Studienergebnisse Neue Ursprungstheorie zum Affenpocken-Ausbruch
Warum konnte sich Mpox (früher Affenpocken) 2022 plötzlich so ausbreiten? Eine neue Analyse zeigt nun: Die Virusvariante ist viel früher entstanden als bisher gedacht.
Plötzlich sind die Fallzahlen in die Höhe geschnellt. Im Mai 2022 haben Fachleute über den plötzlichen Mpox-Ausbruch gerätselt, früher als Affenpocken bekannt. Normalerweise führt das Virus nur in Zentral- und Westafrika zu regelmäßigen, kleineren Ausbrüchen. Mittlerweile weiß man: Das Virus hat sich im Erbgut an 42 Stellen verändert - ungewöhnlich viel für das Virus.
"Da war klar, dass da irgendein Mutationsprozess am Gange ist, den man sonst typischerweise nicht in diesen Viren sieht", sagt Professor Richard Neher von der Universität Basel im SWR. Neher ist einer der Hauptautoren der neuen Studie "Was ist mit dem Virus genau passiert?" in der Fachzeitschrift "Science". Das internationale Forschungsteam schaut vor allem auf die genetischen Veränderungen des Virus, um die Fragen zu untersuchen.
Infektion durch Nagetiere unwahrscheinlich
Mit den Genanalysen wird auch bestimmt, wie lange die neue Virusvariante schon im Menschen lebt - eine sehr entscheidende Frage. Denn eigentlich leben die Viren vor allem in Nagetieren. Sie sind das natürliche Reservoir der Tiere. Weil sich auch Affen anstecken können und das Virus in Affen zum ersten Mal gefunden wurde, sind die Viren und die Krankheit auch lange als Affenpocken bekannt.
Menschen stecken sich aber in der Regel bei Nagetieren an. Frühere Ausbrüche beim Menschen sind daher immer mit Infektionen von Nagetieren verknüpft worden. Hat sich also Anfang 2022 ein Mensch mit dem stark veränderten Virus von einem Nagetier angesteckt? Oder hat sich das Virus innerhalb von weniger Monat plötzlich sehr schnell auf den Menschen angepasst? Beides ist sehr unwahrscheinlich - solch starke Veränderungen des Virus sind in so kurzer Zeit bisher nie beobachtet worden.
Menschliches Enzym hat das Virus verändert
Ein genauer Blick auf das Erbgut der neuen Virusvariante liefert einen wichtigen Hinweis. Die Analysen zeigen ein verdächtiges Muster von Mutationen in der DNA. Die Veränderungen im Erbgut treten immer an zwei aufeinanderfolgenden Stellen auf und diese Veränderungen sind für ein Enzym des menschlichen Immunsystems typisch. "Was wir hier sehen, sind quasi die Narben des menschlichen Immunsystems", sagt Biophysiker Neher. Es geht um das sogenannte APOPEC3-Enzym. Das Enzym soll eigentlich Viren zerstören, doch manchmal überleben Viren die Enzym-Attacke. Genau diese Spuren hat das Forschungsteam gefunden.
Warum das Virus wohl schon länger im Menschen lebt
Wegen der typischen Muster im Erbgut muss die neue Virusvariante im Menschen entstanden sein. Doch wie schnell kann so eine neue Variante entstehen? Wann ist die Virusvariante entstanden, die ab Mai 2022 für den ungewöhnlich starken Ausbruch verantwortlich ist? Das Forschungsteam schätzt, dass maximal sechs Mutationen pro Jahr zu erwarten sind.
Weil die neue Virusvariante aber 42 Veränderungen vorzuweisen hat, muss sie sich schon seit sechs oder vielleicht auch sieben Jahren im Menschen befinden. "Das lässt sich aus den evolutionären Mustern ablesen", sagt Biophysiker Neher. Der Ursprung für den Ausbruch liegt also schon im Jahr 2016. Die typischen Veränderungen und die hohe Mutationsrate sind laut der Studie also die Folge einer anhaltenden Auseinandersetzung mit dem menschlichen Immunsystem.
Warum hat sich das Virus 2022 plötzlich ausgebreitet?
Das Virus zirkuliert also schon seit Jahren im Menschen, warum hat der Ausbruch dann aber erst im Mai 2022 begonnen? Ein Grund sieht Neher in den vielen Reisen, die 2022 nach den Reisebeschränkungen wegen der Corona-Pandemie wieder möglich waren.
Die Übertragung der Affenpockenviren geschieht zum einen über große Tröpfchen in der Atemluft. Das ist vor allem riskant für Menschen, die mit Infizierten zusammenleben oder diese medizinisch versorgen.
Außerdem sind die infizierten Pusteln auf der Haut ansteckend. Wer damit oder mit infiziertem Material in Kontakt kommt, kann sich anstecken. Laut Robert Koch-Institut ist auch eine sexuelle Übertragung möglich. Das Virus konnte sich bei homosexuellen Männern besonders stark verbreiten. Aber auch Ansteckungen bei Kindern sind bekannt.
Bisher kommt es selten zu schweren Verläufen
Noch ist unklar, ob die Virusvariante auch ansteckender ist als vorherige Varianten. Die Analyse ist kompliziert - auch wegen des langen DNA-Strangs, der im Vergleich zu Coronaviren mehr als sechsmal so lang ist.
Bisher führt die neue Virus-Variante selten zu sehr schweren Verläufen, sondern häufig zu den typischen Bläschen und Pusteln auf der Haut. Seit Anfang 2022 hat die Weltgesundheitsorganisation (WHO) mehr als 91.000 Mpox-Infektionen registriert - darunter 157 Todesfälle. Der internationale Gesundheitsnotstand wurde von der WHO im Mai 2023 beendet. Seit September 2023 ist wieder ein Anstieg der Fälle zu beobachten - vor allem in Portugal, Spanien, dem Vereinigten Königreich, Irland und Deutschland.
Kann das Virus vollständig verdrängt werden?
"Eliminieren ist nicht ganz einfach", sagt Neher. Das liege auch an vielen Infektionsketten, die schon vor dem großen Ausbruch 2022 unentdeckt stattgefunden haben. Das Virus sei weiterverbreitet als bisher gedacht. In zahlreichen Staaten fehlten die Möglichkeiten, um Mpox-Fälle zu erkennen. Es gibt bisher keinen Schnelltest, nur durch aufwendigere PCR-Tests kann das Virus bestimmt werden.
Wahrscheinlich durch die Aufklärung über die Krankheit, konnte der Ausbruch aber deutlich reduziert werden. Auch eine Impfung für Kontaktpersonen zu Infizierten oder Risikogruppen ist verfügbar, so das Robert Koch Institut (RKI).
Die Studienautoren fordern, den Ausbruch auch in Zukunft weltweit genau zu untersuchen. Die neues Virusvariante wird nun wohl dauerhaft im Menschen zirkulieren.