Virusforschung Schneller als die nächste Mutation
Wissenschaftler weltweit arbeiten mit Hochdruck daran, den Ausbruch einer weiteren Pandemie zu verhindern. Ein Kandidat ist die Vogelgrippe, an der auch schon Säugetiere verenden.
Während in Deutschland die Grippe- und Coronazahlen steigen, versuchen Forscherinnen und Forscher weltweit in Hochsicherheitslaboren eine ganz andere Frage zu beantworten: Welches Virus hat das Potential, eine nächste Pandemie auszulösen?
Ein heißer Kandidat grassiert bereits seit Jahren fast auf der ganzen Welt: Das Vogelgrippe-Virus H5N1. Es zirkuliert weltweit unter Vogelpopulationen. Die Zahlen explodieren. Die Vogelgrippe ist zu einer Pandemie im Tierreich, einer sogenannten Panzootie geworden. Doch bleibt es nicht bei Millionen von toten Vögeln.
Immer mehr Säugetiere betroffen
Mittlerweile sind vermehrt auch Säugetiere betroffen. In Neuengland im Nordosten der USA etwa hat es ein Massensterben unter Robben im Zuge der aktuell kursierenden Vogelgrippe gegeben. Hunderte Seehunde und Kegelrobben seien an H5N1 verendet, berichtet ein Forschungsteam der Tufts University in Medford (USA) im Fachjournal "Emerging Infectious Diseases" Anfang des Jahres.
In Südamerika, ein Kontinent, der lange von der Vogelgrippe verschont blieb, soll ein H5N1-Subtyp für ein Massensterben von Robben und anderen Meeresbewohnern verantwortlich sein. Verschont geblieben sind bislang nur Australien und die Antarktis.
Vom Säugetier ist der Weg zum Menschen nicht mehr weit. Auch auf Menschen sprang das Virus bereits vereinzelt über. In diesem Fall spricht man von einer Zoonose. Zwischen Januar 2003 und August 2023 wurden der WHO weltweit 878 H5N1-Infektionen bei Menschen gemeldet. 458 davon mit tödlichem Verlauf. Es scheint also nur eine Frage der Zeit, bis das Virus nicht nur von Tier zu Mensch, sondern auch von Mensch zu Mensch übertragbar sein wird.
Krankheiten, die zunächst nur Tiere betreffen und auf den Menschen überspringen, sind sogenannte Zoonosen. Die meisten bisherigen Pandemien, wie etwa die Pest, Pocken oder zuletzt auch SARS-CoV-II, wurden durch Erreger ausgelöst, die vom Tier auf den Menschen übergehen - von sogenannten zoonotischen Erregern. Die Infektionskrankheiten, die sie auslösen, heißen Zoonosen. Auch die spanische Grippe von 1918 war eine solche Zoonose. Nach heutigen Erkenntnissen mischten sich Vogel- mit Schweinegrippeviren und sprangen auf den Menschen über.
Wird die Vogelgrippe zur Gefahr für den Menschen?
Timm Harder, Infektionsmediziner und Laborleiter am Friedrich-Löffler-Institut in Greifswald, erforscht das Vogelgrippevirus und seine Subtypen. "Wir haben im Moment ein Virus in der Zirkulation, das offenbar sehr, sehr gut an den Vogelwirt angepasst ist. Es wird sehr schnell verbreitet, sehr gut übertragen", sagt Harder. Und je weiter sich das Virus verbreitet, umso größer sei auch die Chance, dass ein Viruspartikel den Sprung aus der Tierwelt auf den Menschen schaffe, so der Experte.
Grippeviren können sich besonders gut an ihre potentiellen Wirte anpassen. Noch schlimmer: Verschiedene Grippeviren können sich in einem Wirt auch neu zusammenbauen und ein ganz neues Virus bilden. Diese Fähigkeit heißt "Reassortment". Und genau deshalb gehe von Grippeviren eine immense Gefahr aus, sagen Wissenschaftler wie Sebastian Ulbert. "Ich halte die Influenzaviren für die gefährlichsten Viren, die es gibt."
Ulbert forscht am Fraunhofer Institut für Zelltherapie und Immunologie in Leipzig. Zur schnellen Anpassungsfähigkeit der Viren komme der zoonotische Ursprung erschwerend hinzu: "Wir haben keinerlei Kontrolle darüber, wie und wo diese Viren sich verändern", sagt Ulbert.
Das Influenza-Virus gehört zu den RNA-Viren, einer Gruppe von Viren, die besonders leicht und schnell mutieren können. Immer wenn das Virus sich in der Zelle selbst vervielfältigt, passieren kleine Kopierfehler. So entstehen neue Varianten, die sich in kleinen Details voneinander unterscheiden. Deshalb gelingt es Influenza auch besonders gut, sich an neue Bedingungen anzupassen.
Was wird präventiv getan?
Einer, der genau an diesem Punkt ansetzt, ist Fabian Leendertz. Er versucht herauszufinden, welche Ereignisse und Verkettungen überhaupt zu Pandemien führen können. Leendertz ist Gründungsdirektor des Helmholtz-Instituts für One Health (HIOH) und forscht dort zur Ökologie und Entstehung von Zoonosen. "Sars-CoV-II hat uns ja sehr eindrücklich gezeigt, wie so ein zoonotisches Ereignis zur Pandemie werden kann. Wir müssen jetzt versuchen, dass möglichst wenige weitere dieser Erreger auf uns zukommen", sagt der Wissenschaftler. Sein One-Health-Ansatz geht ganzheitlich vor und erfasst nicht nur Daten zum Erreger selbst, sondern auch zu dessen Wirt sowie dessen Umwelt.
Leendertz macht deutlich: In der Regel ist der Mensch für die ökologischen und klimatischen Veränderungen verantwortlich, die Zoonosen überhaupt möglich machen. "Wir treten in Kontakt mit den Tieren, nicht die Tiere mit uns."
Klimawandel als Katalysator für Infektionskrankheiten
Nur ein Beispiel dafür: Flavi-Viren, die Krankheiten wie das Dengue-Fieber, Zika-Fieber, Gelbfieber oder das West-Nil-Fieber hervorrufen und durch Stechmücken oder Zecken übertragen werden. Überträger sind häufig Insekten, die infolge des menschengemachten Klimawandels auch immer weiter in den westeuropäischen Lebensraum vorrücken. Der Mensch hat die klimatischen Voraussetzungen für die Ausbreitung der Krankheitsüberträger überhaupt erst geschaffen.
"Pandemic Preparedness" also lautet das Credo der Virenforscher - vorbereitet sein auf die nächste Pandemie. Und das heißt: In weltweiter Zusammenarbeit Wissen teilen, Impfstoffe und Wirkstoffe entwickeln, und vor allem: gefährliche Viren beobachten, um abschätzen zu können, ob und wo sie ausbrechen.
Die zweiteilige Dokumentation "Was wird die nächste Pandemie" schafft einen Überblick über das Forschen von Wissenschaftlern auf der ganzen Welt - von Bangladesch, über Zentralafrika bis ins sächsische Leipzig. "Was wird die nächste Pandemie" ist ab 13.11. in der ARD-Mediathek abrufbar.