Grundsteuer-Bescheide "Wäschekörbeweise Einsprüche" bei Finanzämtern
Mehr als drei Millionen Menschen haben bereits Einspruch gegen ihre Bescheide zur neuen Grundsteuer eingelegt - das hat eine Umfrage ergeben. Dem Staat könnten deswegen hohe Einnahmen entgehen.
Eine Umfrage unter den 16 Länderfinanzministerium durch das "Handelsblatt" hat ergeben, dass mehr als drei Millionen Steuerzahler bislang Einspruch gegen ihre Grundsteuerbescheide eingelegt haben. Die Dunkelziffer dürfte laut Steuergewerkschaft noch höher liegen.
Um diese Flut an Einsprüchen bearbeiten zu können, haben einige Bundesländer Finanzbeamte dem Zeitungsbericht zufolge von wichtigen Aufgaben abgezogen - darunter auch Betriebsprüfer, die normalerweise die Steuererklärungen von Firmen kontrollieren. Die Beschäftigten wären an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt, beklagt Florian Köbler, Bundesvorsitzender der Deutschen Steuergewerkschaft, DSTG.
"Kapazitäten sinnlos eingesetzt"
Ein Betriebsprüfer bringe dem Staat im Schnitt eine Millionen Euro zusätzlicher Steuern ein, rechnet Köbler vor. Das Geld fehle in der Staatskasse, wenn sich die Fachleute nicht um ihre eigentliche Aufgabe kümmern könnten - möglicherweise mangelhaften Steuererklärungen von Restaurants oder Betrieben nachzugehen. "Die Prüfungskapazitäten werden völlig sinnlos eingesetzt", so Kobler gegenüber tagesschau.de.
Nach Angaben des Vorsitzenden der Fachgewerkschaft der Finanzverwaltung schmälert das nicht nur die Staatseinnahmen, sondern geht auch zulasten von Steuergerechtigkeit und fairen Marktbedingungen; wenn beispielsweise ein Betrieb wegen fehlender Kontrolleure nicht korrekt besteuert werden könne.
Zahl der Einsprüche höher als erwartet
Dabei dürfte die Zahl der Einsprüche noch weit höher liegen, schätzt Steuergewerkschafter Köbler. "Es liegen wäschekörbeweise Einsprüche in den Finanzämtern, die zum Teil noch gar nicht erfasst sind." Die Deutsche Steuergewerkschaft habe mit einer Quote von fünf bis zehn Prozent Klagen gerechnet, aktuell gehe man von 15 bis 20 Prozent aus. Das haben laut Köbler Rückmeldungen der Finanzämter ergeben.
Bundesmodell verfassungswidrig?
Grund für die hohe Zahl der Einsprüche dürfte die Musterklage zur Grundsteuer sein, die aus einem juristischen Gutachten des Bundes der Steuerzahler und des Eigentümerverbands Haus und Grund hervorgeht. Dem Rechtsgutachten zufolge ist das neue Grundsteuergesetz des Bundes verfassungswidrig. Dabei geht es um das Bundesmodell zur Berechnung der Grundsteuer, das von elf Bundesländern angewendet wird.
Der Bund der Steuerzahler hält einzelne Parameter der Berechnung für bedenklich. So entscheide der sogenannte Bodenrichtwert, der anhand von Verkaufspreisen der letzten Monate in einer bestimmten Zone ermittelt werde, über den Wert eines Grundstückes. "Wenn beispielsweise ein Filet-Stück in der Stadtmitte teuer an einen Investor verkauft wird, treibt das die Preise der ganzen Umgebung hoch", so Daniela Karbe-Geßler, Abteilungsleiterin Steuerrecht und Steuerpolitik beim Bund der Steuerzahler.
Auch habe der Eigentümer nicht die Möglichkeit, Gegenbeweise vorzulegen. Die Bewertungsgrundlage für die Grundsteuer ist aus Sicht des Steuerzahlerbundes zudem intransparent und nicht nachvollziehbar. Das Bundesverfassungsgericht muss nun über diese und weitere Kritikpunkte urteilen. Laut Steuerexpertin Karbe-Geßler kann es nach dem aktuellen Gesetzesentwurf dazu kommen, dass vergleichbare Grundstücke mit unterschiedlicher Grundsteuer belegt würden, obwohl beispielsweise ihre Lage oder Bebauung vergleichbar sei.
Fünf Bundesländer gehen eigene Wege
Die fünf Bundesländer Bayern, Baden-Württemberg, Hamburg, Hessen und Niedersachsen haben jeweils eigene Verfahren zur Bemessung der Grundsteuer. Jochen Kilp vom Bund der Steuerzahler Hessen kritisiert das Bundesmodell als zu kompliziert und in Teilen nicht nachvollziehbar. Das hessische Modell hingegen sei sehr einfach, es werde allein die Wohnfläche angesetzt.
Auch das berge Ungerechtigkeiten, gibt Steuerfachmann Kilb zu: "Da werden die Quadratmeter, auf die eine Scheune im Vogelsbergkreis stehen, genau so bewertet wie bei der Penthouse-Wohnung in Frankfurt." Dafür gebe es aber auch keine automatische Wertsteigerung, nur weil der Kaufwert eines Objekts in der Nachbarschaft steige.
Geduld ist gefragt
Zudem habe letztlich die Kommune die Möglichkeit, auf den tatsächlichen Grundsteuerbetrag einzuwirken - durch den sogenannten Hebesatz. Diesen Faktor legt eine Stadt oder eine Gemeinde fest. Er dient dazu, die tatsächliche Höhe einer Steuerschuld zu bestimmen.
Jedoch wird der Hebesatz laut Kilp erst dann von einer Kommune festgelegt, wenn alle Bescheide eingegangen sind. Daher sei Geduld gefragt. Derzeit hätten viele Bürger schon den Bescheid für die Grundsteuer bekommen, doch sind diese noch keine Zahlungsaufforderungen, sondern die Grundlage für die Festsetzung der Grundsteuer durch die Stadt oder Gemeinde. Die tatsächliche Höhe der Steuer bestimmt der Hebesatz.
Der Experte geht davon aus, dass die Kommunen auf die sogenannte Aufkommensneutralität achten, so jedenfalls sieht es auch der Gesetzgeber vor. Demnach würden die Gesamteinnahmen des Staates trotz neuer Grundsteuer-Berechnung unverändert bleiben. Individuell könne sich der Steuersatz aber schon verändern.
Klage-Drohung stand früh im Raum
Jochen Kilp rät daher von weiteren Einsprüchen ab. Und Daniela Karbe-Geßler vom Bund der Steuerzahler Deutschland ist der Ansicht, dass sich die Flut von Einsprüchen hätte verhindern lassen - etwa wenn die Finanzämter vorläufige Bescheide erlassen hätten. Dann wäre laut Karbe-Geßler kein Einspruch nötig gewesen.
Der Steuerzahlerbund habe dies auch vorgeschlagen, doch sei die Finanzverwaltung darauf nicht eingegangen. Bereits im laufenden Gesetzgebungsverfahren habe der Steuerzahlerbund deutlich gemacht, dass er gegen das Bundesmodell klagen wolle.