Klimawandel Extremwetter bringen Eichhörnchen in Not
Für heimische Arten wie Eichhörnchen können Extremwetter zum Problem werden. In einer Auffangstation für die Nager im Bremer Umland kommen deutlich mehr geschwächte Tiere an als in den Vorjahren.
Aus einer schuhkartongroßen Transportbox fischt Petra Karin Freiling ein rotes Eichhörnchen, so klein, dass es zusammengerollt auf einen Handteller passt. Mit einer Spritze flößt die Biologin dem Eichhörnchenjungen "Talia" eine spezielle Milch ein, die das Tier wieder zu Kräften kommen lassen soll. Das Fundtier war in der Nacht zuvor bei ihr in der Eichhörnchen-Aufpäppelstation in Klosterseelte im Bremer Umland abgegeben worden.
Man sieht dem etwa zwei Monate alten Tier an, dass es ziemlich mitgenommen ist. Schwarze stecknadelkopfgroße Parasiten hängen im Fell, das rechte Auge ist zugeschwollen und am gravierendsten: Die Schwanzspitze ist abgebrochen. "Offenbar hatte das Eichhörnchen eine Kollision. Die Schwanzspitze war zunächst abgeknickt, beim Baden ist sie dann abgefallen", erklärt die Diplom-Biologin. Sie nimmt seit einigen Jahren regelmäßig kranke Eichhörnchen bei sich auf.
Regen und Sturm
"So viele Eichhörnchen wie in diesem Jahr waren es noch nie", erzählt die Tierschützerin. 2018, als der Sommer extrem heiß und trocken war, haben sie über den Eichhörnchennotruf Bremen etwa 80 geschwächte und verletzte Tiere aufgenommen. In diesem Jahr hätte man schon im August diese Höchstmarke geknackt. Ein Grund dafür sieht Karin Petra Freiling in den diesjährigen Sommerstürmen, die an den Nestern der Hörnchen zerren. Außerdem setze der Starkregen den Tieren zu.
Auch Elena Kortmann vom Naturschutzbund (NABU) bestätigt, dass Extremwetter dieser Art die Eichhörnchen vor besondere Herausforderungen stellen: Das Fell schütze sie zwar vor Kälte, nicht aber gegen andauernde Nässe. "Ein dauerhaft feuchtes Fell durch einen verregneten Sommer kann ihre Fähigkeit zur Thermoregulation beeinträchtigen und im schlimmsten Fall zu Unterkühlungen führen", erklärt Kortmann, die Artenschutzkoordinatorin beim NABU ist.
Aufpäppeln mit dem Fläschchen: So viele Eichhörnchen wie in diesem Jahr haben sie in der Auffangstation bei Bremen noch nie aufgenommen.
Stürze aus dem Nest
In der Aufpäppelstation in Klosterseelte helfen sie aktuell vorwiegend abgegebenen Jungtieren, die aus dem Kobel, also Nest, gefallen sind. Die größten Probleme für diese Tiere sind, dass sie sich beim Sturz verletzen, dass sie unterkühlen, von Fressfeinden gefunden werden oder unter Parasitenbefall leiden.
Etwa 70 Prozent der Fundtiere, die hier abgegeben werden, schaffen es. Die Eichhörnchen, die das schlimmste überstanden haben, groß und kräftig genug sind, toben durch eine von mehreren Volieren. Mit etwa drei Monaten können sie sich selbst versorgen.
Auswilderung nach dem Päppeln
Bis sie soweit sind, bereiten Karin Petra Freiling und ihr Team die Eichhörnchen auf die freie Wildbahn vor: Die Junghörnchen müssen viel klettern üben, um die dringend notwendige Muskulatur aufzubauen. Denn, so zeigt es die Erfahrung der Tierschützerin Freiling: Fundtiere, die nicht artgerecht aufgezogen würden, bekämen Probleme, verletzten sich häufiger bei Stürzen. Darum hält sie die kleinen Nager auch möglichst in Gruppen.
NABU-Artenschutzkoordinatorin Kortmann empfiehlt darum auch, verwaiste oder verletzte Tiere zu speziellen Auffangstationen zu bringen. Doch sie rät gleichwohl, die Situation der Fundtiere erst einmal richtig einzuschätzen: "Jungtiere, die gesund wirken und in einem Nest sitzen, sollten in Ruhe gelassen werden. Gleiches gilt, wenn die Mutter in der Nähe ist." Wer sich unsicher ist, könne sich bei einer der Eichhörnchennotrufnummern oder Wildtierexperten rückversichern.
Jungtiere suchen Hilfe
Jungtiere in Notsituationen werden immer wieder dabei beobachtet, dass sie Menschen folgen, sogar versuchen an ihnen hochzuklettern. Laut Eichhörnchennothilfe ist es unproblematisch, die Tiere anzufassen. Die Mutter lehne sie darum nicht ab. Bei erwachsenen Tieren, die etwa verletzt sind, ist aber Vorsicht geboten: Eichhörnchen haben scharfe Krallen und spitze Zähne. Sie sollten nur mit geeigneten Handschuhen eingefangen werden.
So offensiv sich die Tiere in Problemsituationen an den Menschen wenden, so sehr suchen sie nach der Genesung auch wieder die Freiheit. "Wenn die Hörnchen groß genug sind und sich erholt haben, dann müssen sie auch wieder zurück in die Natur. Wir lassen dann die Volieren offen und sie können zum Fressen kommen, wenn sie das wollen", erklärt Freiling die Auswilderung. Die Hörnchen, die nach August geboren werden, bleiben den Winter über in den Volieren. Sie wären nicht bereit, sich selbst einen Kobel zu bauen und einen Vorrat für den Winter anzulegen.
Neben der täglichen Ration Nüsse stehen noch Brokkoli, Melone, Möhren, Gurken, Beeren sowie Samen und Sprossen auf dem Speiseplan.
Wichtig für Walderneuerung
Vor allem für die Verbreitung von Baumsamen sind die Nager sehr wichtig. Ein einziges Eichhörnchen kann pro Saison bis zu 10.000 Nüsse vergraben. Jedoch finden sie bei weitem nicht alle wieder: Schätzungen gehen davon aus, dass etwa 40 Prozent vergessen im Boden bleiben. Wenn die beginnen zu keimen, wachsen aus ihnen neue Bäume. Das trägt zur Walderneuerung bei.
In der Eichhörnchenstation stehen neben der täglichen Ration Nüsse noch Brokkoli, Melone, Möhren, Gurken, Beeren sowie Samen und Sprossen auf dem Speiseplan. Bis Eichhörnchen-Notfall "Talia" selbstständig den Wald nach Fressbarem durchstreifen kann, wird es aber noch eine Weile dauern. "Erst wenn sie den 'Haselnuss-Test' besteht, gehört sie zu den Kandidaten, die ausgewildert werden", erklärt Eichhörnchen-Päpplerin Freiling. Bis das Jungtier alleine eine ganze Haselnuss frisst, braucht es aber noch ein bisschen.