Infrastrukturprojekte Aus für deutsche Afghanistan-Investitionen
Deutschland hat Milliarden in Infrastrukturprojekte in Afghanistan investiert. Vielen droht nach der Machtübernahme der Taliban nun das Aus. Auch deutsche Firmen ziehen sich zurück.
Afghanistan als "Energie-Drehscheibe in Zentralasien": Das war das Ziel des mehrstufigen Abkommens der Regierung mit dem Unternehmen Siemens Energy. Ein modernes, nachhaltiges und kostengünstiges Energiesystem sollte entwickelt werden. Doch dieses Vorhaben steht nun vor dem Aus - wie so vieles in dem umkämpften Land. "Leider hat sich die Sicherheitslage im Land durch die jüngsten Ereignisse in Kabul weiter verschlechtert. Wir betrachten die Entwicklungen mit Sorge", teilte Siemens Energy mit. Damit scheint das Ende der Abmachung besiegelt.
Dabei sind lediglich 30 Prozent der 37 Millionen Einwohner Afghanistans mit Strom versorgt. Der Zugang zu elektrischer Energie ist nur eines von zahlreichen Infrastrukturproblemen des Landes. Lösen sollten sie in den vergangenen Jahren vor allem Entwicklungshilfen - etwa aus Deutschland. Doch diese Gelder werden vorerst nicht mehr fließen. Als Reaktion auf den Machtwechsel stoppte die Bundesregierung alle Hilfszahlungen.
Für die deutsche Wirtschaft scheint der Stopp solcher Infrastruktur-Projekte wie dem von Siemens Energy verkraftbar. Denn obwohl Afghanistan in den vergangenen 20 Jahren immer wieder im Fokus der Öffentlichkeit stand, konnte sich das Land weder als Standort für private Investoren und Unternehmen noch als Absatzmarkt etablieren.
Keine zentrale Rolle für deutschen Außenhandel
Das zeigen auch die Zahlen: Das Handelsvolumen zwischen Deutschland und Afghanistan bewegte sich im vergangenen Jahr laut dem Deutschen Industrie- und Handelskammertag (DIHK) lediglich in einem hohen zweistelligen Millionenbereich - und damit auf einem ähnlichen Niveau wie mit Togo oder Ruanda. "Die deutsch-afghanischen Wirtschaftsbeziehungen befinden sich auf einem niederschwelligen Niveau", formulierte es DIHK-Außenwirtschaftschef Volker Treier gegenüber tagesschau.de.
Nach Angaben der staatseigenen Gesellschaft Germany Trade & Invest und dem Bundesverband Großhandel, Außenhandel, Dienstleistungen (BGA) lag Afghanistan im Jahr 2020 bei den Exporten mit knapp 70 Millionen Euro auf Rang 130 der 239 Handelspartner Deutschlands. Ausfuhrgüter sind vor allem Autos, Autoteile, Maschinen, Anlagen und Nahrungsmittel. Die Importe sind dagegen mit 15 Millionen Euro kaum messbar.
Auch für Afghanistan spielt der Handel mit Deutschland eine eher untergeordnete Rolle. "Deutschland ist weder unter den Top 5-Abnehmern noch unter den Top 5-Lieferländern", erklärt Katrin Kamin, Leiterin der Trade Task Force beim Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), im Gespräch mit tagesschau.de. Zudem sei das Handelsvolumen seit 2018 stetig geschrumpft.
Politische Unsicherheit hemmt Investitionen
Detaillierte Informationen darüber, ob und wie viele deutsche Unternehmen in Afghanistan produzieren, liegen dem DIHK und auch dem Bundesverband der Deutschen Industrie (BDI) aufgrund des geringen Handelsvolumens nicht vor. "Soweit uns bekannt, ist kein deutsches Unternehmen mit deutschen Mitarbeitern vor Ort vertreten, gleichwohl gibt es afghanische Staatsangehörige, die bei deutschen Unternehmen angestellt sind und sich noch im Land befinden", so DIHK-Außenwirtschaftschef Treier.
Auch über die Investitionen deutscher Firmen gibt es keinen Überblick. In den vergangenen Jahren hatten etwa der Essener Baukonzern Hochtief oder der Münchner Geldschein-Hersteller Giesecke+Devrient Geschäftsbeziehungen mit Afghanistan. Doch mittlerweile zogen sich viele Unternehmen zurück. "Die sicherheitspolitische Situation und generell die politische Unsicherheit in dem Land sind ein großes Problem für Firmen - das hemmt die Investitionsbereitschaft", so Kamin. Unsicherheit sei für wirtschaftliche Aktivität wenig hilfreich.
Katrin Kamin ist Leiterin der Trade Taask Force und Expertin für Geoökonomik am IfW Kiel.
Afghanistan zu 60 Prozent von Geldgebern finanziert
Da die privaten Investitionen vielerorts ausbleiben, ist Afghanistan nach mehr als vier Jahrzehnten Krieg und Konflikten von Hilfszahlungen abhängig. Rund 60 Prozent des Haushalts wurden zuletzt durch internationale Staaten finanziert. Die vier wichtigsten bilateralen Geldgeber von 2015 bis 2019 waren der OECD zufolge Deutschland, USA, Großbritannien und Japan. Für Deutschland war Afghanistan bisher die Nummer eins unter den Empfängerländern von Entwicklungshilfe.
Allein für dieses Jahr waren 250 Millionen Euro veranschlagt. Bis 2024 wollte das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) zusammen mit Geldern aus anderen Ressorts, zum Beispiel für humanitäre Hilfe oder Polizeiausbildung, jährlich bis zu 430 Millionen Euro zur Verfügung stellen.
Seit Beginn des Afghanistan-Einsatzes im Jahr 2001 investierte die Bundesregierung rund 3,5 Milliarden Euro in Afghanistan und liegt über dem Zeitraum bis 2019 auf dem dritten Platz der größten Geberländer. 50 Millionen Euro zahlte Deutschland für den Ausbau eines alten Landeplatzes zu einem internationalen Flughafen am Bundeswehr-Stützpunkt Masar-i-Scharif, der die Verbindung zu Europa herstellen und für Geschäftsverkehr sorgen sollte. Zuletzt wurde der Airport vor allem für die Flucht genutzt und befindet sich seit dem Wochenende unter der Kontrolle der Taliban.
Infrastruktur-Projekte der GIZ und KfW
Auch andere Projekte sollten das Land voranbringen und die Wirtschaft ankurbeln. So seien etwa Hunderte Schulen für Mädchen und Jungen sowie Dutzende Krankenhäuser und Gesundheitszentren errichtet worden, sagt Kamin. Das Geld sei überwiegend in die Infrastruktur geflossen. "Knapp 1500 Kilometer Straßen und zahlreiche Brücken wurden neu gebaut und in Stand gehalten."
Bis vor Kurzem waren noch mehr als 1000 Beschäftigte der für die staatliche Entwicklungshilfe zuständigen Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit (GIZ) vor Ort. Die GIZ unterstützt Afghanistan im Bereich humanitäre Hilfe und Entwicklung seit 2002. Alle deutschen und internationalen Mitarbeiter der GIZ haben nach Angaben des Ministeriums sicher das Land verlassen. Ob noch einzelne Projekte vor Ort fortgeführt werden können, ist unklar.
Auch die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) hat ein Portfolio von rund 1,2 Milliarden Euro mit etwa 30 Projekten in Afghanistan. Die Kredite wurden über afghanische Ministerien im Rahmen von Ausschreibungen auch an deutsche Firmen vergeben. So fördert die Staatsbank etwa mit der Stuttgarter Ingenieurberatung Fichtner die Wasserversorgung in Kabul für knapp 70 Millionen Euro. Gerade einmal 16 Prozent der afghanischen Haushalte werden von der staatlichen Wasserbehörde versorgt. Die KfW vergab zudem 74 Millionen Euro für die Verbesserung des Hochspannungsnetzes im Norden des Landes.
Entwicklungshilfe gestoppt
Bereits in der vergangenen Woche hatte Außenminister Heiko Maas den Stopp der Hilfszahlungen angekündigt. Afghanistan werde "keinen Cent mehr" aus Deutschland erhalten, wenn die Taliban das Land beherrschten und die Scharia einführten. Nach der Machtübernahme der militant-islamistischen Taliban setzte die Bundesregierung die staatliche Entwicklungshilfe für das Land nun offiziell aus, wie Entwicklungsminister Gerd Müller erklärte.
Für Afghanistan könnte das gravierende Folgen haben. Bereits vor der Corona-Krise war einer von vier Erwerbsfähigen arbeitslos. Das Land ist eines der ärmsten Länder Asiens. Laut der Weltbank leben mehr als 50 Prozent der Bevölkerung unterhalb der Armutsgrenze. Schätzungen zufolge ist das Bruttoinlandsprodukt während der Pandemie im Jahr 2020 weiter geschrumpft - um fünf Prozent. Das Ausbleiben der Hilfsgelder dürfte die Lage nochmals verschärfen, meint auch Kamin.
"Natürlich ist es schwierig, wenn so kurzfristig Gelder abgezogen werden", so die Geoökonomie-Expertin. Neben fehlenden neuen Projekten könne auch die aufgebaute Infrastruktur wieder zerfallen, wenn sie nicht mehr gepflegt werde. Allerdings gebe es auch andere Akteure, die den Abzug der USA begrüßen und darauf hoffen, Zugriff auf die begehrten Rohstoffe Afghanistans zu bekommen. Einige Mächte hätten keine Probleme damit, mit den Taliban zu kooperieren.
Nichtsdestotrotz könnte die Krise auch für Deutschland eine nachhaltige Gefahr sein. "Sollte die Terrorgefahr steigen, kann dies schnell zu einer Destabilisierung der Region führen, was wiederum den Welthandel zusätzlich belasten würde", sagte der Präsident des Bundesverbands Großhandel, Außenhandel und Dienstleistungen (BGA), Anton Börner, dem "Handelsblatt". Das träfe schließlich auch die Exportnation substanziell.