Hauptsitz der Europäischen Zentralbank (EZB) in Frankfurt

Europäische Zentralbank Welche Risiken die Zinswende birgt

Stand: 28.05.2024 08:25 Uhr

Noch ist es nicht offiziell, aber die Erwartungen sind hoch: Anfang Juni dürfte die EZB seit Langem wieder die Leitzinsen senken. Doch was bedeutet das für die Verbraucher? Und ist die Inflation schon gebannt?

Eine Analyse von Steffen Clement, HR

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Zinswende noch nicht einmal offiziell beschlossen, aber bei Familienvater Daniel Astor aus dem hessischen Großen-Buseck ist die Botschaft schon angekommen. Als "zweischneidige Sache" empfindet der 43-Jährige die Aussicht auf sinkende Zinsen.

Der Abwassermeister im öffentlichen Dienst ahnt die persönlichen Folgen: "Als Sparer ist es natürlich schade, wenn es weniger Zinsen gibt", so Astor. Doch zugleich freut er sich über niedrigere Zinsen. "Für meine geplante Photovoltaik-Anlage brauche ich einen Kredit - je günstiger, desto besser."

Zinswende gilt als sicher

Es gilt als sicher, dass die EZB auf ihrer nächsten Sitzung am 6. Juni die Zinsen senken wird. Doch so direkt formuliert das kein Notenbanker. EZB-Direktorin Isabel Schnabel, die über die Zinshöhe mitentscheidet, formuliert es im Interview mit dem ARD-Wirtschaftsmagazin plusminus so: "Wenn die Inflationsprognosen und die neuen Daten unsere bisherige Sicht bestätigen, dann ist eine Zinssenkung im Juni wahrscheinlich."

Beobachter der EZB wie Volker Wieland von der Frankfurter Goethe-Universität haben schon jetzt keine Zweifel mehr, dass die Zinswende beginnt. "Wenn das jetzt alle erwarten, dann ist das bei den Zinsen schon eingepreist."

Spannung bei künftigen Zinsschritten

Wie die "Erwartung der Märkte" funktioniert, lässt sich für Sparzins und Kreditzins in konkreten Zahlen ablesen. Weil die Zinswende in den vergangenen Monaten immer wahrscheinlicher wurde, gibt es statt 3,5 Prozent nur noch 3,3 Prozent fürs Guthaben. Ähnlich die Entwicklung bei Immobilienkrediten: Statt 4,4 Prozent sind aktuell nur noch 3,7 Prozent für ein typisches Darlehen fällig. Fällt nun die EZB-Entscheidung wie erwartet, "dann dürfte sich eigentlich nichts ändern", so EZB-Direktorin Schnabel mit der gebotenen Vorsicht.

Genau deshalb kann Familienvater Astor entspannt in die nähere Zukunft blicken. Sowohl bei der Zinshöhe für sein Tagesgeldkonto wie auch für den geplanten Kredit für die Photovoltaik-Anlage wird sich zunächst kaum was ändern. "Aber wenn die EZB bei der Zinswende etwas über weitere Zinsschritte im Jahresverlauf sagt, dann wird das die Zinsen beeinflussen", so Wirtschaftsexperte Wieland.

Inflationsrate fast auf EZB-Ziel

Die Zinswende ist nur möglich, weil die Inflationsrate immer weiter zurückgeht. Statt der Rekordwerte fast im zweistelligen Bereich liegt die Teuerungsrate nun mit 2,2 Prozent schon sehr nahe dem EZB-Inflationsziel von 2 Prozent. Die Zinserhöhungspille hat sich als wirksam erwiesen und hatte zugleich viel weniger Nebenwirkungen als befürchtet, konstatiert der frühere Wirtschaftsweise Wieland.

Zwar habe die Zinserhöhung beispielsweise für die Immobilienbranche fast zu einem "Fullstop" geführt. Doch der kritische Wegbegleiter der EZB zieht eine positive Bilanz für die Notenbank-Politik: "Insgesamt sehen wir jetzt in Europa keine so großen Bremsspuren, dass wir jetzt in eine tiefe Rezession gestürzt wären."

Nicht zu früh feiern, ...

Eine leichte Belebung der Wirtschaft im Euroraum bei einem gleichzeitigen Rückgang der Inflation lässt auch die EZB positiv in die Zukunft blicken. EZB-Direktorin Schnabel betont: "Insofern kann man gewisse Hoffnung haben, dass es uns gelingen wird, zur Preisstabilität zurückzukehren, ohne dass es zu einer Rezession kommt."

Zugleich sollte der Sieg über die Inflation aus Sicht der Notenbank nicht verfrüht gefeiert werden. Durch die Rekordinflation haben die Beschäftigten an Kaufkraft verloren. Diesen Verlust wollen die Gewerkschaften mit hohen Lohnabschlüssen wieder ausgleichen, was die Inflation wieder antreiben könnte.

... denn es droht eine Lohn-Preis-Spirale

Anfang Juni verhandelt beispielsweise die IG Bergbau Chemie Energie (IG BCE) weiter über die Forderung von sieben Prozent mehr für die fast 600.000 Beschäftigten in der Chemiebranche. Man solle sich ein bisschen modernisieren in der Debatte über die Wirkung von Lohn auf die Inflation, rät der Vorsitzender der IG BCE, Michael Vassiliadis. "Die Wirkung wird aus meiner Sicht völlig überbewertet."

Die EZB hat die Lohnentwicklung genau im Blick und will die gefürchtete Lohn-Preis-Spirale auf jeden Fall vermeiden. EZB-Direktorin Schnabel mahnt: "In der aktuellen Situation sehen wir, dass die Löhne kräftig angestiegen sind, dass sich aber das Lohnwachstum allmählich verlangsamt." Wenn der Trend anhält, dann liegt die EZB mit der anstehenden Zinssenkung genau richtig.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die ARD in der Sendung "plusminus" am 22. Mai 2024 um 21:45 Uhr.