Brunsbüttel bald betriebsbereit Brauchen wir alle LNG-Terminals?
Heute ist ein schwimmendes LNG-Terminal in Brunsbüttel eingetroffen, elf sollen es insgesamt werden. Bundesnetzagenturchef Müller bezweifelt, dass alle Terminals notwendig sind. Experten sehen das ähnlich.
Die Bundesregierung treibt den Aufbau der Importanlagen für Flüssiggas aktiv voran, um die Versorgungssicherheit Deutschlands künftig zu gewährleisten. Fünf von sieben Terminalschiffen hat sie zu diesem Zweck selbst gechartert, zwei davon sind bisher in Betrieb. Heute trifft ein schwimmendes Terminal für Flüssigerdgas (LNG) in Brunsbüttel ein, wo das dritte schwimmende LNG-Terminal in Deutschland entsteht.
Im niedersächsischen Wilhelmshaven und in Lubmin in Mecklenburg-Vorpommern haben die Terminalschiffe bereits festgemacht. Die drei Anlagen haben gemeinsam zunächst eine Importkapazität von jährlich rund 14 Milliarden Kubikmetern.
Ausbauarbeiten und weitere Anlagen in Lubmin, Wilhelmshaven sowie in Stade sollen dies noch erheblich erhöhen. Bis zum Jahr 2026 sollen insgesamt elf LNG-Terminals betriebsbereit sein, drei davon sind als stationäre Terminals geplant.
Netzagenturchef Müller zweifelt
Vor Beginn des Angriffs auf die Ukraine sorgte Russland für 55 Prozent des hiesigen Gasbedarfs, über die Nord-Stream-1-Pipeline waren rund 55 Milliarden Kubikmeter russisches Gas in Deutschland angekommen.
Erklärtes Ziel sei laut Bundesregierung, kurzfristig unabhängig von Öl, Gas und Kohle aus Russland zu sein. Über schwimmende LNG-Terminals lasse sich demnach ein Drittel des bisherigen Gasbedarfs decken.
Der Chef der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, bezweifelt jetzt aber die Notwendigkeit aller geplanten Importterminals für Flüssiggas (LNG). Es sei richtig, sich auch auf einen extrem kalten Winter vorzubereiten und "Redundanzen einzuplanen", sagte Müller dem digitalen Medienhaus Table.Media: "Aber ich denke schon, dass man im Rückblick auf die ersten Winter ohne russisches Pipeline-Gas die Statistiken nochmal genauer anschauen wird."
Gasversorgung derzeit nicht gefährdet
Müller führte an, dass zwar auch etwa für den Fall vorgesorgt werden müsse, "dass ein Terminal oder eine weitere Pipeline ausfällt". Auch müsse der Bedarf der Nachbarländer berücksichtigt werden. Dennoch sei abzuwarten, "ob am Ende alle derzeit diskutierten Terminals realisiert beziehungsweise voll ausgelastet werden".
Denn derzeit erweist es sich, dass auch nach dem kompletten Wegfall aller russischen Importe die Versorgungslage mit Erdgas in diesem Winter zu keinem Zeitpunkt ernsthaft in Gefahr geraten ist. Die Gasspeicher seien immer noch zu fast 90 Prozent gefüllt, eine Mangellage werde auch dank des milden Winters immer unwahrscheinlicher, schreibt die Bundesnetzagentur in ihrer täglichen Lagebeurteilung.
Müller greift mit seinen aktuellen Aussagen die Einschätzungen anderer Experten auf, die sich ebenfalls kritisch zur Größenordnung des Terminal-Aufbaus geäußert hatten. Umweltschützer warnen zudem vor möglichen Folgen für Umwelt und Klima.
Fehlinvestition von Steuergeldern?
Das New Climate Institute, eine Kölner Denkfabrik zum Thema Energiewende, kam etwa in einer aktuellen Studie zu einem klaren Ergebnis: "Die derzeitig geplanten deutschen LNG-Import-Terminals sind nicht zwingend nötig, um nach Wegfall der russischen Importe Deutschlands Gasbedarf zu decken, der unter Einhaltung der deutschen Klimaschutzziele zulässig ist", lautet die Schlussfolgerung ihrer Untersuchung.
"Elf LNG-Terminals mit einer Gesamtkapazität von etwa 73 Milliarden Kubikmeter pro Jahr könnten den Import von etwa 50 Prozent mehr Gas ermöglichen als vor dem Krieg aus Russland bezogen wurde, schreibt das Institut. "Wenn alle geplanten Terminals in Betrieb sind, könnte Deutschland über Land und See fast zwei Drittel mehr Erdgas importieren als derzeit verbraucht wird."
Das bedeutet, dass deutlich mehr Kapazitäten aufgebaut werden als erforderlich sind. Falls alle LNG-Pläne umgesetzt würden, seien Fehlinvestitionen absehbar, die von Steuerzahlern mitgetragen würden.
Überversorgung sehr wahrscheinlich
Eine Analyse des Climate Action Tracker (CAT) kam vor einigen Wochen ebenfalls zum Ergebnis, dass die Staaten weltweit deutlich mehr LNG-Infrastruktur aufbauen, als eigentlich nötig wäre. Den Daten zufolge könnte die absehbare Überversorgung an Flüssiggas schon 2030 etwa 500 Megatonnen erreichen. Das entspreche der fast fünffachen Menge dessen, was die EU 2021 an russischem Gas importiert habe.
Und das "Handelsblatt" hatte sich unlängst vom Marktforschungsunternehmen Icis ausrechnen lassen, in welchen Fällen LNG-Terminals zum Verlustgeschäft werden könnten und die möglichen Verluste sogar versucht zu beziffern. ICIS-Experte Andreas Schröder hat errechnet, dass ein LNG-Terminal bei fünf Prozent Marge über zehn Jahre rund 200 Millionen Euro Verlust einfahren würde.
Allerdings ist seine Beispielrechnung mit großen Unsicherheiten behaftet. Je nach Marge seien auch Gewinne möglich. Tritt ein ungünstigeres Szenario ein, allerdings auch erheblich größere Verluste.