Corona, Grippe, RSV "Daran müssen wir uns jetzt gewöhnen"
Die Infektionswelle in diesem Winter ist angelaufen. Es sind auch wieder viele Corona-Erkrankungen dabei. Intensivmediziner Karagiannidis sagt im Interview, das Virus werde bleiben - und die Saison prägen.
tagesschau.de: Ist diese Infektionswelle heftiger als die im vergangenen Winter - oder kommt uns das nur so vor?
Christian Karagiannidis: Wir haben in diesem Jahr eine neue Realität, an die wir insbesondere in den 2010er-Jahren so nicht gewöhnt waren. Wir hatten früher immer diese RSV- Welle, insbesondere bei den Kindern und bei den chronisch Lungenerkrankten und danach diese starke Grippewelle, die in ihrer Ausprägung von Jahr zu Jahr immer sehr stark schwankt. Und seit der Corona-Pandemie ist es so, dass ein drittes Virus dazugekommen ist, das ganz offensichtlich am Beginn der Saison steht.
Das merkt jeder um sich herum, wir haben unglaublich viele Corona-Erkrankte, die zwar nicht so schwer erkranken, dass viele davon auf die Intensivstation kommen, aber im Freundes- und Bekanntenkreis, im Arbeitsleben erlebt man relativ viele Ausfälle. Wir sehen das auch im Abwasser-Monitoring mit sehr hohen Zahlen, die wir im Moment haben. Da ist ein neues Virus, das bleiben und die Saison prägen wird. Und das ist einfach neu im Vergleich zu früher. Und daran müssen wir uns jetzt gewöhnen.
Erste Grippeerkrankungen sind schon da
tagesschau.de: Welches Virus macht Ihnen denn im Moment am meisten Sorgen - RSV, Grippe oder Corona?
Karagiannidis: Bei uns in der Klinik in Köln haben wir in den vergangenen Wochen relativ viele Corona-Patienten gesehen, die eher auf der Normalstation gelandet sind, da waren viele hochaltrige Patienten dabei, bei denen vielleicht die Impfung im Herbst gefehlt hat.
Wir haben davon aber eher wenige auf der Intensivstation gesehen. Wir haben vereinzelte Fälle mit RSV gesehen - davon sind die Kinderkliniken in Deutschland natürlich wesentlich stärker betroffen als unsere Klinik für Erwachsenenmedizin. Und wir haben jetzt die ersten Grippefälle. Es wird jetzt stark darauf ankommen, wie sich die Grippewelle nach Weihnachten entwickelt.
"Momentan fühlt sich die Zahl der Erkrankten sehr viel an"
tagesschau.de: Es scheint so zu sein, dass die Menschen jetzt länger krank sind. Ist das eine Infektion der Atemwege, die länger dauert, oder sind das ganz viele verschiedene Infektionen hintereinander?
Karagiannidis: Früher war es so, dass mache Patienten nach einer Virusinfektion noch eine bakterielle Entzündung oben drauf gesetzt haben, als Folgeerkrankung. Wenn, wie jetzt, viele in der Bevölkerung infiziert sind, dann hat man natürlich auch einen gewissen Prozentsatz, der noch mal eine zweite Welle mit einer bakteriellen Erkrankung bekommt.
Momentan fühlt sich die Zahl der Erkrankten sehr hoch an. Ob das wirklich so ist oder nicht, müssen uns später Daten zeigen. Dafür brauchen wir in der Wissenschaft dringend einen Zugang zu den Daten, damit wir genau analysieren können: Stimmt es, dass wir mehr Infektionen haben oder ist das wirklich eher nur ein Gefühl, das durch die Pandemie jetzt ausgelöst worden ist?
Vermehrt Lungenentzündungen mit dem Virus
tagesschau.de: Wenn wir jetzt auf die Infektion noch mal genauer schauen - wir wissen ja immer noch nicht genau, was Corona im Körper anstellt. Es geht auf die Atemwege, auch auf die Gefäße. Was macht eine Corona-Infektion im Körper?
Karagiannidis: Wir sehen bei den Patienten in diesem Herbst zwei, drei klassische Symptome. Einmal gibt es eine sehr starke Abgeschlagenheit, und viele berichten über wirklich starke Kopfschmerzen. Gerade ältere Patienten neigen dazu, dass sie zu wenig Flüssigkeit zu sich nehmen und dann deswegen ins Krankenhaus müssen. Wir sehen in diesem Winter auch das erste Mal wieder vermehrt Lungenentzündungen mit dem Virus, die man auch im Röntgenbild sieht. Aber natürlich nicht so dramatisch, wie wir es in der Pandemie hatten.
Und dann haben wir eine Reihe von Folgeerkrankungen, die durch Infektionen ausgelöst werden. Aber ich glaube nicht, dass es im Moment stärker ist als das, was wir in der Pandemie gesehen haben. Auffällig finde ich, dass einige Patienten vermehrt über Durchfall klagen. Das ist, glaube ich, etwas anders als in den Vorwellen, aber ansonsten ist der Unterschied nicht so groß.
Auch junge Menschen sollten sich vor Infektion schützen
tagesschau.de: Trotzdem sollten sich auch junge und gesunde Menschen vor einer Infektion weiterhin schützen, durch Impfungen, durch Masken, oder?
Karagiannidis: Das absolut Essenzielle ist, dass wir eine gute Immunabwehr aufbauen. Das schaffen wir durch Impfungen - im besten Fall sind es drei Impfungen, und wenn man dann zusätzlich noch irgendwann eine Infektion durchgemacht hat, ist das Immunsystem in der Lage, die Infektion mit am besten abzuwehren. So zeigen das zumindest die Daten.
Aber ich sollte mich als junger Mensch auch soweit schützen, wenn es irgendwie geht, dass ich versuche, die dritte, vierte, fünfte Infektion zu vermeiden. Wobei uns im Moment auch da wieder die Daten fehlen, um zu wissen, ob diese Folgeinfektionen genauso schlimm sind, wie die erste Infektion, besonders was das Long-Covid-Risiko betrifft. Deswegen ist es wirklich wichtig, dass wir nach dieser Welle jetzt gucken, was passiert wirklich mit den Patientinnen und Patienten?
Krankenkassendaten auswerten
tagesschau.de: Wie kann man diesen Datensatz aufbauen?
Karagiannidis: Wir hatten gerade in der letzten Woche im Bundestag die Verabschiedung der Digitalgesetze. Für uns ist ein wichtiger Baustein, dass wir wissenschaftlich Zugang dazu bekommen, insbesondere zu den Krankenkassendaten, um zu sehen: Wie viele sind in Wirklichkeit erkrankt? Wie viele davon haben Folgeerkrankungen? Wenn man diese Daten verknüpft, kann man sehr gut erkennen, was daraus folgt.
Wir sehen zum Beispiel auch, wie viele im Arbeitsleben ausgefallen sind. Das sind Daten, die in Deutschland eigentlich alle vorliegen, wir hatten nur in der Vergangenheit unglaubliche Schwierigkeiten, diese zusammenzuführen und zu analysieren. Und ich glaube, mithilfe der Digitalgesetze mit dem Datennutzungsgesetz kommen wir das nächste Jahr das erste Mal in die Situation, dass wir in Deutschland auch solche Daten auswerten können.
tagesschau.de: Was versprechen Sie sich dann als Mediziner davon?
Karagiannidis: Wir müssen die Frage klären: Wie gehen wir jetzt weiter mit den Infektionen um? Am Anfang der Pandemie stand die Vermeidung der Infektion ganz klar im Vordergrund. Auch die Impfung war sehr weit im Vordergrund. Jetzt, nach der Pandemie, merken wir aber, dass relativ viele Infektionswellen - und gerade die jetzige ist ja relativ stark - durch die Bevölkerung laufen. Und wir merken auch alle, dass wir Schwierigkeiten haben, uns davor zu schützen.
Es gibt vereinzelte immunsupprimierte Patienten oder chronisch Lungenkranke, die Maske tragen, die versuchen, das Risiko zu reduzieren. Aber wir merken alle im Alltag, dass uns das nicht wirklich gelingt. Deswegen ist ganz entscheidend, dass wir in die Daten schauen, und verstehen: Was ist mit diesen vielen Infektionswellen, die auch in den kommenden Jahre noch kommen werden? Führen die wirklich dazu, dass es immer schlimmer wird? Oder hat der Körper irgendwie einen Mechanismus entwickelt, dass er mit diesen Mehrfachinfektionen auch umgeht? Das ist für mich die Hauptfragestellung der nächsten Jahre.
Das Gespräch führte Anja Martini, Wissenschaftsredakteurin der tagesschau. Es wurde für die schriftliche Fassung redigiert und gekürzt.