Ernährung Wie Nahrungsergänzungsmittel der Leber schaden
Weniger Müdigkeit oder mehr Muskeln: Viele haben schon einmal zu Nahrungsergänzungsmitteln gegriffen. Die können aber der Leber schaden, sagen Experten. Eine Studie warnt vor bestimmten Pflanzenextrakten, etwa aus Kurkuma.
Die Leber arbeitet rund um die Uhr: als Stoffwechselzentrale, Proteinfabrik und Entgiftungsorgan. Sie ist ziemlich leistungsfähig und robust. Doch was kaum einer ahnt: Nahrungsergänzungsmittel können ihr schaden. Gefährlich, denn die Leber produziert keinen Schmerz.
Die Nationale Gesundheits- und Ernährungsuntersuchung (NHANES) in den USA hat die Wirkung von sechs Pflanzenextrakten in Nahrungsergänzungsmitteln auf die Leber untersucht. Denn in den USA geht etwa jeder fünfte Leberschaden auf Supplemente oder pflanzliche Arzneimittel zurück. Die Autoren warnen: Kurkuma, Traubensilberkerze und Grüntee können als Extrakte lebertoxisch wirken, ebenso Auszüge aus Garcinia cambogia, auch als Tamarinde bekannt, Rotschimmelreis und das ayurwedische Ashwagandha.
Kurkuma-Extrakte: Goldgelbe Gefahr?
Auch in Deutschland boomt der Markt: Nach Umfragedaten von Statista nehmen drei von vier Deutschen Nahrungsergänzungsmittel ein. 15 Prozent davon nutzen pflanzliche Nahrungsergänzungsmittel.
Besonders beliebt: Kurkuma. Das Curcumin in der traditionellen Gewürz- und Heilpflanze kann verdauungsfördernd und leicht entzündungshemmend wirken, verursachte als Supplement aber schon wiederholt Leberschäden.
"Fettleber-Epidemie" könnte Lage verschlimmern
Ein bis zwei Patienten pro Jahr behandelt Hepatologe Rainer Günther am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Kiel wegen drohendem Lebersagen. Noch wirkt die Anzahl der Fälle überschaubar, doch der Experte fürchtet: "Durch die Fettleber-Epidemie, die schon anrollt, kann es sein, dass sich das in den nächsten Jahren komplett wandeln wird."
Aktuell leidet etwa jeder dritte Deutsche an einer ernährungsbedingten Fettleber, häufig unbemerkt. Auch hoher Alkoholkonsum spielt eine Rolle. Das Organ verhärtet und entzündet sich. Damit steigt das Risiko für einen toxischen Effekt. Ist die Leber bereits vorgeschädigt, kann sie nicht mehr ausreichend entgiften, so Günther. "Durch die Vorschädigung reichen zusätzliche Schädigungen aus, dass dann die noch gut arbeitenden Zellen komplett abgetötet werden."
Auch die gesunde Leber kann je nach genetischer Veranlagung reagieren, warnt Professor Martin Smollich, Pharmakologe am Institut für Ernährungsmedizin am Universitätsklinikum Schleswig-Holstein in Lübeck: "Bei manchen Menschen führen schon ganz geringe Dosen zu diesen Leberschäden, weil das Immunsystem beteiligt ist. Die einen oder anderen brauchen viel größere Dosen. Das kann man nicht vorhersehen."
Sichere Höchstmengen oft überschritten
Meist gelte aber: Je höher die Dosis, desto höher das Risiko. Das Bundesinstitut für Risikobewertung (BfR) in Berlin nennt sichere Höchstmengen für Nahrungsergänzungsmittel. Für Curcumin empfiehlt das BfR, langfristig nicht mehr als drei Milligramm pro Kilo Körpergewicht am Tag zu sich zu nehmen, für eine 80 Kilogramm schwere Person sind das 240 Milligramm pro Tag. In Nahrungsergänzungsmitteln findet sich häufig deutlich mehr: So gibt es oft Kapseln mit einem Gehalt von 400 Milligramm, manchmal auch 1.000, mit der Empfehlung, gleich mehrere Kapseln pro Tag einzunehmen.
Besonders schwierig wird es, wenn Hersteller die Bioverfügbarkeit mit Zusatzstoffen erhöhen, das heißt, die Aufnahme im Körper erleichtern. Bei Curcumin-Präparaten funktioniert das oft mit Piperin. Es blockiert die abbauenden Enzyme im Darm und ermöglicht so, dass mehr Curcumin durch die Darmschleimhaut in den Blutkreislauf gelangt.
Kaum Daten und keine Kontrolle
Offiziell gelten Nahrungsergänzungsmittel als Lebensmittel. Sie werden - anders als Arzneimittel - nicht amtlich auf Wirksamkeit und Sicherheit geprüft, Nebenwirkungen nicht systematisch erfasst. Die Dunkelziffer von Gesundheitsschäden könnte daher beträchtlich höher liegen, so die Experten vom arznei-telegramm.
Wegen der schlechten Datenlage kann das BfR bei Traubensilberkerzenextrakt, das gegen Wechseljahresbeschwerden helfen soll, oder beim Schlafbeeren-Präparat Ashwagandha, das gegen Angstzustände und Schlafstörungen genommen wird, keine Höchstmengen-Empfehlung geben - obwohl gesundheitliche Risiken der Stoffe gefunden wurden.
Wechselwirkungen mit Medikamenten
Leberexperte Günther rät davon ab, Supplemente im Internet zu kaufen. Wiederholt seien nicht deklarierte Substanzen enthalten. "Wir haben Fälle, wo in Curcumin-Kapseln oder Ashwagandha-Kapseln Schmerzmittel drin waren, damit man sich besser fühlt", erzählt er. "Und dann kommen zwei Sachen zusammen: Das Schmerzmittel und das Curcumin - und dann wird es ganz schädlich." Die lebertoxischen Wirkungen der Arzneimittel könnten sich dann mit denen der Pflanzenextrakte addieren.
Auch Professor Smollich warnt vor Wechselwirkungen. Das kann beispielsweise bei Blutverdünnern, Cholesterinsenkern und Schmerzmitteln der Fall sein. Besonders kritisch werde es bei schwerwiegenden Erkrankungen wie Krebs: "Curcumin zum Beispiel wirkt direkt im Darm mit bestimmten Krebsmedikamenten und kann deren Wirkung abschwächen, was keiner will. Oder es kann die Wirkung verstärken, sodass es zu mehr toxischen Effekten dieser Krebsmedikamente kommt."
Besser in Gewürzen oder Tees
Unbedenklich bliebe nur der maßvolle Gebrauch in der Küche, so Smollich. Als Gewürze und Tees gehe von den natürlichen Produkten in der Regel keine Gefahr aus. Die Experten warnen aber vor einer unkritischen Einnahme von pflanzlichen Nahrungsergänzungsmitteln. Erst wenn die Leber schon stark angegriffen ist, zeigen sich Symptome wie gelbe Augen, verfärbter Urin oder permanente Müdigkeit. Denn die Leber leidet leise.