel Reichenau im Bodensee. Plätze für Wohnmobile, Wohnwagen und Zelte - mal direkt am Wasser, mal unter Schatten spendenden Bäumen. Seit 1969 lädt der Familienbetrieb Camper auf die Insel ein.
Die Saison 2021 wird dem Inhaber wohl noch lange in Erinnerung bleiben: "Bei uns müssen die Gäste normalerweise Monate im Voraus einen Platz reservieren", berichtet Motz tagesschau.de. Seit Corona wollten immer mehr Menschen spontan anreisen. "Dieses Vagabunden-Leben funktioniert aber leider nicht", sagt Motz. "Viele Kunden sind dann enttäuscht und verärgert, wenn sie spontan keinen Platz mehr bekommen." Lange Schlangen vor Campingplätzen, verärgerte Neucamper auf der Suche nach einem Schlafplatz: Der zweite Sommer in der Pandemie hat den Camping-Tourismus in Deutschland von der Ostsee bis zum Bodensee durcheinandergewirbelt.
Corona sorgt für Boom
Die gesamte Caravaning-Branche habe durch Corona einen echten Schub bekommen, sagt die Professorin für Tourismusmanagement Ina zur Oven-Krockhaus von der IU Internationale Hochschule in Hannover: "Urlaub mit dem Wohnmobil hat sich zum Trend entwickelt. Das Camping-Segment gehört zu den wenigen Wachstumsmärkten in der Pandemie. Während Corona sind, mangels Alternativen, viele neue Kunden dazu gekommen, die Campen einfach mal ausprobieren wollten."
Nicht wenige haben sich gleich ein Reisemobil zugelegt. Im Jahr 2020 verzeichnet das Kraftfahrtbundesamt in Flensburg rund 76.000 Neuzulassungen, eine Steigerung von mehr als 40 Prozent. Und der Trend setzt sich fort: Von Januar bis September 2021 wurden knapp 67.000 Wohnmobile neu zugelassen - ein Plus von rund acht Prozent. "Corona war für uns ein Katalysator, der die Zahlen komplett nach oben getrieben hat", sagt Daniel Onggowinarso vom Branchenverband CIVD.
Erwin Hymer Group verzeichnet Rekordzahlen
Vom Caravaning-Boom profitiert auch die Erwin Hymer Gruppe im schwäbischen Bad Waldsee. Der Umsatz des Reisemobil- und Caravan-Herstellers stieg im abgelaufenen Geschäftsjahr um 23 Prozent auf 2,7 Milliarden Euro. 65.000 Fahrzeuge hat das Unternehmen ausgeliefert. CEO Martin Brandt ist überzeugt: "Caravaning ist in der Mitte der Gesellschaft angekommen."
Besonders stark sei das Segment der Camper-Vans gewachsen: Hier ging der Absatz um 60 Prozent nach oben. Die geräumigen Kastenwagen, auf Basis von Nutzfahrzeugen wie etwa dem Fiat Ducato oder dem VW Crafter, machten inzwischen die Hälfte aller Reisemobil-Zulassungen aus, betont Onggowinarso vom CIVD. Mit den Kastenwagen erreiche man auch neue Zielgruppen, jenseits der über 50-jährigen Reisemobil-Käufer: "Etwa die jungen Familien, die nun auch Kastenwägen für sich entdeckt haben. Und der kann eventuell sogar den Pkw ersetzen. Wir spüren nach wie vor eine große Nachfrage."
"Campen ist lifestyliger geworden"
Dass plötzlich massenhaft junge Paare und Familien Campingurlaub für sich entdecken, liege aber nicht nur an der Pandemie, sagt Tourismusforscherin zur Oven-Krockhaus: "Die Branche hat schon vor Corona profitiert und einen echten Imagewandel durchfahren. Es ist lifestyliger geworden, mit einem Wohnmobil unterwegs zu sein." Das hänge auch mit dem steigenden Bedürfnis nach Freiheit und Flexibilität zusammen.
Rohstoffmangel führt zu langen Wartezeiten
Flexibel müssen auch die Kunden sein, die sich jetzt noch ein neues Reisemobil zulegen wollen. Der weltweite Engpass von Rohstoffen und Chips zwingt Hersteller wie die Erwin Hymer Group zu kurzzeitigen Produktionsstopps und Kurzarbeit. Vom Unternehmen heißt es dazu: "Damit steht das Unternehmen vor der paradoxen Situation, volle Auftragsbücher zu haben, gleichzeitig aber aufgrund mangelnder Fahrgestellverfügbarkeit nicht produzieren und liefern zu können." Für die Kunden heißt das: Warten. Je nach Modell und Konfiguration bis zu eineinhalb Jahre.
"Die Leute wollen kaufen, aber wir können die Fahrzeuge nicht liefern," sagt Onggowinarso vom CIVD. "Das ist ernüchternd: Wir haben jahrelang für die Branche geworben und können jetzt nicht die Lorbeeren ernten."
Ein Problem, dass sich nach Angaben des Branchenverbandes noch mindestens bis Mitte 2022 hinziehen wird. Zeit, die sinnvoll genutzt werden könnte für den Bau neuer Stellplätze. Zuletzt stockte der Ausbau: "Aber jetzt ist eine gewichtige Masse an Fahrzeugen auf dem Markt. Wir glauben, dass unter den Investoren jetzt Goldgräberstimmung aufkommt", so Onggowinarso.
Für Patrick Motz auf der Insel Reichenau im Bodensee endet in diesen Tagen die Saison. Am Wochenende könnte es nochmal voll werden. Dann aber geht es erstmal zum Krafttanken in die Winterpause. Denn im nächsten Jahr rechnet er mit einem erneuten Ansturm.