Stärkster Einbruch seit 2021 Türkische Lira fällt auf Rekordtief
Die Talfahrt der türkischen Lira geht weiter. Dabei hat der türkische Präsident Erdogan gerade einen neuen Finanzminister eingesetzt. Simsek kündigte eine konventionellere Wirtschaftspolitik an.
Der freie Fall der türkischen Lira setzt sich fort: Gegenüber dem US-Dollar und dem Euro fiel die Währung heute um sieben Prozent. Das ist der stärkste Tageseinbruch seit 2021. Für einen Dollar mussten 23,041 Lira und für einen Euro 24,618 Lira bezahlt werden - so viel wie noch nie.
Grund für die Talfahrt sind Spekulationen über nachlassende Eingriffe der türkischen Notenbank am Devisenmarkt. Händler berichteten, dass die staatlichen Banken ihre Stützungskäufe, also den Ankauf von Lira und den Verkauf von Dollar, eingestellt haben.
Künstliche Lira-Stützung vor Wahlen
Experten zufolge hatte die Notenbank die Lira insbesondere vor der Präsidentschaftswahl aufgrund des politischen Drucks künstlich gestützt, um ein positiveres Bild von der wirtschaftlichen Lage zu zeichnen.
Die Zentralbank hat allein in diesem Jahr rund 24 Milliarden US-Dollar an Devisenreserven verbrannt, teilweise in dem Versuch, die Lira anzukurbeln. Diese Strategie hatte aber auch das Handelsdefizit des Landes in die Höhe getrieben.
Neues Wirtschaftsteam unter Erdoğan
Die Währung der Türkei steht seit Jahren unter Druck, die Wirtschaft des Landes schwächelt, die Inflation ist hoch. Zuletzt lag die Teuerung trotz eines Rückgangs noch bei knapp 40 Prozent. In der Spitze wurden im vergangenen Jahr bis zu 85 Prozent markiert.
Nun will Präsident Recep Tayyip Erdoğan mit einem neuen Wirtschaftsteam Vertrauen an den Finanzmärkten zurückgewinnen. So berief er den international angesehenen Experten Mehmet Simsek als Finanzminister ins neue Kabinett. Cevdet Yilmaz wurde als Vizepräsident berufen - er gilt ebenfalls als Vertreter einer traditionellen Wirtschaftspolitik.
Simsek, der bereits 2009 und 2018 Finanzminister war, hat versprochen, nach Jahren der Zinssenkungen und unkonventionellen Maßnahmen zur Stützung der Währung zu einer "rationaleren" Wirtschaftspolitik in der Türkei zurückzukehren.
Investoren bleiben skeptisch
Analysten zufolge waren die Investoren skeptisch, ob die Einberufung von Simsek die Lira stabilisiert. "Ein Finanzminister macht noch keinen geldpolitischen Sommer", sagte Commerzbank-Experte Ulrich Leuchtmann. "Die Amtsvergabe ist eine vielleicht notwendige, aber keinesfalls hinreichende Bedingung für einen tatsächlichen dauerhaften U-Turn in der Geldpolitik."
Im besten Fall könnten kurzfristige Zinserhöhungen erzielt werden, aber eine langfristige Ausrichtung auf eine stabilitätsorientierte Geldpolitik sei fraglich.
Der deutliche Rückgang der Lira in dieser Woche zeigt jedoch, dass Anleger nach Erdoğans Wahlsieg mit konventionelleren Maßnahmen rechnen. Einige Analysten gehen davon aus, dass Erdoğan auch einen neuen Zentralbankchef mit einem eher orthodoxen Wirtschaftsansatz benennen wird.
Korrektur statt Krise?
Trotz des starken Einbruchs der Lira halten viele Experten die türkische Währung für überbewertet und rechnen mit einem weiteren Rückgang. Neben der hohen Inflation und dem Rückgang der Devisenreserven wird dies auch auf das hohe Leistungsbilanzdefizit zurückgeführt - das bedeutet, dass die Türkei deutlich mehr Produkte und Dienstleistungen aus dem Ausland importiert als dorthin verkauft.
Ein schwächerer Wechselkurs könnte dazu führen, dass weniger im Ausland gekauft wird. Gleichzeitig könnten die Exporte steigen, weil die Produkte für das Ausland billiger würden. Die Folge: Das Leistungsdefizit könnte sich verringern und die Währung sich stabilisieren.
Murat Gülkan, Vorstandsvorsitzender von OMG Capital Advisors in Istanbul, sagte der "Financial Times", dass die Währung angesichts der "hohen Inflation anfängt, einen Sinn zu ergeben“.
Goldman Sachs korrigiert Prognose für Lira-Wechselkurs
Goldman Sachs hat seine Prognose für den Wechselkurs der türkischen Lira gegenüber dem US-Dollar am Wochenende korrigiert und erwartet in den nächsten zwölf Monaten einen Rückgang auf 28 Lira pro Dollar. Zuvor hatte die Bank 22 Lira pro Dollar prognostiziert. Der Grund für die Anpassung liege am zunehmenden Druck auf die Lira.
Trotz des deutlichen Lira-Falls deuten andere Indikatoren auf eine Erleichterung der Anleger auf den möglichen Kurswechsel hin: Die Preise für Dollar-Anleihen der Türkei sind gestiegen, während die Kosten für die Absicherung gegen einen Zahlungsausfall deutlich gesunken sind.
Seit Jahresbeginn ist die Lira gegenüber dem Dollar um rund 20 Prozent eingebröckelt. Auch 2021 und 2022 stürzte sie um 44 beziehungsweise 30 Prozent ab. Die schwache Landeswährung macht Importe, auf die das rohstoffarme Land angewiesen ist, merklich teurer.
Mit Informationen von Emal Atif, ARD-Finanzredaktion