Schwankungen an der Energiebörse Mal "negative" Strompreise, mal Kostenschock
Im Mai kostete Strom an der Börse buchstäblich nichts, die Preise waren tagelang negativ. Im Juni schossen sie zeitweise auf 2.000 Euro pro Megawattstunde hoch - zehnmal so viel wie gewöhnlich. Wie kann das sein?
Eine Megawattstunde Strom kostet in Deutschland an der Strombörse normalerweise etwa 100 bis 200 Euro. Doch im Juni waren die Stromkosten zeitweise zehnmal so hoch. Im Mai dagegen waren die Preise zwischendurch "negativ". Das bedeutet, dass Stromproduzenten Geld dafür bezahlen mussten, dass ihnen ihr Strom überhaupt abgenommen wird.
Nun schwanken Strompreise grundsätzlich stark. Besonders teuer ist es dann, wenn üblicherweise besonders viel Nachfrage herrscht: Also morgen zwischen sechs und sieben Uhr zum Beispiel.
Am letzten Mittwoch im Juni war diese Nachfrage wie immer: ganz normal. Doch in Paris bei der Epex-Strombörse gab es ein Problem. Dort wird der Strom für Deutschland, Österreich, Frankreich und die Schweiz sowie Teile Skandinaviens gehandelt. In entsprechenden Auktionen wird bis zum Nachmittag der Preis für den nächsten Tag gebildet. Dieser stündliche Auktionshandel ist laut Experten der wichtigste Handel für den Strommarkt. Doch plötzlich gab es in diesem Handel eine technische Störung. Die Folge: Der Strompreis schoss - ausgerechnet morgens - in die Höhe.
Keine gemeinsame Auktion macht Strom teuer
Der Grund: Es gab an jenem Tag Ende Juni keine gemeinsame Auktion der beteiligten Länder, bei denen sich der Preis aus den verschiedenen Angeboten und der Nachfrage bildet. Die Märkte waren voneinander abgekoppelt. Folglich gab es für jedes Land eine eigene Auktion - als gäbe es keinen Strom aus den benachbarten Ländern. Und als gäbe es den gemeinsamen Stromaustausch nicht und die Preisfindung aus verschiedenen Angeboten und Nachfragen. Als fände kein Import statt für die Tageszeiten, zu denen die Nachfrage hoch, aber das Angebot niedriger ist.
An diesen Tageszeiten, vor allem morgens, importiert Deutschland dann Strom. Da die verbliebenen Kohlekraftwerke zu den dann üblichen Preisen nicht konkurrenzfähig sind, nehmen sie oft gar nicht erst an den Auktionen teil. Und Sonnenenergie steht morgens noch nicht in ausreichendem Maße bereit. An jenem Tag wurde das richtig teuer. Denn Deutschland hat die dritthöchsten Strompreise in der EU.
Für die meisten Haushalte ist das erstmal kein Problem. Sie haben feste Tarife. Für Haushalte mit flexiblen Stromtarifen wurde das Duschen und Haareföhnen kostspielig. Für sie bedeutete die Panne in Paris zeitweise Kosten bis zu 300 Cent pro KWh. Zum Vergleich: Bei einem Jahresverbrauch von ungefähr 4.000 kWh kostet Strom derzeit im Schnitt 35,91 Cent pro Kilowattstunde, ermittelte das Verbraucherportal Verivox.
Nun geht das Föhnen noch vergleichsweise flott - anders sieht es aus, wenn das Elektroauto noch an der Wallbox hängt, um günstig über Nacht mit Nachtstrom zu laden. Wer da noch am Morgen eine Stunde lang sein E-Auto geladen hat, musste ordentlich draufzahlen: Mit einer niedrigen Ladeleistung von 7,4 kW kostete diese Stunde bereits bis zu 22,20 Euro. Das schnellere Laden mit mehr Leistung war entsprechend teurer – eine Stunde Laden mit 11 kW schlug dann mit 33 Euro zu Buche.
Einige Unternehmen stoppen Produktion
Auch für einige Unternehmen bedeutete das Epex-Problem höhere Kosten. Zwar kaufen Industrieunternehmen, die viel Strom benötigen, den zu festen Preisen in festgelegten Mengen, allein wegen der Planungs- und Versorgungssicherheit. Aber offensichtlich kaufen einige Unternehmen eben auch kurzfristig und in dem Fall teuer. Sie mussten vom Netz gehen, die Produktion stoppen, weil die nicht profitabel gewesen wäre.
Andererseits konnten einige Unternehmen auch von diesen Preiskapriolen profitieren: Nämlich diejenigen, die ungenutzten Strom weiterverkauft haben. Nach Einschätzung von Christof Bauer, der an der TU Darmstadt Energiewirtschaft lehrt, haben die Unternehmen, die zeitweise ihre Anlagen abschalten konnten, auch Vorteile gehabt: "Sie verkaufen den zuvor günstiger eingekauften Strom kurzfristig teurer, weil das wirtschaftlich attraktiver ist als zu produzieren."
Teure Netzentgelte
Ob Industrie oder Verbraucher: In den vergangenen zehn Jahren ist Strom immer teurer geworden. Das meiste davon sind allerdings Steuern, Abgaben und Umlagen. Immer höher wurden auch die Netzentgelte, um das Stromnetz zu betreiben und Strom zu übertragen. Auch hier ist mit weiteren Erhöhungen zu rechnen - denn im Zuge der Einsparungen im Bundeshaushalt hat die Bundesregierung einen geplanten Zuschuss für die Stabilisierung der Netzentgelte von 5,5 Milliarden Euro gestrichen. Die Netzbetreiber erhöhten deshalb die Entgelte.
Zugleich kommt es häufiger vor, dass Strompreise plötzlich negativ sind, manchmal über viele Stunden an aufeinanderfolgenden Tagen. In solchen Zeiten muss der Stromerzeuger an den Abnehmer sogar noch Geld bezahlen, um die Energie loszuwerden. "Früher war das eine Anekdote", sagt Christof Bauer. "Es gab kaum negative Preise, weil sich das Angebot aus Kraftwerken an der Nachfrage orientierte." Mit dem voranschreitenden Ausbau der Erneuerbaren Energien habe sich das geändert: Inzwischen kämen Negativpreise häufiger vor.
Wenn ein Überangebot an Strom herrscht
Negative Preise entstehen, wenn mehr Strom auf den Markt kommt als verbraucht werden kann. Grund sind laut Christof Bauer unter anderem die festen Einspeisevergütungen, die die Übertragungsnetzbetreiber an die Besitzer von Solaranlagen zahlen müssen - unabhängig vom Marktpreis. Die Netzbetreiber müssen den Strom ihrerseits wieder loswerden und verkaufen an der Strombörse, bei wenig Nachfrage auch mit Verlust: "Der Staat trägt ja die Verluste."
Christof Bauer rechnet für dieses Jahr mit Gesamtkosten aus dem EEG von 20 Milliarden Euro, davon dürften deutlich mehr als 2 Mrd. auf die Zeiten zurückgehen, in denen der Strom keinen ökonomischen Wert hat. Denn: "In diesem Jahr werden wir voraussichtlich in rund zehn Prozent aller Stunden Preise von Null und darunter sehen." Seine Conclusio: "Wir müssen anerkennen, dass es nicht finanzierbar ist, die Einspeise-Vergütung aufrechtzuerhalten, selbst wenn der Strom keinen Wert mehr hat."
Mehr Speicherkapazität wird gebraucht
Noch sei das Problem nach Einschätzung von Christof Bauer nicht sehr gravierend, weil Deutschland noch viel Strom aus Erneuerbaren Energien nach Frankreich oder Polen exportieren kann. Doch deren Energiewenden kämen ebenfalls voran. Was nun? Das Problem sei die Speicherung von Strom. "Wir werden unsanft darauf gestoßen, dass man Strom nur zu hohen Kosten speichern kann." Stromspeicher auszubauen hänge von der Akzeptanz und den Kosten ab. "Derzeit ist das sehr teuer."
Eine Studie des Fraunhofer-Instituts für Solare Energiesysteme schätzt den Bedarf an Speicherkapazität bis zum Jahr 2030 auf 100 Gigawattstunden und bis 2045 auf 180 Gigawattstunden. Zum Vergleich: 2023 gab es nach Angaben des Bundesverbands der Solarindustrie deutschlandweit Speicher mit etwa 12 Gigawattstunden. Rechnerisch reicht diese Menge im Schnitt, um den privaten Tagesstromverbrauch von 1,5 Millionen Zwei-Personen-Haushalten zu speichern. Der Verband fordert, dass die Kapazitäten um das 25-fache steigen müssten - ein weiter Weg.
Netto ist Deutschland Stromimporteur
Indessen steigt der Strombedarf. Die Folge: Im vergangenen Jahr hat Deutschland erstmals seit 20 Jahren mehr Strom aus dem Ausland importiert als dorthin ausgeführt. Nach Einschätzung des Instituts der Deutschen Wirtschaft (IW) wird Deutschland in Zukunft Netto-Stromimporteur bleiben. Das hat laut IW auch mit dem Vormarsch der Erneuerbaren Energien zu tun: Ein höherer Anteil erneuerbarer Energie drückt den Preis im jeweiligen Land - und an wind- oder sonnenreichen Tagen ganz besonders.
Stromimporte helfen nach Einschätzung des IW, "die Versorgung hierzulande günstiger, effizienter und klimafreundlicher zu gestalten", weil der gemeinsame europäische Strommarkt dafür sorge, dass Strom vornehmlich dort erzeugt werde, wo er am günstigsten ist. Laut Institut der Deutschen Wirtschaft hat der grenzüberschreitende Handel aber auch Grenzen: Er könne die Stromerzeugung in Deutschland nicht ersetzen, sondern nur ergänzen. Das Fazit der Forscher: "Der schnelle Ausbau der Erneuerbaren Energie sowie von Netzen und Speichern im Inland bleibt damit oberstes Ziel."
Es bleibt teuer
Für die Verbraucher ist ein negativer Strompreis nur kurzfristig positiv - auf mittlere Sicht zahlen auch sie nach Einschätzung von Christof Bauer dafür: "Die Anbieter werden extreme Preisschwankungen in den Verträgen für das nächste Jahr ebenso wie die steigenden Netzentgelte inkludieren - auch in den Festpreisverträgen." Hohe Strompreise bleiben also ein großer Kostenblock in der Haushaltskasse wie in der Unternehmensbilanz.