Ein toter Fuchs liegt auf einer Straße

Sommerzeit Zeitumstellung führt zu mehr Wildunfällen

Stand: 31.03.2024 13:25 Uhr

Etwa alle 90 Sekunden stirbt ein Wildtier auf deutschen Straßen. Nach der Zeitumstellung steigen die Zahlen sogar noch. Um Wildunfälle zu verhindern, hilft vor allem eine Sache.

Von Julia Nestlen und Axel Wagner, SWR

Zwei deutliche Spitzen gibt es bei der Zahl der Wildtierunfälle im Frühling und im Herbst: Das zeigen die Daten des Fraunhofer-Instituts für Verkehrsforschung (IVI) in Dresden. Das Institut sammelt in seiner Datenbank Polizeimeldungen und Register zu Tausenden Wildunfällen der vergangenen zehn Jahre.

"Da ist schon sehr deutlich zu sehen, dass gerade hier in dieser Frühspitze sehr viel mehr Unfälle in dieser Zeit zwischen sechs und sieben Uhr passieren und sich diese Spitze am Nachmittag abflacht", sagt Maria Pohle vom Fraunhofer-IVI. An den Tagen nach der Zeitumstellung verzeichnet die Datenerhebung des Fraunhofer-Instituts bis zu zehn Prozent mehr Wildtierunfälle, insbesondere im Frühjahr.

Die Erklärung: Wildtiere wie Rehe richten sich auf ihrem Weg nach der Dämmerungszeit. Kommen aber Autos im Berufsverkehr wegen der Zeitumstellung plötzlich früher oder später als sonst, werden die Tiere überrascht. Auf einmal sind mehr Autos da als sonst, und der Rhythmus der Tiere wird gestört. Durch die Zeitumstellung verlängert sich außerdem der Zeitraum, in dem Rushhour und Dämmerung zusammenfallen.

Bei einigen Menschen dauert es zudem eine Weile, bis sich der Schlaf-Wach-Rhythmus auf die Sommerzeit umgestellt hat. Wer aufgrund der Zeitumstellung müde ins Auto steigt, kann sich womöglich schlechter konzentrieren und langsamer reagieren, wenn Wild die Straße quert.

Einheitliche Datenerhebung für Wildtierunfälle fehlt

Welche Ausmaße Wildunfälle über das ganze Jahr haben, ist unbekannt. Denn es gibt kaum Zahlen darüber, wie viele Tiere tatsächlich im Verkehr sterben. Das Statistische Bundesamt kommt bei Unfällen mit Wildbeteiligung auf rund 2.500 verletzte Menschen und zehn Todesopfer pro Jahr. Doch hier werden nur die Unfälle gezählt, bei denen Menschen zu Schaden kamen - nicht aber Unfälle, bei denen nur Tiere verletzt oder getötet wurden.

Es gibt viele Indizien, dass die Zahl des Statistischen Bundesamtes deutlich zu niedrig ist. Laut Deutschem Jagdverband gibt es jährlich Millionen tierischer Verkehrsopfer, ein Drittel davon Rehe. Aber auch kleinere Wildtiere kommen zu Tode, die amtlich nicht gezählt werden.

Das bestätigt auch das Tierfundkataster mit Meldungen aus der Bevölkerung: Das Portal geht von mehreren Millionen statistisch nicht berücksichtigten Säugetieren aus, zu denen noch Reptilien, Amphibien oder Vögel hinzukommen. Auch Autoversicherungen sprechen von einer hohen Dunkelziffer.

Wissenschaftliche Studien ergeben, dass in Europa insgesamt fast 30 Millionen Säugetiere und rund 200 Millionen Vögel pro Jahr bei Unfällen mit Fahrzeugen sterben. Dazu kommt, dass sich seltene und schützenswerte Tierarten wie der Luchs in Deutschland nicht ausbreiten können, weil die Jungtiere sehr oft noch vor ihrer Geschlechtsreife totgefahren werden.

Luchs

Junge Luchse werden oft schon vor ihrer Geschlechtsreife Opfer von Wildunfällen.

Erstmals Dunkelziffer genauer bestimmt

Für die SWR-Wissenschaftsredaktion haben die Forschenden des Fraunhofer-Instituts für Verkehrsforschung auch die Unfälle ohne Personenschaden hinzugerechnet, um die Dunkelziffer von Wildtierunfällen im Sinne des Jagdrechts genauer bestimmen zu können. Das Ergebnis sind bis zu 250.000 Wildunfälle. Dabei sind Kleintiere wie Igel, Marder oder Vögel nicht mitgezählt.

"Das bedeutet in der amtlichen Statistik der Bundesrepublik Deutschland ist der Wildunfall extrem unterrepräsentiert, weil die Dunkelziffer bis zu hundertmal mehr sein kann", so Christian Erbsmehl vom Fraunhofer-IVI. Werden kleinere Wildtiere mit einbezogen, lässt sich laut Fachleuten von einem Wildunfall alle 90 Sekunden sprechen.

Zunahme von Wildunfällen durch Zeitumstellung

L. Schmidt/U. Gradwohl, SWR, tagesschau, 30.03.2024 12:00 Uhr

Grünbrücken und Reflektoren helfen nur eingeschränkt

Ansätze zur Prävention von Wildunfällen gibt es einige. In Deutschland werden etwa neue Straßen mit Querungshilfen, also Grünbrücken, gebaut, damit Tiere sicher über die Straße kommen. Allerdings kann nicht jede Straße mit einer Grünbrücke ausgestattet werden und eine solche Brücke ist gerade mal fünfzig Meter breit - eine Straße erstreckt sich aber über viele Kilometer.

Standard sind auch Wildwarn-Reflektoren am Straßenrand. Sie sollen mit einem "bedrohlichem blauen Lichtband" nachts die Tiere verschrecken. Doch Tests der Bundesanstalt für Straßenwesen zeigen: Für Menschen im Auto sind die Reflektoren zwar gut sichtbar, sie strahlen jedoch kaum Licht zur Seite ab und ein Tier nimmt sehr wahrscheinlich kaum etwas davon wahr.

Grünbrücke über eine Bundesstraße

Neugebaute Straßen bekommen teils Querungshilfen für Wildtiere.

Assistenzsysteme arbeiten unzuverlässig

Sogenannte automatische Wildwarnanlagen in Form von Tempolimit-Leuchtschildern warnen in Echtzeit, sobald die Kameras ein oder mehrere Tiere entdeckt haben. In einer Bewertungsstudie des Wildtierinstituts der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Baden-Württemberg (FVA), zeigt sich jedoch auch hier, dass der Effekt fraglich ist.

"Wir haben uns das über ein Jahr lang angeschaut und ein Knackpunkt ist, dass die Autofahrer und Autofahrerinnen die Geschwindigkeit nicht richtig reduzieren", sagt Michelle Deis vom FVA-Wildtierinstitut in Freiburg. In ganz Deutschland gibt es lediglich zehn solcher Wildwarn-Anlagen, häufig mit technischen Mängeln wie Fehlauslösungen der Kameras, etwa durch Spinnweben vor der Linse.

"Wir wollen immer Präventionsmaßnahmen oder technische Lösungen, die woanders ansetzen", sagt Deis. Die Bereitschaft, das eigene Verhalten zu ändern, sei jedoch gering. Aber: "Das wäre die effektivste und einfachste Stellschraube. Wir fahren einfach langsamer, dann haben wir weniger Wildunfälle", ergänzt Deis.

Mit richtigem Verhalten Wildunfälle verhindern

Langsamer fahren und so ein erfolgreiches Bremsen wahrscheinlicher machen, wäre eine wirkungsvolle und einfache Präventionsmaßnahme, sind sich Fachleute einig. Auch ein allgemeines Tempolimit von 80 km/h auf Landstraßen könne helfen. Bei Tempo 80 beträgt der Bremsweg eines Pkw rund 60 Meter, bei Tempo 100 ist er rund ein Drittel länger.

Wenn ein Zusammenstoß mit einem Tier unausweichlich ist, wird empfohlen: Mit voller Kraft bremsen und das Steuer gerade halten, nicht ausweichen.

Im Falle einer Kollision soll die Unfallstelle abgesichert und die Polizei oder der örtliche Jagdpächter benachrichtigt werden. Verletzte Tiere sollten nicht angefasst und nicht vom Unfallort entfernt werden. Allerdings sollte die Stelle markiert werden, damit verletzte Tiere gesucht werden können. Wildtiere anzufahren ist nicht strafbar, Fahrerflucht zu begehen und einen Wildtierunfall nicht zu melden, allerdings schon.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete die tagesschau am 30. März 2024 um 12:00 Uhr.